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SGZ 36 - Ein Freund, ein guter Freund ...
in Die Geschichten der Woche 04.09.2022 13:10von Bree • Federlibelle | 3.881 Beiträge | 15322 Punkte
Natalie beißt auf ihrem Daumennagel herum. Welcher Teufel hat sie geritten? ‚Ich liebe es, zu kochen‘, hat sie behauptet. Dabei brennen ihr sogar die Spiegeleier an. Ratlos steht sie nun im Supermarkt und überlegt, was sie zubereiten soll. Es muss Eindruck machen, aber darf nicht zu schwierig sein.
Sie zieht ihr Smartphone heraus und ruft Piet an. Vielleicht kann er ihr helfen, schließlich arbeitet er in einem Restaurant.
„Na, Schnecke, was gibt’s?“, fragt er.
„Du musst mir helfen“, sagt sie ohne Umschweife, aber mit gedämpfter Stimme. Schließlich ist es nicht nötig, dass die anderen Supermarktkunden ihren Hilferuf mithören. „Ich habe Jonathan zum Essen eingeladen.“
„In ein Restaurant? Wollt ihr zu uns ins ‚Vivida‘ kommen und ich soll dir einen Tisch reservieren?“
Natalie schüttelt den Kopf, obwohl Piet das nicht sehen kann. „Nee, ich hab behauptet, ich könne kochen, und hab ihn zu mir eingeladen. Um halb acht steht er vor meiner Tür.“
Stille. Dann beginnt Piet laut zu lachen. Natalie runzelt die Stirn. „Das ist nicht witzig!“
„Und ob das witzig ist“, widerspricht Piet, noch immer lachend. „Du kriegst doch kaum Dosenravioli warm.“
Sie mag ihren Kumpel, doch manchmal ist seine Direktheit ein bisschen zu viel für Natalie. Zum Beispiel jetzt. „Hilf mir!“, fleht sie. „Was kann ich kochen, das schwer aussieht, aber einfach ist? Du kennst dich doch aus.“
„Weil ich in unserem Lokal das Bier zapfe? Klar, ich bin Profi.“ Piet hat zu Lachen aufgehört. „Also, Steak würde ich an deiner Stelle nicht nehmen, du würdest ihm glatt Schuhsohlen servieren.“
Natalie beißt sich auf die Zunge und schweigt.
„Geflügel lieber auch nicht. Wenn du das zu roh auf den Teller bringst, wird dein Schwarm womöglich krank.“
„Wie wäre es mit einem Auflauf?“, fragt sie kleinlaut.
„Am besten mit Hack“, stimmt Piet zu. „Ein Nudelauflauf ist vermutlich machbar. Such dir ein einfaches Rezept bei Google raus. Du, ich muss jetzt los, die Arbeit ruft. Ich melde ich morgen bei dir. Schließlich will ich wissen, wie die Geschichte ausgeht.“ Er kichert schon wieder.
Natalie schnaubt. „Idiot. Aber danke trotzdem.“ Sie schneidet ihm das Lachen ab, indem sie die rote Taste drückt. Anschließend ruft sie einfache Auflauf-Rezepte bei Google auf und findet tatsächlich eines, das ihr zusagt. Einigermaßen selbstsicher beginnt sie, die Zutaten in den Einkaufswagen zu legen.
Um halb drei steht sie in der Küche und beginnt mit der Zubereitung, denn sie will einen Probelauf starten, um nachher nicht völlig zu versagen. Knoblauch und Zwiebeln würfeln, Dosentomaten pürieren, Gewürze und Kräuter zugeben … Ihr steht der Schweiß auf der Stirn. Sie kann einfach nicht nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die sich diesen Horror gern antun. Ob Jonathan wohl gern kocht? Sie hat ihn noch nicht gefragt. Oh Gott, nachher ist er ein verkappter Paul Bocuse! Bei der Vorstellung rinnt der Schweiß noch schneller. Welche Auflaufform nimmt sie am besten? Die große oder lieber zwei kleine? Sie entscheidet sich für die beiden kleineren. Das Hackfleisch muss erst angebraten werden. Auf hoher Flamme, steht in dem Rezept. Bald zischt, qualmt und riecht es in ihrer Mini-Küche wie irre. Unsicher schiebt Natalie die Fleischbröckchen in der Pfanne hin und her, aus Angst, dass sie sich in Kohle verwandeln.
Das Nudelwasser kocht. Rasch kippt sie eine Packung Penne hinein. Soll die Tomatensauce so doll blubbern? Ängstlich dreht sie die Temperatur runter und rührt in der Sauce. Oh, verdammt, das Fleisch verkohlt! Wieso tut sie sich diesen Stress an? Ja, Jonathan ist ein charmanter, gutaussehender Mann, der Humor und obendrein einen guten Job besitzt. Ein Traumtyp mit schickem Wagen. Sie kennt ihn seit drei Wochen und hat noch keinen Fehler an ihm finden können. Natalies Hoffnung ist, dass heute die Nacht der Nächte ist, denn bisher ist zwischen ihnen noch nichts gelaufen. Sie haben sich ein paarmal gut unterhalten, seine Blicke signalisierten Interesse, doch körperlich … Sie muss unbedingt noch duschen, ehe er kommt. Am besten, wenn der Auflauf im Ofen ist.
Der Ofen! Verdammt, der muss doch vorgeheizt sein. Eilig stellt sie ihn auf die vorgegebene Temperatur ein. Zwanzig hektische und überaus anstrengende Minuten später steht die kleine Probe-Auflaufform in der mörderischen Hitze und Natalie lehnt sich erschöpft auf eiem Küchenstuhl zurück. Ihr Blick wandert durch ihre Küche, die aussieht, als hätten sich zwanzig Köche in ihr ausgetobt. Leere Tomatendosen stehen neben dem Hackbrett, auf dem noch die Zwiebel- und Kräuterreste liegen, in der Spüle weicht die Pfanne ein, daneben warten die Töpfe darauf, gereinigt zu werden, und dazwischen liegen Besteck und diverser anderer Krempel.
Ich hätte einfach was beim Lieferservice bestellen und hübsch angerichtet servieren sollen, denkt sie und seufzt langanhaltend. Dann steht sie stöhnend auf und macht sich daran, die Küche wieder in einen Normalzustand zu versetzen.
Eine Dusche und eine halbe Stunde später hat der Käse eine dunkle Färbung angenommen. Sehr dunkel ist er, wenn sie ehrlich ist. Natalie öffnet die Ofentür und holt mit Topflappen den Auflauf hervor. Ihr Herz wummert, als sie ihn auf dem Tisch abstellt und eine Gabel holt. Sie fischt einen Bissen heraus, eine Nudel mit etwas Fleisch, Sauce und Käse. Ängstlich pustet sie und schiebt sich das Essen in den Mund. Wenig später treten ihr Tränen in die Augen. Die Nudeln sind viel zu weich, das Fleisch schmeckt verbrannt, die Sauce fade. „Ach, verdammte Scheiße!“, brüllt sie herzhaft und pfeffert die Gabel quer durch die Küche.
In diesem Moment klingelt es an ihrer Tür. Entsetzt steht sie da. Hat sie sich in der Zeit vertan? Ein rascher Blick zur Küchenuhr lässt ihren nach oben geschnellten Puls wieder sinken. Es ist noch nicht einmal halb sechs. Das kann unmöglich Jonathan sein. Vermutlich ein Paketbote, der ein Päckchen für ihre Nachbarin bei ihr abliefern will. Das geschieht dreimal die Woche. Mindestens.
Natalie atmet tief durch und verlässt die Küche. Öffnet die Tür – und steht Jonathan gegenüber.
„Hi!“, sagt er mit einem freundlichen Grinsen.
„Jona- … Ich … Was …?“, stottert Natalie verstört.
„Entschuldige, dass ich so früh bin“, sagt er. „Darf ich reinkommen?“
Wortlos lässt sie ihn eintreten. Bemerkt eine Stofftasche in seiner rechten Hand, die prall gefüllt ist. Irgendwas Grünes ragt heraus. Wie in Trance schließt sie die Haustür und steht da wie paralysiert.
Jonathan dreht sich zu ihr um. „Ich war gerade im ‚Vivida‘, hab dort mit einem Kollegen was getrunken.“
Natalie ahnt Schreckliches, doch sie schweigt.
„Piet hat uns bedient“, berichtet Jonathan weiter.
In Natalies Kopf wirbeln verschiedene Arten, ihren besten Kumpel um die Ecke zu bringen, herum. Dabei spielen Schusswaffen, scharfe Messer und schwere Gegenstände, die auf seinem Kopf landen, eine Rolle.
„Er hat mich auf unsere Verabredung angesprochen, und als ich ihm erzählte, wie gern ich koche, machte er den Vorschlag, dass wir unser Abendessen doch zusammen zubereiten könnten. Ich fand das eine Super-Idee und habe alle Zutaten für eine leckere Pizza eingekauft.“ Triumphierend hält er die Einkaufstasche in die Höhe. „Du magst doch Pizza?“
Natalie nickt.
Erst jetzt scheint Jonathan zu realisieren, dass sie vor Freude nicht total aus dem Häuschen ist.
„Ich kann aber auch gehen und später wiederkommen“, schlägt er unsicher vor. „Wenn du die Idee nicht so gut findest, dann –“
Endlich findet Natalie ihre Sprache wieder. „Doch, doch, sie ist super“, versichert sie. „Gehen wir in die Küche.“ Sie weist ihm den Weg. Als sie sie erreichen fragt sie wie beiläufig: „Und hat Piet noch was gesagt? Ich meine, über mich oder so?“
Jonathan wirft ihr einen kurzen Blick zu. „Nein. Wieso? Gibt es etwas, das ich wissen sollte?“ Er stellt die Tasche auf ihrer Arbeitsplatte ab.
Natalie schüttelt den Kopf und stellt sich so vor den Küchentisch, dass sie den misslungenen Auflauf hinter sich verbirgt. Den wird sie gleich unauffällig irgendwo verstecken. „Nein, absolut nicht.“
Er würde noch früh genug merken, dass sie, was ihre Kochkünste anging, ein wenig übertrieben hat …
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)

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RE: SGZ 36 - Ein Freund, ein guter Freund ...
in Die Geschichten der Woche 04.09.2022 17:58von Doro • Federlibelle | 2.091 Beiträge | 8282 Punkte
Liebe @Bree ,
ich habe mich köstlich amüsiert. Kopfkino lief mit.
Die Ärmste. Ich kann zwar einigermaßen kochen, aber habe trotzdem mitgelitten.
Zitat von Bree im Beitrag #1
In Natalies Kopf wirbeln verschiedene Arten, ihren besten Kumpel um die Ecke zu bringen, herum. Dabei spielen Schusswaffen, scharfe Messer und schwere Gegenstände, die auf seinem Kopf landen, eine Rolle.
Zitat von Bree im Beitrag #1Also wie sie das machen will, hätte mich jetzt schon interessiert.
Den wird sie gleich unauffällig irgendwo verstecken.
Gern gelesen.
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)

RE: SGZ 36 - Ein Freund, ein guter Freund ...
in Die Geschichten der Woche 05.09.2022 11:19von Bree • Federlibelle | 3.881 Beiträge | 15322 Punkte
Liebe @Doro
danke für dein Feedback! Ich freue mich, dass ich dich amüsieren konnte. Da ich selbst nur unwesentlich geschickter in der Küche bin als Natalie konnte ich mich sehr gut in sie hineinversetzen.
Das mit dem Verstecken des Auflaufs kriegt Natalie schon hin. Sie wartet, bis Jonathan anfängt, seine Einkäufe auszupacken und stellt die Form dann rasch auf den nächstbesten Küchenschrank ... Hoffentlich ist sie bis dahin so weit abgekühlt, dass sie sich anfassen lässt. Wenn nicht ... oje!
LG
Bree
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RE: SGZ 36 - Ein Freund, ein guter Freund ...
in Die Geschichten der Woche 07.09.2022 12:21von Graugnom • Federlibelle | 261 Beiträge | 1409 Punkte
hallo @Bree
ich habe selten so gelacht wie gerade beim Lesen deiner Geschichte.
Du hast hier alle Register des Humors gezogen und bist dabei nicht in den Klamauk abgerutscht.
Ich habe mir die Schweißausbrüche, die mißtrauischen Blicke auf Nudeln und andere Zutagen vorgestellt.
Blicke die Dingen galten, die für sie von einem anderen Stern kamen.
Bree, eine rundherum gelungene Geschichte zum gute Laune bekommen.
Die verschiedenen "Tötungsarten" für ihren Freund haben mich köstlich amüsiert - was für eine hinreissende Fantasie.
Danke dafür

RE: SGZ 36 - Ein Freund, ein guter Freund ...
in Die Geschichten der Woche 07.09.2022 13:11von Bree • Federlibelle | 3.881 Beiträge | 15322 Punkte
Ich freue mich gerade sehr über dein Feedback, liebe @Graugnom
Schön, dass ich dich amüsieren konnte. Natalie und ich haben das "Talent" beim Kochen gemein, deshalb fiel es mir leicht, diese Story zu schreiben. Es flutschte so richtig, das ist immer klasse.
LG
Bree
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RE: SGZ 36 - Ein Freund, ein guter Freund ...
in Die Geschichten der Woche 10.09.2022 16:26von Gini • Federlibelle | 1.736 Beiträge | 3514 Punkte
@Bree die Arme. Ich kann auch nicht besonders kochen. Meine Kinder erzählen heute noch manchmal,
also Mutti, bei dir gab es ja jeden 2.Tag Spinat, klar, brauchte ich nur auftauen, oder dauernd gab es Sahnehack,
war auch ziemlich einfach u.s.w.
Man sollte lieber bei der Wahrheit bleiben. Auch wenn man einen Traummann beeindrucken will.
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)

RE: SGZ 36 - Ein Freund, ein guter Freund ...
in Die Geschichten der Woche 10.09.2022 21:31von Carlotta Lila • Federlibelle | 1.958 Beiträge | 8366 Punkte
Liebe @Bree, das ist ja eine süße Geschichte. Mir geht es beim Kuchen backen so. Ich kann einfach keine teige machen (-:
Aber Gottseidank ist alles gut ausgegangen.
Sehr lebendig und flüssig erzählt! Mir hätte es gut gefallen, wenn Jonathan den Auflauf entdeckt hätte
Liebe Grüße,
Charlotte
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