#1

Wiesenwettbewerb 3 - Storymix - Prinz Charmings Flucht

in Archiv 15.05.2021 13:30
von Sophie Reichardt • Fleißbiene / Fleißdrohne | 60 Beiträge | 147 Punkte

“Ich glaube, ich sehe einfach zu gut aus.”
Prinz Charming schritt bekümmert vor seinem Spiegel, der eine ganze Wand einnahm, auf und ab. Ja, manchmal führte er Selbstgespräche. Aber abgesehen davon war er absolut perfekt – und genau da lag sein Problem. Deswegen sollte er nämlich morgen auf dem Ball eine ebenso perfekte Prinzessin erwählen, mit der er dann ein perfektes Herrscherpaar bilden sollte. Frustriert trat er gegen die Wand. Niemand schien sich dafür zu interessieren, dass er keine wildfremde Schnepfe heiraten wollte. Wie konnte er das auch, wenn sein Herz doch schon vergeben war? Leider begriffen seine Eltern das nicht. Als er ihnen erzählt hatte, dass er sich verliebt hatte, hatten sie ihm eine wütende Standpauke gehalten. Im Grunde war es sogar gut, dass sie ihn unterbrochen hatten, denn so konnte er sich nicht verplappern und ihnen sagen, wie diese große Liebe hieß und dass sie bereits seit zwei Monaten heimlich ein Paar waren. Mit niemandem sonst konnte er so gut über die schnöseligen Gäste am Hof lästern, niemand war so witzig, hatte ein so fröhliches Lachen …

„Na, so reich und doch so traurig?“ Eine spöttische Stimme ließ Prinz Charming zusammenzucken. Auf seinem Fensterbrett saß ein kleines, zierliches Männchen, dessen Kleidung aus zusammengefügten Blättern zu bestehen schien.
„Wer bist du?“, fragte der Prinz verwirrt. Das Männchen ließ sich elegant ins Zimmer gleiten und deutete eine Verbeugung an. „Puck, nicht zu Ihren Diensten.“
„Puck?“
„Diener des Elfenkönigs Oberon. Im Zauberwald war gerade nichts los. Da bin ich losgezogen, um zu schauen, was in den angrenzenden Königreichen so passiert. Aber jetzt erzähl mal, warum du so ein Gesicht ziehst. Aber wehe, es ist nicht spannend!“
Obwohl Charming noch etwas skeptisch war, erzählte er ihm von seinem Dilemma. Es tat ihm sogar gut, alles einmal auszusprechen. „Und dabei bin ich nicht einmal der Thronerbe. Ich soll einfach nur heiraten, weil so ein Singleprinz auf Dauer komisch wirkt.“, schloss er seinen Bericht.
Puck hatte ihm aufmerksam zugehört. „Gut, ich werde dir helfen.“
„Wirklich?“, rief Charming erfreut.
„Aber nur, wenn du mitspielst und alles tust, was ich sage. Schließlich will ich auch meinen Spaß dabei haben.“
„Versprochen!“

In dieser Nacht versetzte Puck das Schloss in einen tiefen Zauberschlaf. Eilig packte Prinz Charming ein paar Sachen zusammen und schlich sich leise aus dem Palast.
„Und nun?“, fragte er, „Jetzt bin ich zwar draußen, aber meine Eltern werden mich doch verfolgen.“
„Nein, das werden sie nicht.“ Aus irgendeinem Grund kicherte Puck verschwörerisch. „Komm, jetzt hol dein Schätzchen und dann nichts wie weg.“

„Til!“ Glücklich fielen sich die beiden in die Arme. „Komm jetzt, es ist alles vorbereitet“, flüsterte Charming ihm zu und wollte gehen, doch Til zögerte. „Ich würde wirklich gern mit dir fliehen, nur – was, wenn deine Eltern dich verfolgen? Und wer weiß, ob ich so schnell eine neue Stelle als Konditor finde? Wovon sollen wir leben?“
„Ach, ihr werdet schon etwas finden“, sagte Puck, „Und was seine Eltern angeht… da weiß ich was.“ Er murmelte ein paar Worte und träufelte drei Tropfen aus zwei roten Blumen auf ihn. Sofort verzerrte sich Charmings ganzer Körper. Er wurde kleiner und dicker, seine ebenmäßigen Züge wurden in die Breite gezogen und seine manikürten Hände verwandelten sich in grobe Pranken. Nur die blonde Mähne blieb, wie sie war.
Til bekam den Mund nicht mehr zu und auch Prinz Charming erschrak kurz, als er sein Spiegelbild in einer Fensterscheibe sah. Doch dann begriff er. „Boah, dangescheen, Bugg.“ Er starrte Puck an. „Wassn nu los?“
„Ich habe doch gesagt, dass ich mich auch amüsieren möchte. Und sieh es einmal so – jetzt wird dich wirklich niemand erkennen.“
„Das is nich lussdich, du Zwunsch, jetz mache das weg.“
Hilfesuchend sah er zu Til, doch der war damit beschäftigt, sich kaputtzulachen. „Ach komm“, meinte er schließlich tröstend, „Ich liebe dich trotzdem.“
„Wirglich?“
„Na klar.“, versicherte Til. „He, ich bin mit dir geflohen und werde jetzt vermutlich vom König verfolgt, da stört mich so ein bisschen Dialekt nicht.“
Gerührt ließ sich Charming in seine Arme fallen und die beiden küssten sich innig. Er war so glücklich, dass Til sich von dem Zauber nicht abschrecken ließ. Alles war gut – bis Puck ihn antippte.
„Ähm, ich will ja nicht stören, aber wir stehen immer noch in der königlichen Garage.“

In derselben Nacht hatten sie mit Pucks Hilfe die Grenze überquert, sich später in einer hübschen Stadt im Nachbarkönigreich eine Wohnung gemietet und sich ein neues Leben aufgebaut. Til konnte es noch immer nicht glauben, dass er jetzt in seiner eigenen Bäckerei stand. Prinz Charming hatte ihm ohne Umschweife seine ganzen Ersparnisse in die Hand gedrückt und gesagt: „Wer, wenn nicht du?“. Nun eilte er überglücklich zwischen Verkaufsraum und Backstube hin und her und war überall zugleich. Auch Charming hatte Gefallen an dem neuen Geschäft gefunden und machte sich voller Freude, aber leider völlig talentfrei ans Backen. Um ihn nicht allzu sehr zu verletzen, gab Til ihm dennoch Arbeit in seiner Bäckerei und ließ ihn kassieren oder Mehl kaufen. Selbst als das Königspaar einmal zu ihnen kam und Charming an seinen Haaren zu erkennen drohte, ging alles gut. Die Königin meinte nämlich, dass ihr Sohn es nie schaffen würde, so hässlich zu werden, und schon gar nicht in einer Bäckerei arbeiten würde.

Eines Abends – Puck kam wie üblich, um ein paar Küchlein zu stehlen – fing Prinz Charming ihn ab.
„Du, sache mal, Bugg, ich bin dir ja wirglich dangbar fier all das, awer genndsde nicht wänichstns dn Dialeggt wegzauwern?“
Puck zögerte.
„Bitte, Puck“, mischte sich Til in das Gespräch ein, „Du hast nun wirklich genug zum Lachen gehabt.“
„Na gut“, zeigte er sich gnädig, holte zwei blaue Blumen aus der Tasche und wiederholte das Ritual aus der Nacht ihrer Flucht, nur mit einem anderen Zauberspruch.
„Jetzt sag mal was“, meinte Til, Charming öffnete den Mund und: „Alle meene Endchn“
„Oh“, machte Puck.
„Wie – oh?“, kam es zweistimmig zurück.
„Ich glaube – ich habe den Spruch vergessen.“

Nach einer wütenden Verfolgungsjagd mit Mehlschlacht hatte Puck sich dazu bereiterklärt, seinen Chef zu holen. Wenig später stand König Oberon höchstpersönlich in der Bäckerei. Seine Hände waren stark gerötet und Pucks Ohren ein bisschen länger.
„Ich kann mich für das Verhalten meines Dieners nur entschuldigen. Er ist ein Narr.“
Puck verdrehte die Augen, schwieg aber vorsichtshalber.
„Selbstverständlich werde ich in Ordnung bringen, was dieser Esel“ Seitenblick zu Puck „angerichtet hat.“
Mit großer Geste hob er seine Arme und sprach den richtigen Zauberspruch. Ein kleiner Lichtball erschien und fuhr geradewegs in Charmings Mund. Der hustete, fasste sich an die Kehle und sagte dann vorsichtig: „Harter Konsonant, aber, Kohle … ich kann wieder sprechen!“ Jubelnd sprang er durchs Zimmer und fiel Til um den Hals.
„Ich kann dir auch deine frühere Schönheit zurückgeben“, bot Oberon an, doch Charming schüttelte zur Überraschung aller den Kopf.
„Wenn es dir nichts ausmacht, Til, dann würde ich gern so bleiben. Niemand macht mich an, niemand bricht bei meinem Anblick in hysterisches Kichern und Wimpernklimpern aus … Wisst ihr, manchmal kann Schönsein auch eine Last sein.“
Til nickte nur und küsste ihn. „Mir macht das gar nichts aus.“
Oberon lächelte und legte eine Hand auf Charmings Scheitel. „Dann lass mich dir wenigstens ein kleines Geschenk geben.“ Er murmelte etwas in der Elfensprache. „Jetzt musst du nie mehr die Ansätze nachfärben. Und ausfallen werden sie auch nicht.“
Begeistert kniete Charming vor Oberon nieder und bedankte sich, aber der machte nur eine huldvolle Geste und verschwand mit Puck.

Tatsächlich hat Prinz, nein, Bäckereifachangestellter Charming seine Entscheidung nie bereut. Glücklich und fern von der Last des Königsschlosses und der Rolle als Prinz lebte er fortan mit seinem Geliebten in Glück und Frieden zusammen. Und wenn er doch einmal jemanden heiraten würde, dann ja wohl nur seinen Til.


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#2

RE: Wiesenwettbewerb 3 - Storymix - Prinz Charmings Flucht

in Archiv 15.05.2021 14:10
von Bree • Federlibelle | 4.335 Beiträge | 17407 Punkte

Ich lach mich scheckig, liebe @Sophie Reichardt
Prinz Charming mit sächsischem Dialekt! Was für eine herrliche Idee! Ich habe mich beim Lesen köstlich amüsiert. Davon würde ich sehr gern noch mehr lesen - solange Charming weiter sächselt!

Mit breitem Grinsen gelesen!

LG
Bree


Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)

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#3

RE: Wiesenwettbewerb 3 - Storymix - Prinz Charmings Flucht

in Archiv 15.05.2021 18:28
von Doro • Federlibelle | 2.350 Beiträge | 9189 Punkte

Liebe @Sophie Reichardt ,

super! Ich grinse immer noch.

Zitat von Sophie Reichardt im Beitrag #1
„Das is nich lussdich, du Zwunsch, jetz mache das weg.“
Was ist denn ein "Zwunsch"? [überleg]

Ist Til auch eine literarische Figur? Spontan dachte ich erst an Till Eulenspiegel, aber der war ja kein Konditor.

Gern gelesen.



LG
Doro


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#4

RE: Wiesenwettbewerb 3 - Storymix - Prinz Charmings Flucht

in Archiv 15.05.2021 19:16
von Sophie Reichardt • Fleißbiene / Fleißdrohne | 60 Beiträge | 147 Punkte

@Bree

Danke dir. Ich hätte gern mehr geschrieben, vor allem die Konfrontation mit den Eltern hätte ich gern ausführlicher beschrieben, aber das wären zu viele Zeichen gewesen. Die Aufhebung des Dialektzaubers diente bloß dazu, Oberon in die Geschichte einzubauen, aber vielleicht sächselt Charming ja mal mit Absicht, um seinen Freund zu ärgern.

@Doro

Danke auch dir. Zwunsch ist die sächsische Bezeichnung für ein Kind (so etwas wie Kleiner), hier war es aber auf den kleinen Puck bezogen.

Charmings Freund sollte eigentlich Martin heißen, aber der Name ist der Kürzung zum Opfer gefallen, deswegen Til.


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zuletzt bearbeitet 15.05.2021 19:17 | nach oben springen

#5

RE: Wiesenwettbewerb 3 - Storymix - Prinz Charmings Flucht

in Archiv 16.05.2021 06:51
von Anka • Federlibelle | 756 Beiträge | 3343 Punkte

@Sopie Reichardt,
was für eine originelle, lustige Geschichte. Sie lebt durch die witzigen Dialoge, der Dialekt ist herrlich.
Ich hatte sofort den Prinz Charming aus dem Film vor Augen. Diesen auf Charaktere aus dem Sommernachtstraum treffen zu lassen ist eine abgefahrene Idee, die du super unterhaltsam umgesetzt hast.


Geschichten schreiben ist wie zaubern!
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#6

RE: Wiesenwettbewerb 3 - Storymix - Prinz Charmings Flucht

in Archiv 16.05.2021 22:00
von Jana88 • Federlibelle | 564 Beiträge | 1302 Punkte

Du hast den Dialekt so super geschrieben, herrlich :-D
Ich habe mich super amüsiert. Ein toller Ausklang des Abends, danke.


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Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende *Oscar Wilde
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#7

RE: Wiesenwettbewerb 3 - Storymix - Prinz Charmings Flucht

in Archiv 20.05.2021 16:01
von Gini • Federlibelle | 1.797 Beiträge | 3677 Punkte

@Sophie Reichardt
Ich hab mich köstlich über Prinz Charming amüsiert. Ich hatte immer den Nicolas
Puschmann vor Augen. Wirklich ein gutaussehender Knabe.
Puck kenne ich nicht so gut, aber das hat deiner Geschichte keinen Abbruch getan.
Ein schöne Mixmärchen mit sächsischem Dialekt. Der ist doch wirklich furchtbar oder?


Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.

Wilhelm Busch (1832-1908)
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