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SGZ 47: Plan B
in Die Geschichten der Woche 21.11.2022 11:44von Doro • Federlibelle | 2.515 Beiträge | 9878 Punkte
Plan B
Günther nahm eine Schachtel nach der anderen aus der Schublade.
„Du könntest mir ruhig ein bisschen helfen“, sagte sie und hievte einen Korb auf den Tisch.
Günther warf einen Blick hinein. „Was willst du mit den ganzen Birnen?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Weiß ich noch nicht genau. Gibt übrigens noch mehr. Die stehen draußen. Einen Teil werden wir essen, dann vielleicht Birnenkuchen oder Kompott. Mir fällt schon was ein.“
Er nieste und kramte weiter in der Schublade.
„Suchst du was?“
„Ne“, brummte er und setzte die Lesebrille auf. „Auch abgelaufen. Die Hälfte der Medikamente ist abgelaufen.“ Er deutete auf den Stapel Schachteln, der sich auf der Anrichte türmte.
Sie musterte ihn neugierig. „Seit wann sortierst du freiwillig was aus?“
„In der Werkstatt sind alle erkältet und ich glaube, mein Hals kratzt auch schon und meine Birne ist Matsch. Da wollte ich mal sehen, ob wir nicht ein Grippemittel haben. So was wie in der Werbung.“
„Wie in der Werbung“, wiederholte sie und schaute ihn an, als hätte er nicht mehr alle Mützen im Schrank. „Niemand glaubt der Werbung. Jeder weiß, dass das Schwindel sondergleichen ist. Iss eine Birne. Das ist gesünder als irgendwelche Tabletten. Und dass dein Schädel brummt, wundert mich nicht. War ja reichlich spät gestern Abend. Beim Herrn Hase versteh ich’s ja noch. Der kann ausschlafen, aber du? Und so wie du gerochen hast, habt ihr neben dem Kartln auch reichlich geschnapselt.“ Sie ging zum Spülbecken, wusch sich die Hände. Dann holte sie eine besonders große Birne aus dem Korb, wusch sie und schnitt sie in Stückchen, die sie kreisförmig auf einem Teller anordnete. „Wusstest du, dass Birnen zu den ballaststoffreichsten Obstsorten gehört?“ Sie stellte den Teller vor ihm ab.
Er schüttelte den Kopf und schob die Obststückchen so hin und her, bis ein lachendes Gesicht entstand.
„Außerdem enthalten sie viele Vitamine, wie A, C und verschiedene B-Vitamine. Weiterhin Mineralstoffe wie Magnesium, Jod, Schwefel, Zink, Kupfer, Phosphor, Kalium, Kalzium und sogar Bor“, ratterte sie herunter. Das hatte sie bestimmt auswendig gelernt, um ihn zu ärgern. Niemand wusste das einfach so.
„Fettarm sind sie auch noch.“ Sie klopfte auf seinen Bauch, den er unwillkürlich einzog. „Also das perfekte Lebensmittel für dich. Wenn du dir was Gutes tun willst, dann nimm Birnen. Flüssigkeit ist übrigens auch sehr wichtig. Wenn du willst, kann ich dir einen Tee machen. Soll ich?“
„Ne, danke.“ Günther sah auf die Küchenuhr, die über der Tür hing. Viel Zeit blieb nicht mehr.
„Gibt’s eigentlich einen Plan B?“, wollte er wissen.
„Wofür?“
„Angenommen ich bin krank, wer springt dann für mich ein?“
„Die Frage hat sich bisher noch nie gestellt.“ Sie überlegte, während sie weitere Birnen schälte, klein schnitt und in einen Topf gab. „Mei, so direkt fällt mir da jetzt auch niemand ein.“
„Notfalls müsstest du halt …“
„Auf gar keinen Fall.“ Vor Entsetzen hatte sie die Augen aufgerissen. „Da werde ich seekrank.“
„Es ist ein Schlitten und kein Schiff.“
„Trotzdem“, beharrte sie. „Mir wird da schlecht von dem Geschaukel und Höhenangst habe ich auch.“
„Dann gibt’s halt mal ein Jahr keine Geschenke“, sagte er. „Ich könnte mich mal ausruhen. Das ist ein guter Plan B.“
„Das geht nicht!“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Die Kinder warten drauf.“
„Bei vielen Kindern schaut’s im Kinderzimmer aus wie beim Obletter“, widersprach er. „Ohne Geschenke könnten sich die Menschen mal wieder auf den eigentlich Sinn von Weihnachten konzentrieren.“
„Netter Gedanke, aber Gott sei Dank wird sich der nicht durchsetzen. Dann wärst du nämlich arbeitslos. Wir müssten aus unsrem schönen Haus raus und Hartz IV beantragen.“
„Bürgergeld heißt das jetzt“, murmelte er.
Sie richtete das Obstmesser auf ihn. „Schau, dass du fit bist! Plan B ist keine Option. Und jetzt räum das Zeug da weg. Den Platz brauch ich.“
„Ich denke über Plan B nach“, verkündete er.
Günther schob die Schachteln mit einer wischenden Handbewegung in die Schublade zurück und verließ die Küche. Im Wohnzimmer legte er sich aufs Sofa und dachte über Plan B nach. Als ihm keine zufriedenstellende Lösung einfiel, horchte er in sich hinein, ob er irgendwelche Krankheitsanzeichen bemerkte. Vielleicht hatte sie recht und er sollte vorbeugend etwas dagegen tun.
„He!“, brüllte jemand und schüttelte ihn, sodass ihm ganz schlecht wurde.
„Wasn los?“, knurrte er und wollte sich umdrehen. Dabei vergaß er, dass er auf dem Sofa lag. Mit einem lauten Krachen plumpste er auf den Boden.
„Mein Kreuz“, stöhnte er und setzte sich keuchend auf. „Ich hab mir bestimmt was ausgerenkt.“
„Ja“, schimpfte sie. „Dein Hirn.“
In der Hand hielt sie eine Glasflasche. „Du musst gleich los und besäufst dich vorher? Bist du noch zu retten? Auch noch den guten Williams.“
„Du hast gesagt, Birnen sind gesund und dass ich mehr trinken soll.“
„Aber doch keinen Birnenschnaps!“ Sie verließ das Zimmer, kehrte kurz darauf zurück und stellte ein Glas Wasser vor ihm ab. Eine Tablette löste sich sprudelnd auf. „Trink das“, befahl sie. „Und dann ab mir dir. Die Kinder warten auf den Weihnachtsmann. Die Rentiere scharren ungeduldig mit den Hufen. Alle sind bereit für Weihnachten.“
„Ich nicht“, knurrte er und trank wie befohlen.
„Selbst schuld.“ Sie half ihm auf die Beine und wedelte mit den Händen vor ihrem Gesicht, als er aufstoßen muss. „Der Weihnachtsmann bringt besoffen Geschenke. Na prima. Ist das dein Plan B?“
„Ne, ich habe nur deine Tipps umgesetzt.“
„Typisch. Du drehst immer alles so hin, wie du’s gerade brauchst.“
„Irgendwas muss ich ja perfekt können.“ Er grinste und kraulte seinen Bart.
Sie reichte ihm den roten Mantel und stellte seine Stiefel und die große Glocke auf den Boden. „Das beherrscht du zweifellos aus dem FF. Und jetzt ab mit dir. Lass es Weihnachten werden.“ Sie zupfte ein paar Staubfusseln von seinem Mantel und hielt ihm die Tür auf. „Die frische Luft wird dir guttun.“
Damit hatte sie zweifellos recht. Sie folgte ihm, bis er auf dem Schlitten saß. Wahrscheinlich wollte sie sicher gehen, dass er sich nicht wieder postwendend zum Sofa begab. „Ho, ho, ho!“, rief er hob die Glocke und bimmelte einige Male. Die Rentiere setzten sich in Bewegung und mit ihnen der Schlitten, der bis zum Anschlag mit Geschenken bepackt war.
„Boah“, meckerte eines der Rentiere zu seinem Nachbarn leise, aber Günther verstand trotzdem jedes Wort. „Der riecht ja wie eine Kneipe.“
„Falsch“, gab er lachend zurück. „Das ist Birne. Ist gut für die Gesundheit.“ Plötzlich freute er sich auf seine Aufgabe.
Sie hatte recht gehabt, Plan B brauchte er nicht.
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
RE: SGZ 47: Plan B
in Die Geschichten der Woche 24.11.2022 11:37von Bree • Federlibelle | 4.649 Beiträge | 19121 Punkte
Köstlich, liebe @Doro
Der Weihnachtsmann, der mit dem Hasen Karten spielt und "schnapselt" - tolles Wort!
Und ja, einen Ersatz gibt es tatsächlich nicht. Andererseits hat der Hase viel Zeit im Winter ...
Eine schöne Story. Dass der Weihnachtsmann Günther heißt, war mir allerdings neu.
Der Anfang hat mich für einen Augenblick verwirrt.
Zitat von Doro im Beitrag #1
Günther nahm eine Schachtel nach der anderen aus der Schublade.
„Du könntest mir ruhig ein bisschen helfen“, sagte sie und hievte einen Korb auf den Tisch.
SIE hat ja bis zum Schluss keinen Namen, insofern verstehe ich die Formulierung, aber zuerst klang es, als wäre Günther eine Sie.
Kann sie nicht auch einen Namen bekommen?
Aber das ist wirklich nur eine minikleine Erbse. Die Geschichte hat viel Spaß gemacht, von vorn bis hinten.
Darauf einen Birnenschnaps!
LG
Bree
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)
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Alles über meine Bücher & mich findet ihr auf meiner Website: www.brittabendixen.de
RE: SGZ 47: Plan B
in Die Geschichten der Woche 27.11.2022 14:59von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.300 Beiträge | 10275 Punkte
Liebe @Doro, eine sehr amüsante Geschichte. Wusste gar nicht, dass Birnen sooo gesund sind. Ich esse gerne Birnen, aber jetzt werde ich es so richtig bewusst machen! Übrigens: Da ist dann ein Glaser Williamsbirnenschnaps ja da reinste Medikament
Sehr vergnüglich zu lesen!
Liebe Grüße
Carlotta Lila
https://www.leseflamme.jimdofree.com
Unsere größte Schwäche liegt im Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es noch einmal zu versuchen.
Thomas Alva Edison
RE: SGZ 47: Plan B
in Die Geschichten der Woche 27.11.2022 18:42von Gini • Federlibelle | 1.838 Beiträge | 3794 Punkte
@Doro Günther der Weihnachtsmann. Tolle Idee. Zum Glück brauchte er dann keinen
Plan B. Birnen esse ich auch gerne. Aber Schnapsl eher nicht.
Eine lustige Geschichte, passend zur Weihnachtszeit. Wäre auch was für den Adventskalender gewesen.
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)
RE: SGZ 47: Plan B
in Die Geschichten der Woche 28.11.2022 09:00von -jek • Federlibelle | 764 Beiträge | 2259 Punkte
Na, da hast du dem Heiligenschein des guten Herrn aber ein paar sehr menschliche Beulen verpasst. Ich habe mich bestens amüsiert.
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Wenn du Schreibregeln beherrscht, ist das gut. Wenn sie dich beherrschen, ist das schlecht.
RE: SGZ 47: Plan B
in Die Geschichten der Woche 28.11.2022 16:45von Doro • Federlibelle | 2.515 Beiträge | 9878 Punkte
Liebe @Bree , @Carlotta Lila , @Gini,
freut mich, dass ihr euch amüsiert habt.
Zitat von Bree im Beitrag #2Ich hatte letztes Jahr schon mal eine Weihnachtsmanngeschichte, da hieß der Weihnachtsmann Günther und seine Frau hatte keinen Namen. Ich habe das einfach übernommen, aber ich werde über einen passenden Namen für sie nachdenken.
Kann sie nicht auch einen Namen bekommen?
Zitat von Bree im Beitrag #2In Bayern sehr gebräuchlich.
"schnapselt" - tolles Wort!
Zitat von Carlotta Lila im Beitrag #3Absolut. Wie war das? Die Dosis macht das Gift.
Übrigens: Da ist dann ein Glaser Williamsbirnenschnaps ja da reinste Medikament
Zitat von Gini im Beitrag #4Ich auch nicht. Wenn ich einen geschenkt bekomme, weil jeder davon ausgeht, dass man als Bayer gern Schnaps trinkt, schenke ich dem meinem Vater. Der trinkt den hin und wieder ganz gern oder verfeinert damit seinen Tee.
Aber Schnapsl eher nicht.
Zitat von Gini im Beitrag #4Hatte ich auch erst gedacht, aber für den Adventskalender sollen es doch tierische Geschichten sein. Oder hab ich das falsch verstanden?
Wäre auch was für den Adventskalender gewesen.
LG
Doro
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