#1

SGZ 21/23 Frühstück

in Die Geschichten der Woche 25.05.2023 09:52
von Sabrina Meinen • Federlibelle | 569 Beiträge | 1677 Punkte

Hoffentlich sind sie diesmal süßer. Beim letzten Mal waren sie ein Reinfall. Der Große hat sofort gespuckt: "Mama! Ich will das nicht. Das schmeckt Scheiße"
Am liebsten hätte ich gebrüllt: "Dann suchst du eben die nächsten aus. Und Scheiße sagt man nicht!"
Jahre zuvor hätte er andere getadelt, dass 'man Scheiße nicht sagt'. Der Gedanke an eine längst vergangene Zeit erfüllt mich mit Sehnsucht. Seine kurzen braunen Haare, die ihm ein freches aussehen verliehen, kombiniert mit dem typischen Schwung um den Mund aus der Familie meines Mannes.
Was hat er damals gelacht. Und er war so einfach zufrieden zu stellen. Stoffmalstifte für 1,99 €, ein graues T-shirt und er klebte den ganzen Tag an mir. Als ich ihm eine Schatzkarte auf die Rückseite seines Shirts malte, hing er eine komplette Woche an mir.
Ich vermisse es, wie er mich bat, ihn hoch zu nehmen, in das Bad zu tragen. Ihm vorzulesen, während er sich auszieht und wäscht. Seine Begeisterung für die Geschichten, die ihn immer wieder ablenkte, er fasziniert die Bilder ansah und alles wissen und verstehen wollte.
Auf meiner Hand läuft ein Rinnsaal lang. Meine Finger haben sich in die halbierte Frucht gekrallt und ihr einen Teil des Saftes geraubt. Oh nein, das ist nicht gut. Wenn zu wenig Saft zusammen kommt, hat er einen weiteren Grund zu meckern.
7.23 Uhr - zu spät um eine weitere Orange zu kaufen. In nicht mal einer halben Stunde wird er aufstehen und Frühstück erwarten. Vielleicht kann ich etwas retten?
Schnell greife ich das Saftglas und lasse den Orangensaft von meiner Hand in das Glas tropfen. Zwei kleine Safttropfen landen auf dem Glasboden.
So, jetzt keine Zeit mehr vertrödeln. Es gibt viel vorzubereiten.
Mit kräftigen Dreh- und Drückbewegungen in Kombination mit Schnauben klaube ich jedes einzelne Milliliter aus drei Orangen. Lasse den Saft durch ein Sieb laufen, damit die groben Fruchtstücke später nicht in seinen Zähnen hängen und er mich schimpft.
Sollte ich Zucker dazufügen? Sehr dezent um sicher zu gehen? Ja, ist besser. Sonst hat er den ganzen Tag schlechte Laune und macht mir Vorhaltungen in allen Dingen.
Hektisch verbesser ich den Orangensaft, suche die restlichen Dinge für das Frühstück zusammen und beginne ihm ein Brot zu schmieren. Als er in die Schule kam, setzte ein Selbständigkeitswahn bei ihm ein. Weil er ein "Großer" war, fing er an, seine Brote selbst zu machen. Dekorierte sie mit Salat, garnierte sie mit Gurke und Tomate. Seine Sandwichs waren die Wucht und wurden in der Schulpause neidisch begafft. Am Muttertag stand er extra früh auf und hatte ein kaltes Buffet gezaubert, dass sich mit einem fünf Sterne Restaurant messen konnte. Heute? Übernehme ich alles. Keine Ahnung was ich verpasst habe. Wahrscheinlich habe ich ihn zu sehr verwöhnt als sein Papa auszog. Dabei wollte ich nur, dass es ihm gut geht und er nicht leiden muss.
"Mutter! Das Frühstück."
"Ich eile." Automatisch schnappe ich was ich geschafft habe.
Irgendwie werde ich langsamer in den letzten Tagen. Sonst hat mir eine Stunde zur Vorbereitung locker gereicht.
"Du bist ja nicht mal geduscht!"
"Ja, die Brotschneidemaschine hat vorhin ihren Geist aufgegeben."
"Hätte dir das nicht vorher auffallen können, dass die nicht mehr geht! Musst du besser drauf achten. Wo ist mein Saft? Du weißt den will ich als erstes! Und bring gefälligst den Rest vom Frühstück mit."
"Kommt schon, kommt schon."
Elfengleich versuche ich in die Küche zu schweben und balanciere Butter, Besteck und Teller auf meinen Händen."
"Die Eier sind da, gut. Auch der Porridge. Aber mein Brot hast du nicht fertig gemacht."
"Ich hab es nicht geschafft."
"Was machst du den ganzen Morgen?"
"Dein Frühstück..." Langsam lasse ich meinen Körper auf den Schwingstuhl gleiten. Nehme mir die halb fertige Scheibe Brot.
Plötzlich reißt er mir alles aus meinen Händen. "Mach ich selbst!" Und nimmt einen Schluck Orangensaft zu sich. "Bäh! Hast du Zucker rein?"
Traurig sehe ich den Menschen vor mir an. Einst war er wunderschön. Inzwischen hat ihn der Alkohol gezeichnet. Seine braunen Haare sind von grauen Strähnen durchzogen, auf der Stirn haben sich Falten eingegraben. Wann habe ich es verpasst ihn nicht mehr als Kind zu betrachten?


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#2

RE: SGZ 21/23 Frühstück

in Die Geschichten der Woche 26.05.2023 13:04
von Bree • Federlibelle | 4.335 Beiträge | 17407 Punkte

Liebe @Sabrina Meinen

sehr geschickt führst du den Leser an der Nase herum. Man denkt, man hat es mit einem Schulkind zu tun - aber weit gefehlt!
Es handelt sich um einen erwachsenen Mann, vom Alkohol gezeichnet, herrisch, ungeduldig und schwierig in der Handhabung. Woran diese Mutter keinen kleinen Anteil hat, vermute ich.
Man schwankt zwischen Mitleid mit ihr und Unverständnis. Wieso lässt sie sich von ihrem Nachwuchs derart mies behandeln?

Zitat von Sabrina Meinen im Beitrag #1
Stoffmalstifte für 1,99 €

Ich nehme an, als dieser Bub ein Kind war, gab es noch die DM. Aber das hätte vielleicht zu viel verraten. Am besten nicht den exakten Preis angeben, sondern sowas wie "für kleines Geld" benutzen.


LG
Bree


Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)

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#3

RE: SGZ 21/23 Frühstück

in Die Geschichten der Woche 26.05.2023 13:54
von Sabrina Meinen • Federlibelle | 569 Beiträge | 1677 Punkte

@Bree: Tatsächlich habe ich erst Stoffmalstifte für 1,99€ für meinen Sohn gekauft. Sie sind wie Wachsmalstifte, werden sich höchstwahrscheinlich nach einem Mal in der Maschine abgewaschen haben. Und die Schatzkarte auf dem grauen T-shirt existiert ebenfalls (noch).
Cool, dass ich dich in die Irre führen konnte. Beim Schreiben war der Junge auch anfangs ein Kind, aber er ist im Laufe der Geschichte plötzlich erwachsen geworden. Hat mich selbst überrascht, als die Ideen um mich herum flogen.


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#4

RE: SGZ 21/23 Frühstück

in Die Geschichten der Woche 27.05.2023 15:41
von Doro • Federlibelle | 2.350 Beiträge | 9189 Punkte

Liebe @Sabrina Meinen ,

ich war zunächst verwirrt, weil ich auch dachte, dass es sich um ein Kind handelt.

Zitat von Sabrina Meinen im Beitrag #1
Und Scheiße sagt man nicht!"
Da musste ich grinsen, weil mir einfiel, dass unser Sohn irgendwann seine Schwester beschimpft hat. Als ich sagte, dass ich nicht will, dass er hier so spricht, er das bei seinen Freunden machen könne, meinte er erstaunt, dass er mit seinen Freunden so nie reden würde. "Warum dann hier?", wollte ich wissen. "Ist ja nur meine Schwester!" Da fällt einem nix mehr ein. Trotzdem habe ich es geschafft, dass es daheim verbal relativ zivilisiert zugeht. Eine Nachbarin hat sich bei mir mal beschwert, weil ihre Kinder sie nicht respektvoll behandeln, sondern sie mit Ausdrücken beschimpfen. Aber das macht sie umgekehrt mit ihren Kindern auch. Und zwar schon seit Jahren. (Ihre Kinder waren imselben Kindergarten, später auf denselben Schulen.) Da braucht sie sich nicht wundern.


Zitat von Sabrina Meinen im Beitrag #1
Wann habe ich es verpasst ihn nicht mehr als Kind zu betrachten?
Zumindest behandelt sie ihn noch so.
LG
Doro


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#5

RE: SGZ 21/23 Frühstück

in Die Geschichten der Woche 27.05.2023 19:13
von Sabrina Meinen • Federlibelle | 569 Beiträge | 1677 Punkte

@Doro: Dein Sohn ist genial. Ist nicht toll, dass er sich seiner Schwester gegenüber so verhält, aber cool wie er die Situation reflektiert.
Um dem ganzen etwas positivem zu geben: Vielleicht fühlte er sich bei seiner Schwester wohl und hatte nicht das Gefühl auf tausend Etiketten achten zu müssen, sondern durfte auch Fehler zu lassen. Er musste sich nicht um die Beziehung zu ihr sorgen, denn sie würde immer seine Schwester bleiben. Dass er ihr gegenüber wahrscheinlich nicht nett war, ist eine andere Sache und das ist dann der Part von uns Eltern.

Es ist immer schwierig von anderen Dinge zu erwarten, die jemand selbst nicht beachtet. Es muss ja nicht perfekt beherrscht werden, dafür sollte immerhin der Versuch die eigenen Regeln einzuhalten, da sein.


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#6

RE: SGZ 21/23 Frühstück

in Die Geschichten der Woche 28.05.2023 07:23
von Doro • Federlibelle | 2.350 Beiträge | 9189 Punkte

Zitat von Sabrina Meinen im Beitrag #5
aber cool wie er die Situation reflektiert.
Ja, das konnte er schon als kleines Kind recht gut, @Sabrina Meinen . Ich kann mich an eine Sitaution erinnern, da haben wir ewig rumdiskutiert, bis ich schließlich gesagt hate: "Dann mach doch, was du willst." Darauf er: "Ich will aber gar nicht machen, was ich will."

Ich finfe, am schwierigsten für Eltern ist es, herauszufinden, was für das jeweilige Kind gerade der richtige Weg ist. Denn was bei einem Kind geklappt hat, muss beim anderen deswegen noch lange nicht funktionieren. Und das dritte ist dann wieder ganz anders. Allerdings ist es gerade dieses Verschiedenheit, die es uns Eltern leicht macht, alle Kinder gleich zu lieben. Davor hatte ich vor der Geburt des mittleren Kindes am meisten Angst. Natürlich bleibt es nicht aus, dass die Kinder selbst sich oft benachteiligt fühlen. Auch noch, wenn sie erwachsen sind. Lustigerweise bekomme ich dann von den verschiedenen Kindern teilweise exakt dieselben Sätze zu hören.


LG
Doro


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#7

RE: SGZ 21/23 Frühstück

in Die Geschichten der Woche 29.05.2023 07:54
von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.151 Beiträge | 9415 Punkte

Liebe @Sabrina Meinem, ja da liegt ein ganzes (misslungenes) Leben zwischen dem Jungen und dem Mann. Ich habe automatisch zu reflektieren begonnen und gedacht, was in seinem Leben wohl schief gelaufen ist. Alkohol wird erwähnt, doch nicht, wie es genau dazu geführt hat. Das lässt Spielraum zum Spekulieren und das ist interessant!
Viele Grüße
Carlotta Lila


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#8

RE: SGZ 21/23 Frühstück

in Die Geschichten der Woche 30.05.2023 22:35
von Sabrina Meinen • Federlibelle | 569 Beiträge | 1677 Punkte

Zitat von Doro im Beitrag #6
Ich will aber gar nicht machen, was ich will.
Klingt als war dein Sohn in der Pubertät.
So zerrissen zwischen "Mama, ich brauche dich." und "Ich bin erwachsen genug, eigene Entscheidungen zu treffen."


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