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SGZ Nr. 50 - Shakespierre in Love
in Die Geschichten der Woche 12.12.2022 10:09von Bree • Federlibelle | 4.527 Beiträge | 18454 Punkte
„Diese Frau ist rotzfrech“, ärgerte sich Hauptkommissar Andresen. Er hörte gar nicht mehr auf, seinen Kopf zu schütteln. „Und einer nach dem anderen geht ihr auf den Leim.“
„Was sonst immer andersherum funktioniert, geht offenbar auch so.“ Oberkommissar Lutz Weichert blies sacht in seinen dampfenden Becher mit Ingwertee. Es war eisig kalt an diesem Dezembermorgen und er schien seinen Tee dafür zu nutzen, sich die Hände zu wärmen. Andresen rümpfte die Nase, auch wenn der Ingwerduft nicht bis zu ihm herüberwaberte. Aber es gehörte dazu, dass er sich über den ‚Gestank‘ mokierte.
„Dann müssen wir die Dame eben so überführen, wie es sonst bei den Herren gemacht wird“, ließ sich Kommissarin Mirja Sommer vernehmen.
„Wie ist das denn gemeint?“, fragte Weichert.
„Ist doch ganz einfach. Normalerweise ist eine Frau der Köder, um einen Heiratsschwindler zu schnappen. In diesem Fall braucht es einen Mann. Wie wäre es mit dir, Lutz?“
Er hatte gerade seinen Becher an die Lippen gesetzt. Mirjas Frage sorgte dafür, dass er einen zu großen und zu heißen Schluck in den Mund bekam, sich die Zunge verbrannte und gleichzeitig verschluckte. Er hustete und jammerte drauflos. Mirja und Andresen konnten nicht anders, der Anblick war einfach zu komisch. Sie prusteten los.
Es dauerte eine Weile, ehe Weichert wieder sprechen konnte und der Lachanfall seiner Kollegen abebbte. „Was für eine Schnapsidee!“, stieß er mit noch immer angeschlagenen Stimmbändern hervor.
„Ich finde den Vorschlag sehr sinnvoll“, meinte Andresen nachdenklich. „Mirja hat recht. Wir sollten es versuchen. Nur, wenn wir die Täterin identifizieren können, haben wir die Möglichkeit, sie zu erwischen.“
Weichert schien einzusehen, dass es keinen Sinn hatte, sich zu wehren. Also ergab er sich in sein Schicksal und sie fingen an, die Profile der bisherigen Opfer gründlich zu vergleichen, um seines entsprechend zu gestalten.
„Kennengelernt haben alle vier Opfer die Täterin, die sich ‚Miamadonna‘ nennt, bei einem Dating Portal. Sie sind allesamt erfolgreich im Beruf, gut situiert, keiner ist geschieden“, fasste Mirja zusammen. „Zwei Witwer, zwei Ledige. Alle haben Haustiere, drei besitzen einen Hund, der vierte zwei Katzen. Mit Sport haben die Herren es allesamt nicht so.“
„Das zumindest passt“, warf Andresen mit einem Seitenblick auf seinen Kollegen ein.
„He, ich gehe regelmäßig joggen“, widersprach Weichert.
„Ja, regelmäßig alle drei Monate“, bestätigte Mirja grinsend und kassierte einen bösen Blick. Sie räusperte sich und fuhr fort. „Vom Aussehen her kann man die Herren als bestenfalls durchschnittlich beschreiben –“
„Noch ein Treffer.“ Den Spruch konnte Andresen sich nicht verkneifen, doch Weichert konterte gelassen: „Wer im Glashaus sitzt …“
Mirja seufzte laut. „Können wir jetzt ernsthaft arbeiten? Oder möchten die Herren sich lieber auf dem Schulhof prügeln?“
Beide winkten verlegen ab und verkniffen sich fortan weitere Nettigkeiten. Gemeinsam erstellten sie ein Profil für Lutz Weichert, in dem sie behaupteten, er wäre Anwalt, Single, Englandfan mit eigenem Cottage in der Nähe von London, Rassehundebesitzer, und spiele hin und wieder Golf. Dann machten sie ein nicht sehr vorteilhaftes Foto von ihm und luden es hoch. Als Nickname schlug Andresen ‚Ingwer‘ vor, was von Weichert prompt abgelehnt wurde. Er setzte sich schließlich mit ‚Shakespierre‘ durch. „Das lässt vermuten, dass ich Pierre heiße und englische Literatur mag“, begründete er seinen Geistesblitz.
Mirja fand die Idee super und speicherte das Profil ab. „Erledigt. Jetzt müssen wir nur noch warten.“
Es dauerte drei Tage, bis sich ‚Miamadonna‘ meldete. In der folgenden Woche entwickelte sich zwischen ihr und ‚Shakespierre‘ eine lebhafte Konversation, die darin mündete, dass ‚Miamadonna‘, die auf dem Profilbild äußerst attraktiv war und angeblich als Lehrerin arbeitete, ihm gestand, sich Hals über Kopf in seine angeblich so kluge und liebenswerte Art verliebt zu haben.
„Schreiben Sie ihr, dass es Ihnen genauso geht“, ordnete Andresen an.
„Ich fühle mich, als würde ich Verena betrügen“, murmelte Weichert, während er den gewünschten Text formulierte.
„Tun Sie nicht“, gab Andresen zurück. „Und Ihre Frau weiß das. So, und nun bitten Sie die Dame um Ihre Handynummer, weil sie in den nächsten Tagen unterwegs sein werden.“
Lutz Weichert tat auch das. Und tatsächlich gab seine neue Freundin ihre Nummer preis. Sie wurde umgehend überprüft. Andresen ging nicht davon aus, dass die Angaben stimmen würden, doch einen Versuch war es wert. Außerdem hatten sie die Betreiber der Dating-Seite inzwischen mit einem gerichtlichen Beschluss aufgefordert, sämtliche Daten der Dame anzugeben. Sie erwarteten die Ergebnisse im Laufe des Tages. Und dann konnten sie zuschlagen.
Als die Nachricht der Datingleute kam, war Andresen überrascht. ‚Miamadonna‘ war in einem kleinen Ort in der Nähe von Schleswig gemeldet. Er hatte befürchtet, sie würde von Wien, München oder gar vom Ausland aus operieren. Stattdessen lebte sie im unmittelbaren Umfeld. Was für ein Glücksfall!
Doch noch mussten sie warten. Es war wichtig, dass sie ihre Bitte um Geld aussprach. Erst dann hatten sie eine Handhabe gegen ‚Miamadonna‘.
Hier war die Stunde um!
Während der nächsten paar Tage lief Weicherts Handy heiß. Ständig trudelten Textnachrichten ein, in denen Miamadonna durchblicken ließ, wie verliebt sie in den ihr unbekannten Shakespierre war.
Am Mittwochnachmittag endlich ließ sie die Katze aus dem Sack. Sie habe eine neue Wohnung angemietet und übersehen, dass sie eine kostspielige Kaution zahlen müsse. Das Geld habe sie aber nicht, und nun laufe sie Gefahr, diese Wohnung, die einfach perfekt wäre, zu verlieren! Zudem sei ihr alter Mietvertrag ausgelaufen und es stehe zu befürchten, dass sie bald obdachlos sei. Wortreich beschrieb sie ihre Verzweiflung und ihre Angst, ohne jedoch explizit um Geld zu bitten.
„Sie erwartet, dass Sie von sich aus anbieten, ihr zu helfen“, vermutete Andresen und machte eine auffordernde Handbewegung. „Na los, tun Sie es, Herr Kollege.“
Wie hoch ist denn die Kaution?, schrieb er zurück. Vielleicht kann ich dir helfen.
Sie spielte die Überwältigte, dankte ihm von ganzem Herzen, und behauptete, die Kaution belaufe sich auf 12.000 €.
„Das ist nur der Anfang“, mutmaßte Mirja, nachdem Weichert die Nachricht vorgelesen hatte. „Von den anderen Kerlen hat sie viel mehr kassiert.“
„Ich denke, es wird Zeit, dass wir uns mit ihr unterhalten“, meinte Andresen zufrieden und schnappte sich seinen Autoschlüssel. „Auf nach Schleswig.“
Die Fahrt dauerte nicht lange. Eine Dreiviertelstunde später klingelten sie an der Wohnungstür von ‚A. Mademann‘. Eine Frau in den Fünfzigern öffnete, die mit dem Profilbild von ‚Miamadonna‘ nichts gemein hatte.
„Hi“, sagte Lutz Weichert. „Mein Name ist Shakespierre.“
Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Als sie die Tür zuschlagen wollte, stellte Weichert einen Fuß auf die Schwelle und schnalzte enttäuscht mit der Zunge. „Das ist aber keine freundliche Begrüßung, liebe Miamadonna.“
„Ich muss sagen“, meinte Andresen eine halbe Stunde später, als sie beobachteten, wie die Schleswiger Polizei die Dame abführte, „Sie haben als Köder einen guten Job gemacht.“
„Ja, uns ist ein dicker Fisch ins Netz gegangen“, bestätigte Mirja zufrieden. „Was hat Verena eigentlich zu deiner Flirterei gesagt?“
Weichert seufzte. „Sie bedankte sich für die Inspiration. Ihr hat die Idee für einen neuen Krimi gefehlt, doch seit ein paar Tagen sprudelt es nur so aus ihr heraus. Sie schreibt und schreibt.“
„Well done, Shakespierre“, meinte Andresen grinsend.
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)
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RE: SGZ Nr. 50 - Shakespierre in Love
in Die Geschichten der Woche 12.12.2022 17:51von blauer Granit • Federlibelle | 697 Beiträge | 3623 Punkte
RE: SGZ Nr. 50 - Shakespierre in Love
in Die Geschichten der Woche 12.12.2022 21:23von -jek • Federlibelle | 737 Beiträge | 2202 Punkte
Bis Verena zur "Miss Marple der Förde" ernannt wird, muss sie sich noch verdammt anstrengen. Da gibt es eine bärenstarke Konkurrentin. ;-)
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Wenn du Schreibregeln beherrscht, ist das gut. Wenn sie dich beherrschen, ist das schlecht.
RE: SGZ Nr. 50 - Shakespierre in Love
in Die Geschichten der Woche 13.12.2022 12:48von Bree • Federlibelle | 4.527 Beiträge | 18454 Punkte
Hallo @blauer Granit und @-jek
danke fürs Lesen und euer Feedback.
Zitat von blauer Granit im Beitrag #2
Das liest sich wie die Intro zu einem Roman.Ich fand das Hickhack zwischen den Kommissaren köstlich.
Dann würden dir meine Krimis bestimmt gefallen, denn diese Kommissare sind "meine" Kommissare, die seit Jahren hier in Flensburg ermitteln. Und die "Nettigkeiten", die sie sich an den Kopf werfen, gehören dazu wie das Nordertor zu Flensburg.
Lieber Werner,
ich bin ehrlich gesagt froh, dass Verena fiktiv ist. Sie macht ihre Sache nämlich ganz gut ...l
LG
Bree
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RE: SGZ Nr. 50 - Shakespierre in Love
in Die Geschichten der Woche 15.12.2022 00:12von Michael Kothe • Fleißbiene / Fleißdrohne | 137 Beiträge | 203 Punkte
Liebe @Bree,
offenbar angelt hier auf der Autorenwiese keiner, sondern es treffen sich Krimiautoren und -innen. Oder hab ich jemanden übersehen? Shakespierre in Love liest sich herrlich und fängt schon humorvoll an mit dem zweiten, im Original ja nicht vorhandenen "r" im Titel. Danach war eigentlich (oh Unwort!) alles vorhersehbar ... bis auf die Idee von Shakespierres schreibender Frau, den Fall kreativ und energisch in einen Krimi umzusetzen.Besonders diesen Schlenker finde ich herrlich. Das Gekabbel zwischen den Kriminalern natürlich auch. Ich habe mich beim Lesen köstlich amüsiert. Danke!
LG
Michael
Krimis, Stories, Fantasy - in drei Welten unterwegs.
Michael Kothe: Rentner, Autor und Buchverbesserer
https://autor-michael-kothe.jimdofree.com/
RE: SGZ Nr. 50 - Shakespierre in Love
in Die Geschichten der Woche 16.12.2022 16:58von Gini • Federlibelle | 1.811 Beiträge | 3723 Punkte
@Bree Da sind sie ja alle. Andresen, Weichert und Mirja. Ich bin grad dabei deinem Krimi zu lesen.
Ich würde sagen, das wäre ein Auftakt für dich, einen neuen Krimi zu schreiben.
Als Heiratsschwindlerin eine Frau zur Prota zu machen, ist nicht so gängig. Meist sind es ja die Männer.
Ich finde, das wäre eine gute Idee.
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)
RE: SGZ Nr. 50 - Shakespierre in Love
in Die Geschichten der Woche 17.12.2022 10:55von Doro • Federlibelle | 2.449 Beiträge | 9597 Punkte
Liebe @Bree ,
ein Wiedersehen mit deinen Kommissaren. Wie schön! Auch mir hat die Kabbelei zwischen Andresen und Weichert Spaß gemacht.
Gern gelesen!
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
RE: SGZ Nr. 50 - Shakespierre in Love
in Die Geschichten der Woche 17.12.2022 10:56von Doro • Federlibelle | 2.449 Beiträge | 9597 Punkte
Zitat von Michael Kothe im Beitrag #5Ich angle zwar nicht, aber dafür meine Protas. Allerdings habe ich die Geschichte erst gestern Nacht eingestellt.
offenbar angelt hier auf der Autorenwiese keiner,
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
RE: SGZ Nr. 50 - Shakespierre in Love
in Die Geschichten der Woche 17.12.2022 11:14von Bree • Federlibelle | 4.527 Beiträge | 18454 Punkte
Hallo @Michael Kothe @Gini und @Doro
vielen Dank fürs Lesen und eure Rückmeldungen. Irgendwie hatte ich Lust, "meine" Kommissare zwischendurch einen eher einfachen Fall lösen zu lassen und es freut mich natürlich, dass euch das Wiedersehen Spaß gemacht und die Geschichte (bzw. das Gekabbel der Figuren) amüsiert hat.
Wenn das SGZ-Wort der Woche einen entsprechenden Gedanken in meinem Kopf freisetzt, halte ich es nicht für unmöglich, dass sie ab und zu mal wieder vorbeikommen.
Liebe Gini
für den nächsten Krimi habe ich ja bereits eine Idee (und ca. 50 Seiten sind auch schon geschrieben), aber wer weiß? Vielleicht wäre so eine Heiratsschwindlerin wirklich eine brauchbare Idee. Ich behalte das im Hinterkopf.
LG
Bree
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