#1

SGZ - 24 Das letzte Haus

in Die Geschichten der Woche 15.06.2021 17:33
von Gini • Federlibelle | 1.817 Beiträge | 3739 Punkte

„Ist nicht dein Ernst, oder?“
Freds Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Luise konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„‘Bau dir dein letztes Haus selber‘. Wer denkt sich denn so einen Blödsinn aus?
Wir sind gerade mal Mitte sechzig. Da denk ich doch nicht schon ans Sterben.“
Tiefe Stirnfalten machten den Unmut von Luises Mann überdeutlich.
„Hör mir doch erst einmal zu“, seufzte Luise ergeben. Warum war Fred bloß immer gleich auf hundertachtzig? Sie hatte ihn schon früher oft mit dem HB Männchen aus der Werbung verglichen. Der ging auch immer hoch.
„Das ist ein Workshop vom Hospizverein. Er umfasst vier Samstage und wird von zwei Trauerbegleiterinnen und einem Tischler geleitet. Übrigends findet das ganz dicht hier bei uns statt. Im Holzland Wulf. Erinnerst du dich? Wir haben dort auch schon etwas gekauft.“
Fred dachte kurz nach und nickte dann zustimmend.
„Ja ist richtig, aber warum sollten wir das tun? Und wo lagern wir dann die beiden Särge? Na jetzt bin ich mal gespannt, was du für eine Lösung hast.“
Luise nahm ihren Fred geduldig bei der Hand und setzte sich mit ihm auf die Couch.
„Wenn wir jetzt schon alles regeln, dann haben die Kinder später nicht mehr so viel Arbeit mit uns. Guck mal, wir haben jeder eine Sterbeversicherung und einen Platz unterm Baum haben wir uns auch schon ausgesucht. Es fehlen nur noch die Särge.“
Luise bezweifelte zwar, dass sie Fred überzeugen konnte, aber immerhin hörte er ihr ruhig zu. Wenn er so weitermacht und sich immer so aufregt, dachte sie,
Dann braucht er das ‘letzte Haus‘ schneller als er es fertigstellen kann. Sie hatte auch schon Pläne im Kopf, wie man die Särge sinnvoll in ihrer Hauseinrichtung integrieren konnte. Aber das würde sie ihrem Mann noch nicht auf die Nase binden. Bei ihm musste sie Häppchen für Häppchen mit Neuerungen ankommen.
„In Gottes Namen, wenn es dich glücklich macht, dann bauen wir eben unser ‘letztes Haus‘.“
Luise musste lächeln. ‘In Gottes Namen‘, das passte doch wie Faust aufs Auge.
Am nächsten Samstag ging es los. Fröhlichen Schrittes ging Luise los. Fred trottete etwas verhaltener hinterher. Sie tat so, als würde sie das gar nicht bemerken.
„Bist du sicher, dass wir richtig angezogen sind? Hätten wir nicht gedecktere Farben tragen müssen?“
„Aber Fred.“ Luise drehte sich um. „Wir gehen nicht zu unserer eigenen Beerdigung. Wir bauen uns nur ‘unser letztes Haus selber‘.“
Dafür liebte sie ihren Fred. Er konnte alles so herrlich falsch verstehen und verdrehen, was sie sagte. Oder er wollte es auch nicht richtig verstehen.
Als sie das „Holzland“ betraten, waren da schon vier andere Teilnehmer anwesend. In der Annonce stand, dass der Workshop höchsten mit sechs Leuten stattfinden sollte. Zum Glück hatte Luise sich und Fred rechtzeitig angemeldet. Natürlich, ohne ihn vorher zu fragen. Er hätte ihr höchstens liebevoll einen Vogel gezeigt.
„Herzlich willkommen zum Sargbau. Meine Kollegin und ich sind vom Hospizverein und werden Sie während des Workshops begleiten. Auch wenn sie sich über den Tod austauschen wollen, sind wir für Sie da und beantworten alle Fragen.“
Die beiden Damen wirkten äusserst sympathisch und Luise freute sich schon richtig auf die Aufgabe. Dann kam ein Baum von einem Mann dazu und stellte sich auch der kleinen Gruppe vor.
„Hallo, ich bin Thorsten und werde Ihnen bei dieser speziellen Aufgabe mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ich bin gelernter Tischler und freue mich, auch wenn es jetzt komisch klingt, auf die verschiedenen Modelle, die wir fertigstellenwerden."
Dann gab es erst einmal einen kleinen Vortrag. Welche Farben geeignet waren. Auf keinen Fall welche aus dem Baumarkt. Es musste auch ganz bestimmtes Holz verwendet werden und wer wollte, konnte auch schon die Innenauskleidung bestimmen.
„Das machen wir aber noch nicht, weil die Särge vielleicht ja auch in Ihren Wohnungen oder Häusern mit der Inneneinrichtung zusammenpassen sollten. Natürlich nur wer will.“
„Was hat er da gesagt? Wir sollen die Stücke bei uns ins Haus stellen?“
Freds Stimme wurde einige Oktaven höher und lauter als üblich. Zum Glück hat der Tischler den Vorschlag gemacht und nicht ich, freute sich Luise.
„Nun warte doch erstmal ab Fred. Reg dich nicht gleich wieder auf. Noch hast du dein Häuschen ja nicht fertig. Dann sehen wir weiter. Wie kann man nur so unflexibel sein.“
Luise warf ihren Mann einen empörten Blich zu. Hoffentlich machte er jetzt keinen Aufstand hier. Fehlt noch, dass er eine Blutdruckentgleisung bekommt und umkippt. Freds Gesicht hatte schon eine etwas dunklere Farbe angenommen.
Dann ging es endlich los. Während des Sägens und der Handhabung mit dem Holz, beruhigte sich Fred wieder. Luise konnte sehen, dass er sich ganz auf seine Aufgabe konzentrierte. Holzarbeiten machten ihm Spaß, das wusste Luise. Und eine kluge Ehefrau weiß ja, was ihr Mann mag.
Damit hatte sie von Anfang an gerechnetund auch drauf gehofft.

Am Ende des ersten Tages gingen beide ganz entspannt nach Hause.
„Mir hat es Spaß gemacht“, sagte Fred und klang über sich selber erstaunt.
„Was denkst du, was machen wir damit, wenn es fertig ist?“
So leicht kam ihm das Wort ‘Sarg‘ wohl doch nicht über die Lippen.
„Ach weißt du, ich hab mir gedacht, wir bauen am Schluss noch Regale rein. Dann haben wir zwei schöne Bücherregale. Die wollten wir uns doch sowieso demnächst anschaffen.“
Luise sah ihren Mann, wegen der schönen Idee beifallheischend an. Dann musste sie laut auflachen. Freds Gesichtsausdruck war aber auch einfach zu köstlich.


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#2

RE: SGZ - 24 Das letzte Haus

in Die Geschichten der Woche 16.06.2021 11:18
von Bree • Federlibelle | 4.567 Beiträge | 18660 Punkte

Liebe @Gini

was für eine verrückte, aber irgendwie auch schöne Idee. Ich nehme an, ich hätte ähnlich sparsam geguckt wie Fred, wenn mein Mann mir so einen Vorschlag gemacht hätte.
Ein tolles Thema jedenfalls, perfekt zur Aufgabe passend. Und Särge als Bücherregale - wie krass! Dadurch aber auch wieder irgendwie cool. Gibt es so einen Workshop wirklich, oder hast du ihn dir ausgedacht?
Ich hatte meinen Spaß beim Lesen, das versichere ich dir. Eine Top-Idee, humorvoll umgesetzt.

Eine kleine Erbse hab ich noch für dich:

Zitat von Gini im Beitrag #1
mit dem HB Männchen aus der Werbung verglichen. Der ging auch immer hoch.

Da sich der Artikel auf 'das Männchen' bezieht, muss es heißen: "Das ging auch immer hoch."

Übrigens hat mir der Titel nicht verraten, um was genau es geht (den Begriff 'letztes Haus' für Sarg kannte ich nicht), er hat mich aber echt neugierig gemacht.

LG
Bree


Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)

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#3

RE: SGZ - 24 Das letzte Haus

in Die Geschichten der Woche 16.06.2021 19:07
von Gini • Federlibelle | 1.817 Beiträge | 3739 Punkte

@Bree
Danke für dein Feedback. Es gibt tatsächlich diesen Workshop beim Hospizverein.
Ich kenne auch jemanden, der da mitgemacht hat.
Es gibt verschiedene Optionen, wie man den Sarg verwenden kann. Wie gesagt, manche
benutzen sie als Bücherregal, andere als Sitzmöbel oder als Schrank. Dann baut man noch Türen ran.
Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Aber es ist eine reale Sache.


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#4

RE: SGZ - 24 Das letzte Haus

in Die Geschichten der Woche 18.06.2021 14:10
von Doro • Federlibelle | 2.481 Beiträge | 9741 Punkte

Liebe @Gini ,

eine interessante Geschichte. Ich habe das gleich mal gegoogelt. Gibt es tatsächlich auch bei uns. Auf die Schnelle hab ich allerings nur Kurse für Männer zum Sargbauen gefunden.

Ich wusste gar nicht, dass das überhaupt angeboten wird. Wieder was dazugelernt.

Ob das nicht ein bisschen seltsam ist, wenn man den Sarg zu Lebzeiten schon als Möbelstück nutzt?

Gern gelesen.

LG
Doro


Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
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#5

RE: SGZ - 24 Das letzte Haus

in Die Geschichten der Woche 18.06.2021 16:54
von Gini • Federlibelle | 1.817 Beiträge | 3739 Punkte

@Doro
Danke fürs lesen. Das machen durchaus auch Frauen. Die brauchen ja auch einen Sarg irgendwann.
Und ich weiß, dass die meisten sie dann als Möbelstück nutzen.
Viele haben ja auch gar nicht den Platz, um den Sarg bis zum Tod zu lagern.
Da ist das doch eine gute Option.


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