|
SGZ 40 Die Sprache des Herzens
in Die Geschichten der Woche 01.10.2023 19:19von Tatjana • Forums-Schmetterling | 103 Beiträge | 358 Punkte
Da meine kommende Woche abgesehen von Dienstag recht voll ist, hab ich mir die neue SGZ vorgeknöpft:
Die Sprache des Herzens
Alina. Ihre Augen strahlend blau, blickten nun in die Ferne, während ihr Gedächtnis von der Demenz allmählich verschluckt wird.
Ihre Worte wirkten oft verloren - sie versuchte zu sprechen, aber die Worte entglitten ihr wie flüchtige Schatten. Oft ahnten oder vermuteten wir, was sie möchte und gehen darauf ein, z.B. wenn sie zur Toilette musste, dafür gab es einen Gesichtsausdruck, den wir schnell deuten konnten und mussten.
Es gab Tage, da zog Alina sich sehr zurück. Wir spürten, dass sie in der Welt, wie sie sie kannte, nicht mehr zurechtkam.
Manchesmal hatte sie einen ängstlichen Blick und andere male sah sie resigniert vor sich hin.
Wir versuchten ihr durch nonverbale Kommunikation, zu zeigen, was zu tun ist, wenn das Mittagessen vor ihr stand und sie nicht weiter wusste. Wir nahmen uns auch einen Teller, setzten uns zu ihr und aßen, immer darauf bedacht, dass sie uns beobachtet. Zeigten ihr durch »mmmh« dass es gut schmeckt. Dann lächelte sie und begann zu essen. Oft deuteten wir in ihrem Blick, den sie uns zuwarf, Erleichterung. Und solange es noch so funktionierte, war es definitiv auch würdevoller, als ihr das Essen einfach »anzureichen« (füttern sagt man in der Pflege auf gar keinen Fall).
Sie »verliert« immer mehr Worte, wir versuchten so gut wie möglich durch Handzeichen, Gesichtsausdrücke oder eben eine Handlung vormachen, zu helfen und auf sie einzugehen.
Aber dann. Dann gibt es die Momente, in denen wir in der Gruppe singen, und zwar sämtliche Volkslieder, die wir in Mappen gesammelt haben.
Alina singt jeden Vers mit OHNE Liedermappe und strahlt dabei über ihr ganzes Gesicht. Und sie strahlt, den gesamten Rest des Tages.
Das sind die Momente, in denen es mir kalt den Rücken runter läuft und wieder rauf.
Denn wir wissen, wir haben ihr etwas Besonderes gegeben.
Nonverbale Kommunikation und Kommunikation über Musik sind so wichtig in der Pflege und von unschätzbarem Wert. Über Musik "erreichen" wir nahezu alle Senioren.
Lerne, genau hinzuhören, genau hinzufühlen.
Der Schlüssel zum Schreiben ist, nicht nachzudenken!

RE: SGZ 40 Die Sprache des Herzens
in Die Geschichten der Woche 01.10.2023 21:50von Jana88 • Federlibelle | 516 Beiträge | 1178 Punkte
Demenz ist so eine fiese Krankheit.
Ich bin immer wieder dankbar für Menschen, die wirklich helfen den Menschen ein möglich würdevolles restliches Leben schenken.
Ein Text wahrer Worte.
*************************************************************************************************************************************
Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende *Oscar Wilde

RE: SGZ 40 Die Sprache des Herzens
in Die Geschichten der Woche 01.10.2023 22:39von Sabrina Meinen • Federlibelle | 495 Beiträge | 1370 Punkte
@Tatjana: oh ja, das Füttern habe ich am laufenden Band beobachten können. Es ist immer wieder erstaunlich, wie das vonstatten geht: eine Pflegekraft läuft von Mensch zu Mensch und schiebt sozusagen einen Löffel/Gabel in den Mund des Menschen. Ich weiß, dass es einen Fachkräftemangel gibt. Aber es gibt auch Möglichkeiten wie zum Beispiel eine Frühstücksgruppe zu gestalten in der sich die Menschen gegenseitig zum Essen animieren. Es funktioniert. Aber dafür müssen die Menschen die Chance erhalten auch selbst Löffel oder Gabel in die Hand
nehmen zu dürfen. Und ja, es dauert länger, sodass andere Programmpunkte hinten anstehen. Aber dann wird eben mal kein Marienkäfer gebastelt, nein, stattdessen erlebt der Mensch, Selbstwirksamkeit. Und das können Demenzerkrankte ganz oft noch. Nur Füttern wir sie, gehen doch noch mehr Fähigkeiten verloren ...
Finde den Mut für die Veränderung, die du dir wünscht,
die Kraft, es durchzuziehen
und den Glauben daran, dass sich alles zum Besten wenden wird.

RE: SGZ 40 Die Sprache des Herzens
in Die Geschichten der Woche 02.10.2023 17:08von Gini • Federlibelle | 1.736 Beiträge | 3514 Punkte
@Tatjana ich habe gelesen, dass du Seniorenbetreuerin bist. Ich arbeite bei der Alzheimergesellschaft.
Du hast es sehr bildlich beschrieben, dass man mit Gesten und MImik viel erreichen kann.
Aber manchmal geht auch das nicht mehr. Wir hatten eine Dame in unserer Gruppe, die konnte gar
nicht mehr reden. Aber singen. Das ging und auch die Texte sang sie, als hätte sie kein Vergessen.
Es gibt aber auch Menschen, die nicht mehr essen können. Dann müssen wir ihnen die Mahlzeit, bei uns
ist es immer das Frühstück, das Brot sehr direkt anreichen.
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)

RE: SGZ 40 Die Sprache des Herzens
in Die Geschichten der Woche 02.10.2023 19:59von Tatjana • Forums-Schmetterling | 103 Beiträge | 358 Punkte
@Sabrina Ich finde auch, solange es geht, sollte man versuchen die Menschen selbstständig essen zu lassen. Okay, es gibt Fälle da geht das dann wirklich nicht mehr. Aber meist wird zu früh ins "anreichen" übergegangen.
Lerne, genau hinzuhören, genau hinzufühlen.
Der Schlüssel zum Schreiben ist, nicht nachzudenken!

RE: SGZ 40 Die Sprache des Herzens
in Die Geschichten der Woche 02.10.2023 20:04von Tatjana • Forums-Schmetterling | 103 Beiträge | 358 Punkte
@Gini Natürlich gibt es "Fälle" wo es wirklich nicht mehr selbstständig geht. Und na klar muss man dann das Essen anreichen.
Vielen fällt es schwer, das "Esstempo" des Betroffenen herauszufinden. Oder es fehlt die Ruhe/Zeit dafür. Doch die werde ich mir solange es geht nehmen. Ich bin z:B.ein langsamer esser und möchte sicher nicht, dass man mir das Essen zu schnell anreicht. oder umgekehrt. Das ist in unseren Berufen immer wieder Thema. Zum Glück stehen viele Kollegen und Arbeitgeber hinter einem und ich hoffe, dass es überall so ist.
Lerne, genau hinzuhören, genau hinzufühlen.
Der Schlüssel zum Schreiben ist, nicht nachzudenken!

RE: SGZ 40 Die Sprache des Herzens
in Die Geschichten der Woche 06.10.2023 17:05von Bree • Federlibelle | 3.882 Beiträge | 15327 Punkte
Liebe @Tatjana
du hast sehr einfühlsam geschildert, was mit Alina passiert, und der Schluss mit dem Singen hat auch mich am meisten berührt. Das Langzeitgedächtnis funktioniert ja bei vielen Demenzkranken noch, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es die Betroffenen glücklich macht, wenn sie, z. B. beim Singen, merken: "He, das kann ich jedenfalls noch!"
Zum Text:
Du bist wieder ein wenig durcheinandergekommen mit den Zeiten, aber das wird sicherlich mit etwas Übung besser werden.
Besonders gut gefallen haben mir diese Formulierungen:
Zitat von Tatjana im Beitrag #1
von der Demenz allmählich verschluckt
Zitat von Tatjana im Beitrag #1
entglitten ihr wie flüchtige Schatten.
Damit schaffst du tolle Bilder! Sehr schön!

LG
Bree
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)

_____________________________
______________________________________
Alles über meine Bücher & mich findet ihr auf meiner Website: www.brittabendixen.de
Einen eigenen Youtube-Kanal habe ich auch. Dort lese ich einige meine Geschichten.
Den Button findet ihr auf meinem Profil.

RE: SGZ 40 Die Sprache des Herzens
in Die Geschichten der Woche 07.10.2023 18:23von Tatjana • Forums-Schmetterling | 103 Beiträge | 358 Punkte
@Anka Dankeschön. Ich bin mir sicher, nein ich weiß, dass es für Angehörige der Betroffenen nicht leicht ist. Und kann so manche Verzweiflung voll verstehen.
Lerne, genau hinzuhören, genau hinzufühlen.
Der Schlüssel zum Schreiben ist, nicht nachzudenken!

RE: SGZ 40 Die Sprache des Herzens
in Die Geschichten der Woche 07.10.2023 18:26von Tatjana • Forums-Schmetterling | 103 Beiträge | 358 Punkte
@Bree Dankeschön. Auweia, darauf werde ich meinen Fokus mal deutlich mehr fixieren, damit ich nicht aus der Zeit falle. Ich mag diese Bezeichnung "lach". Genau Übung macht den Meister- Meister muss ich nicht werden. Ich möchte nur nicht mehr aus der Zeit fallen.
Lerne, genau hinzuhören, genau hinzufühlen.
Der Schlüssel zum Schreiben ist, nicht nachzudenken!

RE: SGZ 40 Die Sprache des Herzens
in Die Geschichten der Woche 08.10.2023 09:25von Doro • Federlibelle | 2.091 Beiträge | 8284 Punkte
Liebe @Tatjana ,
du beschreibst die Krankheit sehr anschaulich mit einigen wirklich schönen Bildern, z.B.
Zitat von Tatjana im Beitrag #1Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass Musik viel zum Wohlbefinden beiträgt. Meine Oma hatte einen Schlaganfall (vielleicht war sie auch zusätzlich dement, das weiß ich nicht mehr). Danach war sie in einem Pflegeheim. Sie hat uns am Schluss nicht mehr erkannt, konnte sich an so gut wie nichts mehr erinnern - bis auf die Kirchenlieder, die kannte sie mit allen Versen und hat sie mitgesungen.
aber die Worte entglitten ihr wie flüchtige Schatten.
Unsere Kinder hatten bei einer privaten Musiklehrerin Flöten bzw. Klavier-Unterricht. Die hat um Nikolaus herum die Nikolausfeier der Senioren in der Kirche mit allen Musikschülern musikalisch begleitet. Und im Sommer - meistens der Freitag der Zeugnisvergabe - haben die Kinder im Altenheim gesungen und gespielt. Da waren auch Vorschulkinder dabei, die haben Kinderlieder gespielt. Und die Senioren haben begeistert mitgesungen.
Jeden Mittwoch ist die Musiklehrerin im Altenheim und singt mit den Bewohnern. Ich spiele Akkordeon und war auch einmal dabei. Es gibt Liedermappen, aber viele brauchen sie nicht, weil sie alles auswendig können.
Mein Schwiegervater war dement und ich habe großen Respekt vor Leuten, die sich täglich um diese Leute kümmern.
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)

RE: SGZ 40 Die Sprache des Herzens
in Die Geschichten der Woche 08.10.2023 14:21von Tatjana • Forums-Schmetterling | 103 Beiträge | 358 Punkte
@Doro Das ist ja noch das I-Tüpfelchen Musik und Kinder. Da geht Senioren das Herz voll auf. Deshalb dürfen solche "einfachen" Lieder auch nicht in Vergessenheit geraten. Die kennt jeder irgendwie aus Schule Kindergarten und Co.
Mich begleiten die Lieder zusätzlich durch meine Arbeit und ich kann nur sagen: Auch wenns manchmal anstrengend ist, ich liebe meine Arbeit.
Lerne, genau hinzuhören, genau hinzufühlen.
Der Schlüssel zum Schreiben ist, nicht nachzudenken!

![]() 3 Mitglieder, 1 versteckter und 2 Gäste sind Online: Carlotta Lila, Anka, Bree Besucherzähler Heute waren 140 Gäste und 12 Mitglieder, gestern 122 Gäste und 7 Mitglieder online. |
![]()
Das Forum hat 2457
Themen
und
18536
Beiträge.
Heute waren 12 Mitglieder Online: Anka, Blattgold, blauer Granit, Bree, Carlotta Lila, Doro, Gini, Herbert Glaser, moriazwo, Sabrina Meinen, Tatjana, Ylvie Wolf |