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SGZ 1/2023 Nis Puk
in Die Geschichten der Woche 04.01.2023 19:51von Yggdrasil • Federlibelle | 1.325 Beiträge | 3380 Punkte
Nis Puk
Es begann als ganz normaler Spaziergang. Der småländische Laubwald begann unweit meines Hauses. Schon oft war ich hier entlang gegangen – oder gejoggt. Aber niemals zuvor war mir dieser Baum aufgefallen. Oder genauer dieses geschlossene Astloch. Ich blieb stehen und schaute mir diesen „Mund“ genauer an. Ja, geformt wie ein menschlicher Mund. Ich zog mein Handi hervor und machte ein Bild davon. Merkwürdig, welche Formen die Natur hervorbringen konnte!
Ich wollte meinen Weg gerade fortsetzen, als ich meinte, eine Bewegung wahrzunehmen. Verdutzt schaute ich den Baumstamm an, und tatsächlich, der Mund, die Lippen, bewegten sich. Kann nicht sein! Ich kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Wie war das möglich? Ich bin doch wach und träume nicht! Auch habe ich seit vielen Jahren ohne Alkohol gelebt und das Kiffen ist so lange her …
Aber es kam noch schlimmer: Ich hörte eine Stimme, klar und deutlich. Eine hohe Jungenstimme, so schätzte ich es ein, vor dem Stimmbruch. Die Stimme passte zu den Lippenbewegungen:
„Guck nicht so blöd, ich bin es. Komm näher und höre zu, was ich zu sagen habe!“
Ich blickte mich unsicher um. Konnte auch niemand mich sehen, oder gar hören? Nein, weit und breit keine Menschenseele.
„Wer bist du? Was willst du?“
„Klar, dass du so verwundert bist, bist ja nur ein moderner Mensch, der alles vergessen hat, wie es früher war. Schade, aber du bist der, mit dem ich reden wollte. Also höre zu …“
„Halt, nee, erst sag mir, wer oder was du bist!“
„WAS ich bin??? Ich bin ein stolzer schwedischer Troll, oder wir ihr uns eher nennt, ein Nisse. Das kennst du doch? Nis Puk.“
Es dämmerte mir. In unserem alten Bauernhaus in Nordfriesland soll der Sage nach ein Nis Puk gelebt haben. Nis Puk bei Junge Jens, so steht es in dem alten Buch. Und Junge Jens nennt man mich heute noch, also in Zusammenhang mit dem Nachnamen Petersen. In meinem Geburtsdorf kennt man mich eher als Junge Jens Marten als denn Marten Petersen.
„Alles klar“, sagte ich, „aber ganz ehrlich: gibt es euch wirklich? Ich kann nicht glauben, was ich hier erlebe.“
„Glaub was du willst, aber siehst und hörst du nicht, dass es Wirklichkeit ist? Also, komm zu mir!“
„Zu dir kommen? Wie meinst du das denn nun?“
„Dummer du! Geh um den Baum rum, auf der anderen Seite findest du den Eingang.“
Zögernd machte ich, was der Troll, oder der Nisse, sagte. Und tatsächlich, der Stamm zeigte eine große, lange Spalte, wie von einem Blitzschlag vor Jahrzehnten.
„Und da soll ich rein?“ fragte ich mich.
„Klar, versuche es, dann schaffst du es!“, forderte mich die Stimme auf.
Ich trat näher an den Baum und betastete den Stamm und die Ränder des Risses, der Öffnung im Stamm. Dann drückte ich etwas mit den Händen und tatsächlich, der Spalt ließ sich erweitern. Ich zwängte mich hinein und merkte, wie es mich abwärts zog. Ich versuchte, mich an dem Holz festzuhalten und so dem Sog entgegen zu wirken, aber vergebens, es wurde dunkel und kühl um mich. Irgendetwas schüttelte und rüttelte mich durch, dann vernahm ich ein zischendes Geräusch, mir wurde schwindlig und ich verlor das Bewusstsein.
„Na, da bist du ja! Heil angekommen bei uns in der Unterwelt. Herzlich willkommen!“
Verwirrt sah ich mich um. Ich befand mich in einer kühlen Höhle, erdig war es hier und es roch modrig und etwas schimmelig.
Langsam dämmerte es mir. Der Baum. Der Mund. Die Stimme. Der Spalt. Und nun war ich hier.
„Dann bist du Nis Puk.“
„Na, wenn du mich so nennen willst, ist es ok. Aber eigentlich bin ich ja ein Troll und kein Nisse. Aber lassen wir das, ist ja nicht so wichtig. Hauptsache, du kannst mir helfen.“
„Helfen? Ich dir? Wo sind denn deine Zauberkräfte? Was kann ich, was du nicht kannst?“
„Nun ja, Zaubern sollst du nicht. Aber eben helfen. Du sollst einen Kontakt herstellen.“
„Einen Kontakt?“
„Ja, aber wieso wiederholst du immer, wenn ich etwas frage?“
„Tschuldige, aber es ist alles so verwirrend. Was soll ich eigentlich tun?“
Und dann begann er zu zu erzählen, von seinem Volk, den småländischen Trollen, von ihrer Überalterung, den fehlenden Kontakten zu ihrem Brudervölkern auf dem Kontinent. Denen die an der nordfriesischen und dänischen Küste wohnten. Sie brauchten diesen Kontakt und den Austausch wieder usw..
„Was meinst du mit Austausch?“, unterbrach ich ihn.
„Nun ja, du weißt schon. Neue Ideen, neuen Einfluss, und neues …“.
„ ...Blut? Meinst du das?“
„Ja, auch.“ Der Kleine war tatsächlich etwas verlegen geworden.
„Und dabei soll ausgerechnet ich dir oder euch helfen?“
„Ja, du sollst eurem Nisse, der ja in deinem Elternhaus wohnt, eine Nachricht überbringen.“
„In meinem Elternhaus …, aber das kannst du nicht wissen, wir wohnen nicht mehr in dem alten Bauernhaus, wir sind von fünfzig Jahren umgezogen, auf einen neuen Hof.“
„Ihr habt das Haus verlassen? Aber es steht noch, oder?“
„Nein, der Stall und die Scheune wurde damals abgebrochen, und das Wohnhaus …“.
„Aber dann, was soll ein Nisse ohne Stall und Scheune und ohne Dachboden? Das geht gar nicht. Oh, oh, oh, da war der gute Nis Puk wohl böse. Was hat er alles angestellt? Hoffentlich nicht zu viel Böses.“
„Ich überlegte. Ob das alles damals tatsächlich auf Nis Puk und seine Wut zurückzuführen war? Hat er sich so gerächt?
„Na, was war, erzähle.“
„Nun ja“, begann ich, „im Jahr darauf ist mein Vater gestorben, er wurde nur gut 60 Jahre alt. Und dann hat mein Bruder den Hof übernommen. Fünf Kühe sind gestorben, und alle Schweine an der Maul- und Klauenseuche. Und im Jahr drauf die Missernte, aber nur bei uns, nicht bei den anderen Bauern.“
„Oh je, noch mehr Unheil?“
„Das kann man wohl sagen. Die älteste Tochter meines Bruders ist gestorben, sie wurde nur 25 Jahre. Allerdings konnte man ihr Kind noch retten, sie war hochschwanger.“
„Oh, was für eine böse Rache. Aber ich wette, danach wurde alles gut, keine weiteren Tiefschläge mehr in der Familie, oder?“
Ich dachte kurz nach. „Da kannst du Recht haben.“
Wir schwiegen und dachten über das Ganze nach, beide hatten den Kopf in die Hände gestützt.
Plötzlich hob der Troll den Kopf. „So, nun lassen wir die Vergangenheit und denken an die Zukunft. Dann wird alles besser, für unser Volk und für deine Familie.“
„Wie, für meine Familie? Ich brauche deine Hilfe nicht, uns geht es gut, rundum, wir haben keine Sorgen und Probleme.“
„Umso besser. Ich sage dir, was du tun sollst.“
Er stand auf und lief in den hinteren Bereich der Höhle. Nach nur wenigen Minuten kam er zurück. Er reichte mir einen kleinen Lederbeutel. Ich nahm ihn, er war leicht und es klapperte, als ich ihn schüttelte.
„Was ist das?“
„Das sind uralte Knochen, Runen. Die gibst du dem Nis Puk, wenn du in Nordfriesland bist, auf eurem neuen Hof.“
„Auf dem neuen? Aber da ist er doch nicht.“
„Doch, er ist euch nachgekommen, genau zu dem Zeitpunkt, nachdem das kleine Wesen geboren wurde, seitdem es der Familie und dem Hof gut geht. Ihr habt Nis Puk nur nicht wahr genommen.“
„Gut, wenn du meinst. Aber wie finde ich ihn?“
„Keine Angst, Er wird dich finden, wenn du eine Nacht auf dem Heuboden schläfst. Diesen Beutel wird Nis Puk bei dir finden und meine Nachricht entschlüsseln. Dann ist deine Mission erfüllt.“
Ich schaute den Beutel an.
„Übergebe ihn, dann wird alles gut. Und nun gehe. Unser Dank wird dich erreichen.“
RE: SGZ 1/2023 Nis Puk
in Die Geschichten der Woche 05.01.2023 10:12von Bree • Federlibelle | 4.649 Beiträge | 19121 Punkte
Lieber @Yggdrasil aka Junger Jens Marten
oh je! Hattet ihr wirklich so viel Unglück in der Familie, wie du hier berichtest? Da kann man tatsächlich anfangen, an Trolle und Nissen zu glauben.
Eine schöne Geschichte mit halb offenem Ende. Ich gehe davon aus, dass alles geklappt hat, wie der Troll es vorausgesagt hat.
Der Baum ist übrigens wirklich bemerkenswert. Kein Wunder, dass er dich zu dieser Story inspiriert hat.
Gern gelesen!
LG
Bree
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)
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Alles über meine Bücher & mich findet ihr auf meiner Website: www.brittabendixen.de
RE: SGZ 1/2023 Nis Puk
in Die Geschichten der Woche 05.01.2023 10:34von Doro • Federlibelle | 2.515 Beiträge | 9878 Punkte
Lieber @Yggdrasil ,
ich hoffe, es gibt eine Fortsetzung. Ich wäre gern dabei, wenn dein Prota im Heu übernachtet.
Nis Puk war mir bisher unbekannt. (Den Puck kenne ich nur aus dem Sommernachtstraum von Shakespeare. Den schreibt man allerdings anders.)
Hab mal bei Wikipedia über Nis Puk nachgelesen:
Zitat
Ein Beispiel zum Nis Puk ist die Sage vom Nis Puk vom Lindewitt-Hof bei Flensburg.
Das wäre doch was für dich, @Bree .
Ich hoffe nicht, dass deine Familie so viel Unglück hatte, sondern dass die Geschichte frei erfunden ist.
Sehr gern gelesen.
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
RE: SGZ 1/2023 Nis Puk
in Die Geschichten der Woche 05.01.2023 16:43von Yggdrasil • Federlibelle | 1.325 Beiträge | 3380 Punkte
@Bree @Doro
Doch, das ist alles wahr (bis auf den fiktiven Puk, der tatsächlich bei uns gewohnt (haben soll). Allerdings erscheint das etwas im Zeitraffer. Die aus der sterbenden Mutter gerettete Tochter (meine Großnichte, zu der ich einen guten Kontakt habe), ist eine der führenden Alzheimer-Vordenkerinnen in S-H..
RE: SGZ 1/2023 Nis Puk
in Die Geschichten der Woche 05.01.2023 17:15von Gini • Federlibelle | 1.838 Beiträge | 3794 Punkte
@Yggdrasil den Baum konnte ich leider nicht mehr anklicken. Es stand dann dort, das Bild stände
nur eine gewisse Zeit zur Verfügung.
Deine Geschichte klingt sehr geheimnisvoll. Der Troll erinnert mich ein wenig an den Weihnachtself meiner Enkel.
Ich hoffe, nach der Nacht im Heu, wurde wirklich alles gut.
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)
RE: SGZ 1/2023 Nis Puk
in Die Geschichten der Woche 08.01.2023 14:22von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.300 Beiträge | 10275 Punkte
Hallo @Yggdrasil, ich verstehe, dass dich dieses Foto zu dieser Geschichte inspiriert hat! Viele Themen klingen in ihr an, es könnte tatsächlich der Auftakt zu was Längerem sein. Trolle und Menschen können sich gegenseitig helfen und die Welten überschneiden sich. In Wirklichkeit - auf einer anderen Ebene - ist sowieso alles eins, die Welt der Geister und die der Menschen - glaube ich jedenfalls.
Viele Grüße
und vielleicht berichtest du wieder mal was von Bis Puk!
Carlotta Lila
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