|
SGZ 40 / 2023 Die Maler
in Die Geschichten der Woche 07.10.2023 21:38von Yggdrasil • Federlibelle | 1.267 Beiträge | 3233 Punkte
Die Maler
Ein Gong ertönte und zeigte damit an, dass die Ausstellung für heute in Kürze geschlossen wird. Wie zufällig hatten die beiden Männer sich im Raum der Sonderausstellung Leipold getroffen. Der Größere wandte sich um und flüsterte im Vorbeigehen dem anderen etwas zu. „Wir sehen uns in der Lobby.“
Er verließ den Raum, unauffällig folgte der Andere ein paar Minuten später. Das Haus der Deutschen Kunst schloss pünktlich.
Die beiden Männer ließen sich in die tiefen Sessel in der Lobby des Hotels Vierjahreszeiten nieder. Über den niedrigen Tisch schauten sie sich an. Wilhelm sah sich um und schnipste mit den Fingern. Ein Kellner kam geeilt um eine Bestellung aufzunehmen.
„Die Herren wünschen?“
„Zwei Weißbier und zwei Zigarren, bitte.“
Und an Emil gewandt: „Ist doch in Ordnung, oder?“
Der nickte, der Kellner verbeugte sich und verließ den Tisch.
„Meine Bilder …“, begann Emil, aber Wilhelm unterbrach ihn mit einem scharfen Blick und hob abwehrend die Hand.
„Noch nicht“, sagte er leise. Dann lauter: „Heldenhaft, unsere Jungs in Stalingrad, nicht wahr?“
Emil sah sich verwirrt um, konnte aber niemanden entdecken, der sie beobachtete. Er runzelte die Stirn.
Der Kellner kam und brachte das Gewünschte.
„Nun zünde in Ruhe die Zigarre an und nimm einen Schluck!“, forderte Wilhelm seinen Tischnachbarn auf. „Und nun können wir in Ruhe reden.“
„Ich möchte gern normal kommunizieren, kein Flüstern, keine Angst haben, dass man abgehört wird!“
„Verdammt Emil, du redest zu undeutsch! Kommunizieren! Warum nicht einfach unterhalten?“
„Ich rede zu undeutsch? So wie ich auch undeutsch male? Oder entartet, wie der Führer es ausdrückt.“
„Ja, so sind die Zeiten eben. Du schwimmst gegen den Strom, und musst die Folgen tragen!“
„Ja, so wie du nicht nur mit dem Strom schwimmst, ihn sogar noch antreibst. Reichskriegsmaler und Professor von Adolfs Gnaden! Ist da noch freie Kunst möglich?“
Emil hatte sich nach vorn über den Tisch gebeugt und schaute seinen Malerkollegen Wilhelm Petersen fest in die Augen.
„Nun mach mal halblang. Mir hast du es zu verdanken, dass deine Bilder 1938 aus der Sammlung entarteter Kunst entfernt worden sind. Ich habe mich für dich eingesetzt, beim Speer und bei Göbbels.“ Auch Petersen hatte sich in seiner Erregung vornüber gebeugt.
Die beiden Maler lehnten sich wieder in ihre Sessel zurück und zogen an ihren Zigarren.
Petersen schaute sein Gegenüber an. „Mein lieber Nolde, wenn wir nun unser Pulver verschossen haben, kommen wir doch auf unsere Kunst zurück. Klar, künstlerisch sitzen wir in vollkommen entgegensetzten Lagern. Politisch aber verehren wir doch beide unseren Führer, du und ich. Und du hast dich doch schon vor zehn Jahren mit der Judenfrage befasst, als ich noch nicht einmal daran gedacht hast.“
Nolde rutschte in seinem Sessel hin und her. „Mag sein, Petersen, aber darüber wollen wir heute nicht sprechen. Ich habe ein paar Probleme, und du als Landsmann der Küste und Künstlerkollege …“.
„Aha, nun bin ich auf einmal ein Kollege!“
„Lass stecken, Wilhelm, wir haben doch schon ein paar Mal darüber gesprochen. Und wir haben trotz unserer unterschiedlichen Auffassungen, was die Kunst betrifft, ein, wie soll ich sagen, ja, ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Stehst du noch dazu?“
Petersen sah Nolde an, dann streckte er die Hand über den Tisch. „Klar, Emil, Hand drauf.“
Nolde ergriff die Hand. Dann ergriffen die Beiden ihre Gläser.
„Zum Wohl, Emil.“
„Auf dein Wohl, Wilhelm.“
„Ich will dir was sagen, Nolde. Wenn die Zeiten anders wären, würde ich malen wie du, expressionistisch, wie du den Stil nennst. Ich bewundere dich für deine Kunst.“
Emil sah seinen Kollegen erstaunt an.
„Aber warum malst du denn nicht so?“
Petersen lächelte vor sich hin.
„Ich habe ein paar Blätter, aber ich habe sie wieder vernichtet.“
„Warum? Waren sie nicht gut?“
„Ich denke schon, aber ich darf so nicht malen, ich sitze zu nahe am Machzentrum, am Führer.“
Der Kellner kam an den Tisch. „Darf es noch etwas sein, die Herren? Noch zwei Weiße?“
Emil nicht, der Kellner ging.
Die Männer sahen sich eine Weile schweigend an. Der Kellner brachte die beiden Biere. Emil räusperte sich, aber Wilhelm kam ihm zuvor.
„Nun zu deinen Problemen, erzähle.“
RE: SGZ 40 / 2023 Die Maler
in Die Geschichten der Woche 08.10.2023 09:12von Doro • Federlibelle | 2.481 Beiträge | 9741 Punkte
Lieber @Yggdrasil ,
Wilhelm Petersen sagte mir gar nichts. Den hab ich jetzt erst mal gegoogelt. Genau wie Emil Nolde. Den kenn ich zwar, aber mir war nicht bewusst, dass er ein Nazi gewesen war.
Dafür weiß ich jetzt, dass Peteresen einen Teil der Mecki-Geschichten illustriert hat.
Ein sehr interessante Geschichte, Kopfkino lief mit.
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
RE: SGZ 40 / 2023 Die Maler
in Die Geschichten der Woche 09.10.2023 11:40von Bree • Federlibelle | 4.567 Beiträge | 18660 Punkte
Lieber @Yggdrasil
ein hochinteressanter Plot, den ich in einem Rutsch gelesen habe. Emil Nolde, der hochverehrte Maler, war also ein Nazi. Kaum zu glauben, dass nach ihm in Flensburg ein Museum und eine Straße benannt wurden!
Wilhelm Petersen war auch mir bisher kein Begriff, dank dir hat sich das nun geändert. Wofür ich weniger dankbar bin, ist das Ende, denn ich hätte gern noch erfahren, von was für Problemen Emil gesprochen hat.
Interessiert gelesen.
LG
Bree
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)
_____________________________
______________________________________
Alles über meine Bücher & mich findet ihr auf meiner Website: www.brittabendixen.de
Einen eigenen Youtube-Kanal habe ich auch. Dort lese ich einige meine Geschichten.
Den Button findet ihr auf meinem Profil.
RE: SGZ 40 / 2023 Die Maler
in Die Geschichten der Woche 09.10.2023 13:16von Yggdrasil • Federlibelle | 1.267 Beiträge | 3233 Punkte
@Bree Du hast Recht, es handelt sich lediglich um einen Fetzen aus einem Roman, an dem ich mich seit Kurzem versuche (1944/1990, in Deutschland und Schweden und Norwegen). Es handelt sich um die Jagd nach verschwundenen Bildern Noldes. Das Gespräch habe ich spontan auf Grund des SGZ-Themas geschrieben.
RE: SGZ 40 / 2023 Die Maler
in Die Geschichten der Woche 09.10.2023 21:34von Anka • Federlibelle | 763 Beiträge | 3377 Punkte
@Yggdrasil, super interessant, deine Geschichte. Ich liebe Texte, wo historische Persönlichkeiten lebendig werden. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich beide Maler nicht kannte. Du hast mich neugierig gemacht und ich habe auch gleich gegoogelt. Ich wünsche dir gutes Gelingen bei dem Projekt! Bitte halte uns auf dem Laufenden darüber. Klingt wirklich spannend.
Geschichten schreiben ist wie zaubern!
www.writeandride.de
Besucher
1 Mitglied und 1 Gast sind Online: Doro Besucherzähler Heute waren 3 Gäste und 2 Mitglieder, gestern 25 Gäste und 15 Mitglieder online. |
Forum Statistiken
Das Forum hat 2953
Themen
und
21708
Beiträge.
Heute waren 2 Mitglieder Online: blauer Granit, Sturmruhe |