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SGZ Nr. 21: Der Deal
in Die Geschichten der Woche 22.11.2020 12:40von Doro • Federlibelle | 2.416 Beiträge | 9470 Punkte
Der Deal
Mila setzte die Kopfhörer ab, als sie spürte, dass jemand sie antippte.
„Mila“, sagte Mama, „es sind nur noch zwei Tage bis zu deinem Geburtstag. Weißt du denn endlich, was du dir wünscht?“
Mila verzog das Gesicht. „Du bist aber vergesslich. Ich hab dir doch gesagt, dass ich nach Afrika will. Ich will mal einen Elefanten sehen. Und Giraffen. Und Nashörner. Und eine Safari machen.“
„Schätzchen, das ist viel zu teuer. Aber wir können an deinem Geburtstag in den Tierpark.“
„Nein“, sie schüttelte den Kopf, „da sind die Tiere eingesperrt. Das sollte man nicht unterstützen. Dann will ich gar nix.“
„Außerdem wäre so eine Reise für dich viel zu anstrengend. Wir haben es dir erklärt. Und zurzeit darf man ohnehin nicht reisen. Wegen Corona.“
Mila verschränkte die Arme vor der Brust und starrte aus dem Fenster. Als ob Corona ihr Hauptproblem war. Auf ihrem Schreibtisch lag ein Buch über die zehn schönsten Nationalparks in Afrika. Ihre Fingerspitzen strichen über die glatten Seiten mit wunderschönen, glänzenden Fotos.
Neulich hatte waren Oma und Opa zum Kaffeetrinken da gewesen und sie hatte gefragt, warum man den Bösewichten im Gefängnis einen letzten Wunsch erfüllt, aber ihr nicht? Sofort hatte Mama zu weinen begonnen und Mila ein schlechtes Gewissen gehabt.
Seit sie diesen beschissenen Krebs hatte, hatte sie viel über Tod und so nachgedacht. Anfangs hatte sie auch geheult. Nach der ersten OP und Chemo war es ihr so schlecht gegangen, dass Sterben eine wirkliche Alternative gewesen wäre. Das hatte sie aber nie laut gesagt. Nur gedacht.
Sie setzte ihre Kopfhörer wieder auf. Felix hatte ihr sämtliche Lieblingssongs in einer Playlist auf den Laptop geladen. Manchmal konnten Brüder nett sein. Aber meistens nervten sie. Sie lächelte. Trotzdem sollte er mit nach Afrika. Das würde bestimmt lustig werden.
Sie blätterte weiter. Es war ihr egal, in welchen Nationalpark sie durfte. Hauptsache, sie sah endlich einen Elefanten.
Als ihre Augen müde wurden, sah sie vom Buch auf und ihr Blick wanderte durchs Zimmer, blieb am Kreuz über dem Bett hängen. Ein Taufgeschenk der Oma. Jedes Enkelkind hatte eins bekommen. Das war Tradition. Mila deutete mit dem Finger auf die Jesusfigur. „Wir haben einen Deal. Vergiss das nicht. Ich habe meinen Teil erfüllt. Du nicht. Bisher jedenfalls nicht.“
Im Krankenhaus hing auch ein Kreuz im Zimmer. Als sie ständig kotzen musste und absolut keinen Bock mehr hatte, diesen Scheiß weiter über sich ergehen zu lassen, hatte sie mit Jesus einen Deal geschlossen. Sie machte weiter, dafür würde sie Elefanten sehen. Sie hatte keine Ahnung, woher der wusste, dass das ihr größter Wunsch war, seit sie denken konnte. Egal, sie hatte sich drauf eingelassen.
Die nächsten beiden Tage verstrichen in Zeitlupe. Nachts lag sie wach und überlegte, wann sie nach Afrika reisen würde. Und endlich war ihr Geburtstag da. Voller Ungeduld ging sie im Schlafanzug ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch lagen ein paar eingepackte Geschenke. Wie immer hatte sich Mama viel Mühe gegeben. Ein Schokokuchen mit Smarties verziert stand auch da. Eine Kerze brannte. Aber nichts, das nach einer Afrikareise aussah. Sie biss sich auf die Lippe.
„Happy birthday to you“, begannen Mama, Papa und Felix zu singen, als es klingelte. Felix lief zur Tür. Er hatte ein geheimnisvolles Grinsen im Gesicht.
„Wer war’s?“, wollte Papa wissen.
„Nur der Postbote.“ Felix verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „War zu viel für den Briefkasten.“
„Willst du nicht deine Geschenke auspacken?“, fragte Mama.
Mila nickte, zwang sich zu einem Lächeln und öffnete die Päckchen.
„Felix“, sagte Mama, „du machst mich ganz kirre. Setz dich, bitte.“
„Gleich“, gab er zurück und stellte sich direkt vor Mila, sodass sie nicht weiterauspacken konnte. „Es gibt eine Organisation, die kranken Kindern ihre Wünsche erfüllt“, sagte er. „Ich hab da hingeschrieben und denen erzählt, dass du mal Elefanten sehen willst. Und zwar nicht im Zoo.“
„Und?“, fragten alle unisono.
„Sie haben geantwortet“, triumphierte er und zog einen Umschlag hinter seinem Rücken hervor und reichte ihn ihr.
Mila hielt die Luft an. Zögernd griff sie nach dem großen Kuvert.
„Jetzt mach schon auf.“ Felix zappelte von einem Fuß auf den anderen.
Bedächtig öffnete sie den Umschlag. „Liebe Mila“, las sie laut, „ganz herzliche Glückwünsche zu deinem zehnten Geburtstag. Leider müssen wir dir mitteilen, dass es in Coronazeiten nicht möglich ist, nach Afrika zu reisen.“ Sie ließ den Brief sinken. Tränen hingen hinter ihren Wimpern. Sie schluckte.
„Das war doch nicht alles, oder?“ Felix riss ihr den Brief aus der Hand. Er sah genauso enttäuscht aus wie sie. Er überflog den Anfang, dann grinste er und las weiter. „Aber wir haben mit dem Betreiber des Serengetiparks in Hodenhagen in Niedersachsen gesprochen. Obwohl während Coronazeiten Freizeitparks geschlossen sind, erhielten wir eine Sondererlaubnis. Es wird uns eine Freude sein, dich und deine Familie am Samstag, den 28. November im Serentipark willkommen zu heißen und mit auf eine aufregende Safari zu nehmen.“
„Wow!“, sagte Mama und nahm Felix in den Arm. Der wand sich, kam aber nicht aus. „Das hast du toll gemacht. Mila was sagst du?“
Sie sah von einem zum anderen, dann lächelte sie. „Niedersachsen also. Ich wusste gar nicht, dass es in Deutschland einen Safaripark gibt.“
Papa klopfte Felix auf die Schulter. Mila verdrehte die Augen. Jetzt wäre er noch eingebildeter als ohnehin schon. Aber dann stand sie auf und umarmte ihn ebenfalls. „Danke“, flüsterte sie. „Ich komme gleich wieder.“ Sie ging in ihr Zimmer. Grinsend hob sie den Daumen in Richtung Kreuz. „Gerade noch mal die Kurve gekriegt.“
„Schau mal“, sagte Mama, „da ist noch eine Karte drin.“
„Ein Patenbrief“, korrigierte Papa. „Für Balu, den jüngsten Elefanten im Safarikpark.“
„Echt jetzt?“ Mila nahm ihm die Urkunde aus der Hand. „Mir gehört ein Elefant? Wie cool ist das denn?“
„Er gehört dir nicht“, sagte Felix. „Du bist bloß Patin. Ist Balu nicht ein Bär?“
„Balu“, erklärte Mama, „ist ein indischer Name und bedeutet jung.“
„Was du alles weißt“, meinte Papa.
„Ein eigener Elefant“, wisperte Mila und sah sich das Foto an. „Balu, was für ein schöner Name."
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
RE: SGZ Nr. 21: Der Deal
in Die Geschichten der Woche 22.11.2020 15:52von Bree • Federlibelle | 4.476 Beiträge | 18164 Punkte
Liebe @Doro
eine wirklich schöne, rührende Geschichte. Diese Organisation gibt es ja wirklich und ich hab immer Pipi in den Augen, wenn darüber im Fernsehen berichtet wird und die kranken Kinder vor Glück strahlen. Du hast das schön rübergebracht. Ich finde, die Geschichte schreit nach einer Fortsetzung, denn ich würde zu gern miterleben, wie Milas Ausflug in den Safari-Park wird.
Sehr schön geschrieben.
LG
Bree
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)
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RE: SGZ Nr. 21: Der Deal
in Die Geschichten der Woche 22.11.2020 16:15von Doro • Federlibelle | 2.416 Beiträge | 9470 Punkte
Zitat von Bree im Beitrag #2@Bree , das wollte ich eigentlich auch. Jedenfalls hatte ich es so geplant, aber dann lief die Zeit immer schneller und ich habe umdisponiert.
denn ich würde zu gern miterleben, wie Milas Ausflug in den Safari-Park wird.
Zitat von Bree im Beitrag #2
ch hab immer Pipi in den Augen, wenn darüber im Fernsehen berichtet wird und die kranken Kinder vor Glück strahlen.
Geht mir genauso.
[quote="Bree"|p4186]Sehr schön geschrieben.
DAnke!
LG
Doro
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RE: SGZ Nr. 21: Der Deal
in Die Geschichten der Woche 23.11.2020 08:04von Doro • Federlibelle | 2.416 Beiträge | 9470 Punkte
Liebe @Sturmruhe ,
Zitat von Sturmruhe im Beitrag #4dann hat man als Autor alles richtig gemacht.
die auch mir gerade Pipi in den Augen beschert hat, liebe @Doro !
Danke!
LG
Doro
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RE: SGZ Nr. 21: Der Deal
in Die Geschichten der Woche 25.11.2020 14:58von Sinjane • Federlibelle | 492 Beiträge | 2770 Punkte
@Doro , toller Deal, den Mila da ausgehandelt hat! Und Jesus musste ganz schön kreativ werden, um "die Kurve noch zu kriegen", wie sie selbst so schön sagt. Sehr berührend und mit den passenden Worten geschrieben. Ich hoffe, Mila wird gesund und kann als Erwachsene nach Kenia fahren. Elefanten in freier Wildbahn sind einfach ein tolles Erlebnis.
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Um erfolgreich zu schreiben, lies viel und schreibe viel (frei nach: Stephen King) Und trink viel Kaffee (ergänzt durch: Sinjane)
RE: SGZ Nr. 21: Der Deal
in Die Geschichten der Woche 28.11.2020 21:52von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.245 Beiträge | 9969 Punkte
Liebe @Doro, ein ernstes Thema sehr heiter und locker geschrieben, eine sehr schöne Geschichte. Lebendig und unsentimental geschrieben - Mila kommt sehr authentisch rüber, so wie sie redet - so wie sie denkt!
Wäre natürlich schön, wenn sie überlebt, wo sie jetzt auch Patin eines Elefanten ist!
Liebe Grüße
Carlotta Lila
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