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SGZ 39/23 In der Umkleidekabine
in Die Geschichten der Woche 24.09.2023 11:33von Sabrina Meinen • Federlibelle | 579 Beiträge | 1709 Punkte
Bevor die Geschichte los geht muss ich kurz etwas erwähnen. Ich habe mehr als eine Stunde gebraucht. Ich weiß nicht wann sie zu Ende war, denn mein Jüngster fordert mich gerade und mein Mann hat Mäusekot im Keller entdeckt. Also wurde ich beim Schreiben unterbrochen. Ebenso habe ich diesmal zwei Enden. Mir sind zwei Ideen gekommen, wie ich das auflösen kann. Darum habe ich zwei geschrieben und ihr sucht euch aus, welches euch mehr gefällt.
"Ich bin zu fett." Wie ich dieses Gejammere hasse.
"Nein, du hast eine tolle Figur." Ah, der Klassiker. Also ist in der Kabine nebenan ein Pärchen. Sie probiert irgendwelche Sachen an und fordert über "'Mimimi"-Gehabe Komplimente ein.
"Aber sieh doch mal wie breit mein Po in der Hose ist." Anscheinend braucht sie noch weitere Bestätigung, dass sie die hübscheste und schönste hier im ganzen Land ist. Finde ich total dumm, wenn solche Weiber so tun, als wären sie dick oder unförmig, dabei haben sie weder Zellulite noch zu viel Fett am Ohrläppchen.
"Nö, der sieht total knackig aus." Seine Stimme nimmt einen gelangweilten Ton an. Offenbar kennt er seinen Job beim Shoppengehen sehr gut. Scheint ihn nur nicht sonderlich zu mögen.
Aus einer anderen Kabine dringt Gekichere.
Wenn ich raten soll, ist die auf der Reihe gegenüber. Könnte die mittlere sein.
"Ja, wenn er das sieht, wird er dich sofort ausziehen wollen." Gelächter in hohen Tönen, dass versucht Worte zu formen.
"Ja? Meinst du? Dann brauche ich auch neue Unterwäsche." Okay, die beiden Mädels - den Stimmen nach Anfang 20 - fühlen sich hier fast wie zu Hause, so offen wie die reden.
"Hihi, ich such dir etwas passendes." Erneutes Lachen in hohen Tönen, gespickt mit Worten, die ich mehr errate als dass ich sie verstehe.
"Aber nimm keine Push. Das törnt ihn ab." Jap, die beiden sind hier zu Hause.
"Hm, wie willst du dann mit deiner A das Dirndl ausfüllen?" Statt Gekichere gibt es ernste Worte.
Zu gern würde ich in die Kabine spähen.
"A? Ich habe B!" Die Empörung der Anfang-Zwanzigerin strömt durch die Lücken die der Vorhang meiner Kabine hinterlässt, weil er nicht ganz bündig mit der Umkleidekabine abschließt.
Seufzen: "Ist ja gut. Ich nehme B." Vorhangraschelnd stöckelt die andere junge Frau weg.
Neben mir ist es leise geworden. Keine zwanghaft ausgesprochenen Lobsätze mehr. Dafür ... ?
Stöhnt und Keucht da jemand: "Jaaa"
Hui, ein erotischer Hauch von einem Wort.
Was machen die da? Haben die etwa? Nein! Bitte nicht, solange ich hier fest sitze. Lautes Geklopfe - oder stößt er sie etwa an die Kabinenwand?
Mein Gesicht wird warm. Und im Spiegel zeigen sich rote Flecken auf meinen Wangen. Fremdschämen kenne ich eher bei gewissen Fernsehsendungen, weniger im realen Leben.
"YES!"
Gut, er hats hinter sich gebracht. Zum Glück sind die von der schnellen Sorte.
"Oh danke." Ernsthaft? Eine Frau, die sich bedankt weil er gekommen ist?
"Und was meinst du? Wie ist es?" Häh? Seit wann fragt die Frau nach dem Sex wie es war? "Ja, sieht schön aus." Nochmal schlägt er einen gelangweilten Ton an.
"Soll ich die Jeans dann kaufen?" Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Wie kommt jetzt die Jeans ins Spiel?
"Wenn du jemanden findest, der dir ständig hilft sie anzuziehen, dann ja."
Achso, die hatten keinen Sex. Stattdessen hat er ihr geholfen eine Jeans anzuprobieren.
Erleichterung mit einer Spur Peinlichkeit für meine eigene Interpretation der Geräusche macht sich in meinem Körper breit, zieht vom Herz bis in meine Finger und Zehen.
"Dann findest du mich also doch zu dick!" Scharfe Worte.
"Nö, nur, dass du nicht mehr versuchen solltest dich in eine 32 zu zwängen."
"Dich nehme ich nie wieder zum shoppen mit. Du bist ein Katastrophe! Du hast überhaupt keinen Sinn für Mode!"
"Ja ja. Dann hast du sicher nichts dagegen, wenn ich mir jetzt einen Döner hole."
"Ja! Meinetwegen."
Wie schön, dass er erlöst und sich eben Essen holen kann. Würde ich jetzt auch gerne machen.
"So, hier sind deine BHs." Die Freundin ist von der schnellen Sorte.
"Was ist das denn? Das kannst du tragen, wenn du Papa verführen willst." Bumm.
Der Satz haut gegen mein Stirn. Echt? Mutter und Tochter? Mit diesen Stimmen? So wie die geredet haben, hätte ich das nie erwartet.
Vorhanggeraschel und andere Geräusche dringen zu mir. In meiner Vorstellung wirft die Tochter die Sachen aus der Kabine heraus.
"Mein Kind. Ich sehe, dass du wütend wirst. Was brauchst du?" Anscheinend ist der Mutter die "Erziehung auf Augenhöhe" oder Bedürfnisorientierung oder wie die ganzen neuen Stile heißen, absolut wichtig.
"Eine Mutter, die nicht so viel Scheiße labert! Da denke ich, wir könnten uns über eine Shoppingtour ... wieder besser ... vertragen. Da kommst du mit deinem Bedürfniskack und machst dich über meine Körpchengröße lustig."
"Ich sehe du willst lieber allein sein."
"Genau. Verschwinde. Ich rufe lieber Tamara an. Die weiß was ich brauche." Lautes Gerufe. Demnach ist die Mama weg.
Ringringring. Oh mein Telefon.
Ende 1:
"Mein Schatz? Endlich rufst du zurück. Kannst du bitte in die Frauenabteilung kommen? Erste Umkleide auf der rechten Seite. Direkt neben so glitzrigen T-shirts." So leise wie möglich spreche ich in mein Telefon.
"Ja, aber warum kommst du nicht runter?"
"Ich habe da ein Problem." Hoffentlich hören mich die anderen beiden nicht.
"Was denn?"
"Komm her und sieh es dir an."
Circa drei Minuten später schiebt sich der Kabinenvorhang leicht zur Seite.
Das Gesicht meines Mannes erscheint. Zunächst friert es ein. Dann zieht er den Vorhang weiter auf und verfällt in lautes Gelächter. Was leider die beiden in den anderen Kabinen animiert, heraus zu kommen.
Während mein Mann weiter lacht, starrt mich von rechts eine Mittzwanzigerin im Dirndl, deren Ausschnitt schlaff hängt, an - die Mama hat recht was die Oberweite betrifft. Links starrt mich eine Brünette an, deren Hüftspeck über dem Hosenbund hängt. Mein Blick fällt auf ihren Schritt: entweder gibt gleich der Knopf oder der Reißverschluss nach.
"Warte, ich helfe dir." Erbarmt sich mein Mann.
Vom Lachen geschüttelt, versucht er mich aus einem 1500 Euro teuren Kleid zu befreien. Um den Reißverschluss zu schließen griff ich über meinen Kopf nach hinten. Dummerweise verhakte sich mein Armreif in der Spitze des Kleides. Um es nicht kaputt zu machen, bin ich in dieser Haltung erstarrt und habe meinen Mann versucht per Jandy zu erreichen.
Ende 2:
"Sag mal, hast du mich hier vergessen?" Ich kann meinen Frust kaum verbergen, mühe mich jedoch leise zu reden. Schließlich können die beiden Frauen mit hören.
"Nein natürlich nicht." Manchmal macht sie mich wütend mit ihren Ideen. Warum habe ich mich darauf eingelassen?
"Na, hast du nun eine Jeans oder nicht. Kann doch nicht so schwer sein."
"Schimpf mich bitte nicht. Ich kenne mich zu wenig in diesem riesigen Laden aus. Ich musst erst mal die richtige Abteilung finden."
Wahrscheinlich hatte sie sich wie üblich drei mal verlaufen und musste fünf Leute nach dem Weg fragen.
"Mach hinne! Ich will endlich wieder aus diesen Klamotten heraus."
"Aber die Bilder schieße ich vorher noch."
"Wenns sein muss. Und wie abgesprochen, ohne mein Gesicht."
"Na klar, hab doch die Maske dafür."
Wieso kann ich ihr keinen Gefallen abschlagen?
Etwa zehn Minuten später steht meine Freundin vor der Kabine und schiebt den Vorhang beiseite.
"Das steht dir wirklich ausgezeichnet. Muss ich schon sagen."
Auf ihre schönen Worte habe ich aber keine Lust: "Steht mir wenigstens die neue Hose ausgezeichnet?"
"Bestimmt. Tut mir noch mal Leid, dass ich dir meinen rote Beetesaft darauf gekippt habe." Rehaugen blicken mich an und bitten mich um Verzeihung.
"Herrje, den hättest du wirklich außerhalb dieser engen Kabine trinken sollen. Meine schöne beige Hose. Immerhin hat das Dirndl nichts abbekommen. Und nun mach schnell die Fotos."
"Warte, ich brauche mehr Licht und Platz, ich mach nur kurz den Vorhang zur Seite."
Nach etwas Geraschel stehen zwei Frauen neben meiner Freundin. Von rechts starrt mich eine Mittzwanzigerin im Dirndl an, deren Ausschnitt schlaff hängt - die Mama hat recht was die Oberweite betrifft. Links starrt mich eine Brünette an, deren Hüftspeck über dem Hosenbund hängt. Mein Blick fällt auf ihren Schritt: entweder gibt gleich der Knopf oder der Reißverschluss nach.
Schallend beginnen beide zu Lachen.
"Wollen Sie etwa auch auf die Wiesn?" fragt die Frau im Dirndl.
"Nein."
"Ich mache ein Fotoprojekt. Es hat den Titel 'Klischees auf der Wiesn. Auch Männer können Dirndl tragen'."
Dem mag ich nichts mehr hinzuzufügen
Finde den Mut für die Veränderung, die du dir wünscht,
die Kraft, es durchzuziehen
und den Glauben daran, dass sich alles zum Besten wenden wird.
RE: SGZ 39/23 In der Umkleidekabine
in Die Geschichten der Woche 24.09.2023 12:18von Bree • Federlibelle | 4.527 Beiträge | 18453 Punkte
Liebe @Sabrina Meinen
witzig! Solche Umkleide-Gespräche haben wirklich literarischen Wert, gut, dass du uns ein wunderbares Beispiel dafür lieferst!
Nach dem 1. Ende hatte dieses meine Stimme, denn die Vorstellung mit der festgefrorenen Haltung war zu herrlich!
Am Schluss von Ende Nr. 2 musste ich aber so derb grinsen, dass mir die Entscheidung zu schwer fällt, um sie zu treffen. Ich finde beide einfach genial!
Danke für den Sonntags-Schmunzler!
LG
Bree
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)
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Alles über meine Bücher & mich findet ihr auf meiner Website: www.brittabendixen.de
Einen eigenen Youtube-Kanal habe ich auch. Dort lese ich einige meine Geschichten.
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RE: SGZ 39/23 In der Umkleidekabine
in Die Geschichten der Woche 24.09.2023 17:39von -jek • Federlibelle | 737 Beiträge | 2202 Punkte
Beide Varianten sind Spitze! Ich bin für Variante eins mit einem verknappten letzten Satz. Eine zu lange Erkärung nimmt der Pointe den Biss.
Also entweder: "Dummerweise verhakte sich mein Armreif in der Spitze des Kleides, ließ mich in der Haltung erstarren, und alleine hätte ich ihn ohne Stoffbeschädigung nicht lösen können.".
Oder: "Dummerweise verhakte sich mein Armreif in der Spitze des Kleides und ließ mich in der Haltung erstarren, bis der Retter endlich kam.
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Wenn du Schreibregeln beherrscht, ist das gut. Wenn sie dich beherrschen, ist das schlecht.
RE: SGZ 39/23 In der Umkleidekabine
in Die Geschichten der Woche 29.09.2023 15:59von Anka • Federlibelle | 759 Beiträge | 3353 Punkte
Liebe @Sabrina Meinen,
was für eine witziges Dialoggefecht und dazu die lustigen Gedanken deiner Prota.
Das Lesen hat mir wirklich Spaß gemacht und ich konnte die Akteure genau vor mir sehen - obwohl sie hinter dem Vorhang waren.
Mir gefällt auch Variante 1 besser. Variante 2 ist ein super Einfall, doch die Auflösung, dass ein Mann in der Kabine festsitzt, hat mich etwas verwirrt. Oder habe ich da etwas falsch verstanden? Mir war nicht ganz klar, wer am Ende spricht.
Super Beitrag zum Thema. Danke für dieses Lesevergnügen!
Geschichten schreiben ist wie zaubern!
www.writeandride.de
RE: SGZ 39/23 In der Umkleidekabine
in Die Geschichten der Woche 29.09.2023 18:34von Sabrina Meinen • Federlibelle | 579 Beiträge | 1709 Punkte
Finde den Mut für die Veränderung, die du dir wünscht,
die Kraft, es durchzuziehen
und den Glauben daran, dass sich alles zum Besten wenden wird.
RE: SGZ 39/23 In der Umkleidekabine
in Die Geschichten der Woche 30.09.2023 14:00von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.285 Beiträge | 10173 Punkte
Liebe @Sabrina Meinem! Sehr lebendig, originell und voller Situationskomik. Die erlauschten Dialoge sind teilweise richtig skurril! Ein wenig komme ich bei dem rasantem, sprunghaft Erzählstil durcheinander: wer redet grad mit wem? - Das hat aber auch einen interessanten Effekt, weil ich sehe dann vor mir lauter Leute gleichzeitig, während sie sich umziehen und reden.
Mir gefällt übrigens das erste Ende besser.
Liebe Grüße
Carlotta Lila
https://www.leseflamme.jimdofree.com
Unsere größte Schwäche liegt im Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es noch einmal zu versuchen.
Thomas Alva Edison
RE: SGZ 39/23 In der Umkleidekabine
in Die Geschichten der Woche 01.10.2023 14:49von Tatjana • Forums-Schmetterling | 105 Beiträge | 365 Punkte
@Sabrina Mir gefällt die Variante 1 am besten. Wobei beide gelungen sind.
Ich erwische mich selbst tatsächlich hin und wieder beim "unbewussten Beobachten von Gesprächen anderer Leute. Und so manche Notiz dazu ist schon von mir festgehalten worden.
Lerne, genau hinzuhören, genau hinzufühlen.
Der Schlüssel zum Schreiben ist, nicht nachzudenken!
RE: SGZ 39/23 In der Umkleidekabine
in Die Geschichten der Woche 03.10.2023 18:51von Sabrina Meinen • Federlibelle | 579 Beiträge | 1709 Punkte
@Tatjana: Wenn ich zu einer Fanilienfeier bin, passiert es schon mal, dass ich mich bei einer Gesprächsrunde beteilige, aber einer weiteren lausche.
Wenn wir danach wieder nach Hause fahren, hat mein Mann zwar spezifischere Infos, weil er bei einer Runde bleibt, dafür kann ich die "pikanteren" Details nennen, weil ich hier und dort meine Aufmerksamkeit habe.
Selbst wenn wir in einem Restaurant oder Urlaub sind, kann ich etliche Details liefern was andere so "von sich geben".
Finde den Mut für die Veränderung, die du dir wünscht,
die Kraft, es durchzuziehen
und den Glauben daran, dass sich alles zum Besten wenden wird.
RE: SGZ 39/23 In der Umkleidekabine
in Die Geschichten der Woche 04.10.2023 10:26von Doro • Federlibelle | 2.449 Beiträge | 9597 Punkte
Liebe @Sabrina Meinen ,
auch ich bin für Ende 1, wobei ich, wie @-jek gemeint hat, auch den letzten halben Satz streichen würde. Der Leser weiß ja, dass sie telefoniert hat.
Ansonsten ein gelungener Text, hab mich köstlich amüsiert, weil ich diese Art der Dialoge auch schon öfter gehört habe. Auch die Idee mit den beiden Enden finde ich gut. Kann ja jeder Leser selbst entscheiden, welches ihm besser gefällt.
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
RE: SGZ 39/23 In der Umkleidekabine
in Die Geschichten der Woche 07.10.2023 18:54von Jana88 • Federlibelle | 569 Beiträge | 1310 Punkte
Typisch Einkaufszentrum :-)
Ich bin auch für das erste Ende, das ist knackiger.
Genau so kann es einem jeden Tag passieren, sehr authentisch.
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Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende *Oscar Wilde
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