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SGZ 13/23 Olezahn
in Die Geschichten der Woche 27.03.2023 22:10von Sabrina Meinen • Federlibelle | 586 Beiträge | 1727 Punkte
Sie liebt es. Es soll immer bei ihr sein. Im Kindergarten, im Urlaub, bei Oma und Opa. Nie will sie ohne es sein.
Mama und Papa sind stets darauf bedacht, es einzupacken.
„Hast du Olezahn?“
„Shit! Den habe ich in den Flur gelegt. Ich weiß nicht, ob ich ihn dann ins Auto geladen habe.“
Der Name Olezahn ist aus einem Fehler entstanden. Als in einem Kinderfilm ein Drache präsentiert wurde, verstand die Kleine „Olezahn“. Dabei sagte die Animationsfigur „Ohnezahn“.
Egal was Mama oder Papa sagten, es blieb bei „Olezahn“. Vielleicht ist ein Kindergartenkumpel namens Ole nicht ganz unschuldig an dem falsch verstandenen Wort.
„Halt an!“ Mamas große Augen deuten Ärger an.
„Mh, das geht nicht. Wir könnten zu spät kommen.“
Der Blick von Mama wird eindringlich. Um ihrer Aufforderung Nachdruck zu verleihen, legt Mama ihre Hand auf seinen Arm und krallt ihre Finger in die nackte Haut: „Halt sofort an! Ich will nachsehen!“
„Mein Hasi, wir können doch nicht... bitte... wenn wir zu spät... okay.“ Zack kriecht Papa unter Mamas Pantoffel.
Als hätten sie eine Panne mitten auf der Autobahn, setzt Papa den Warnblinker und hält auf dem Standstreifen.
„Sieh zu, dass Tamara nicht wach wird. Es war schwer genug sie schlafend aus ihrem Bett ins Auto zu kriegen.“
Papa sieht seine Frau an. Am liebsten würde er sie daran erinnern, dass er die Tochter in den Van verfrachtet hat. Schnaubend dreht er sich zur Straße und wartet auf den besten Moment auszusteigen.
Mamas Zischen geht im Verkehrslärm unter. Es war sowieso nicht nett und könnte das eine oder andere Schimpfwort beinhaltet haben.
Die Massen an Sachen im Kofferraum machen es ihm schwer. Er lädt das eine oder andere aus.
„Was machst du denn so lange?! Wir müssen weiter! Wenn wir zu spät bei der Show sind, darf sie nicht auftreten!“ Laut dringt die Stimme seiner Frau an seine Ohren. „Wieso hast du die ganzen Sachen ausgeladen? Stell das sofort wieder zurück!“
Mit wackeligen Schritten auf 10 Zentimeter Pfennigabsätze zwängt sich Mama zwischen Auto und Leitplanke zu ihm. „Bist du Wahnsinnig? Du kannst doch nicht das Make-up-Täschchen auf den Boden stellen. Das könnte umkippen oder Autobahndreck abbekommen. Wie immer bist du unfähig!“
Mit schnellen Bewegungen räumt die Frau ein paar Sachen wieder ins Auto, zerrt hier und da.
Währenddessen lehnt er sich an die Leitplanke und wartet ab.
Durch das Autofenster kann er sehen, dass seine Tochter wach wird. Sie dreht ihren Kopf in verschiedene Richtungen, bemüht sich ihre Augen zu öffnen. Schließlich dringen Weinlaute aus dem Auto.
Als er die Tür zu ihr öffnen will, dröhnt Mama: „Lass das! Ich kriege sie schon zur Ruhe. Wenn du das machst, hört sie nie auf und hat dann lauter Heulflecken, die ich mit Make-up abdecken muss! Das schaffe ich nie und nimmer. Immer musst du trödeln.“
Er spart sich sie daran zu erinnern, dass es kein bisschen an ihm lag, dass sie verspätet gestartet sind. Denn sie konnte sich nicht entscheiden, welches das knappere Outfit ist. Wie zu den anderen Wettbewerben, wollte sie auf mütterliche Reize setzen.
„Aaah.“ Hart knallt der Absatz auf seinen Turnschuh. Absicht? Oder Versehen? Unsicher wie eh und je, übt sich Papa in Zurückhaltung.
„Oooh oooh oooh, Tami, es ist gut. Mami ist bei dir.“
In geübtem Griff holt die Frau das Kind aus dem Auto.
„Ooooohlezaaaaahn“
„Hast du nicht gehört, was sie will! Los, such!“
Seine Augen kreiseln von rechts nach links, dann wendet er sich ab. Mehrfach seufzend, wühlt er wieder im Kofferraum. In Nächten wie dieser, fragt er sich, was in seinem Leben schief ging. Welche Abzweigung hat er verpasst?
Ihm fällt ein harter kühler Gegenstand in die Hände. Wie üblich hat seine Frau eine Flasche Sekt für den Sieg dabei.
Schulterzuckend öffnet er sie und genehmigt sich einen Schluck. Und noch einen und noch einen. Wärme ergreift seinen Bauch, strömt über seine Schultern, erfasst seine Wangen.
Motiviert wühlt er weiter. Dann spürt er in den Untiefen des Autos er etwas flauschiges. Es lässt sich zusammendrücken. Nach einigem Gezerre hält er ein Plüschkissen in Drachform in den Händen.
Plötzlich hält ein Auto hinter ihm. Ein kurzer Sirenenton und blaues Licht, warnen ihn vor dem drohenden Unheil.
Tausend Gedanken rasen ihm durch den Kopf.
Die Worte des Polizisten dringen dumpf zu ihm. Kaum zu verstehen.
„Herr Officer! Wie nett, dass Sie anhalten. Ich habe der hübschen Dame nur etwas geholfen. Eigentlich war ich auf dem Weg nach Hause von der Disse. Da hielt die Gute hier an und suchte verzweifelt das Kissen ihrer Tochter.“
Wie zum Beweis haucht er dem Polizeibeamten seinen Atem ins Gesicht und drückt ihm das Kuschelkissen "Olezahn" in die Hand.
Zum ersten Mal in seinem Leben, sieht er eine Abzweigung. Elegant hüpft er über die Leitplanke und lässt alles hinter sich.
Finde den Mut für die Veränderung, die du dir wünscht,
die Kraft, es durchzuziehen
und den Glauben daran, dass sich alles zum Besten wenden wird.
RE: SGZ 13/23 Olezahn
in Die Geschichten der Woche 28.03.2023 11:42von Bree • Federlibelle | 4.649 Beiträge | 19121 Punkte
Liebe @Sabrina Meinen
originell! Wer weiß, ob er ohne den Sekt den Mut gehabt hätte, diese Abzweigung ins Irgendwo zu nehmen.
Verstehen kann ich ihn. Was für eine Meckerzicke! Und die arme kleine Tochter wird den hochtrabenden Hoffnungen der Mutter geopfert. So ein kleines Kind mit Make-up?
Dein Schreibstil ist wieder ungewöhnlich, man braucht ein wenig Zeit, um sich darauf einzulassen. Aber die Geduld wird belohnt. Der letzte Satz ist ein toller Abschluss. Ich wünsche dem armen Kerl alles Gute.
Eine Kleinigkeit:
Zitat von Sabrina Meinen im Beitrag #1
Drachform
Ich nehme an, das soll "Drachenform" heißen.
LG
Bree
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)
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Alles über meine Bücher & mich findet ihr auf meiner Website: www.brittabendixen.de
RE: SGZ 13/23 Olezahn
in Die Geschichten der Woche 28.03.2023 21:44von Sabrina Meinen • Federlibelle | 586 Beiträge | 1727 Punkte
@Bree: Danke. dass du bis zum Ende gelesen hast.
Finde den Mut für die Veränderung, die du dir wünscht,
die Kraft, es durchzuziehen
und den Glauben daran, dass sich alles zum Besten wenden wird.
RE: SGZ 13/23 Olezahn
in Die Geschichten der Woche 01.04.2023 18:52von Gini • Federlibelle | 1.838 Beiträge | 3794 Punkte
@Sabrina Meinen das arme KInd. Es gibt viele, die den Ehrgeiz der Eltern befriedigen müssen.
Einerseits kann ich den Mann gut verstehen. Auch geschickt, wie er es den Beamten klargemacht hat.
Aber das KInd tut mir leid. Jetzt ist der Papa weg und sie ist der Mutter hilflos ausgeliefert.
Vielleicht hätte er sie ja noch ab und zu bremsen können in ihrem Wahn.
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)
RE: SGZ 13/23 Olezahn
in Die Geschichten der Woche 02.04.2023 20:50von Sabrina Meinen • Federlibelle | 586 Beiträge | 1727 Punkte
@Gini: Ja, so richtig komme ich auch nicht mit dem Vater überein. Aber er hat sich für diesen Weg entschieden. Ich weiß nicht, ob ich ihn selbst für feige halte oder mutig aus dem Trott auszubrechen. Vielleicht kann er sein Kind irgendwann aus dieser Misere holen?
Keine Ahnung, es kam so über mich,
Finde den Mut für die Veränderung, die du dir wünscht,
die Kraft, es durchzuziehen
und den Glauben daran, dass sich alles zum Besten wenden wird.
RE: SGZ 13/23 Olezahn
in Die Geschichten der Woche 02.04.2023 21:55von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.300 Beiträge | 10275 Punkte
Liebe @Sabrina Meinen, ich kann den Mann nach der ganzen Geschichte schon verstehen. Ein bisschen ein Anti-Held (-; Aber so sind halt die Geschichten, die das Leben schreibt! Die Szene, wie er dem Polizisten den Drachen in die Hand gedrückt hat und dann abgehauen ist, fand ich wirklich extrem witzig!
Liebe Grüße
Carlotta Lila
https://www.leseflamme.jimdofree.com
Unsere größte Schwäche liegt im Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es noch einmal zu versuchen.
Thomas Alva Edison
RE: SGZ 13/23 Olezahn
in Die Geschichten der Woche 07.04.2023 18:44von -jek • Federlibelle | 764 Beiträge | 2259 Punkte
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Wenn du Schreibregeln beherrscht, ist das gut. Wenn sie dich beherrschen, ist das schlecht.
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