#1

HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 27.04.2022 12:57
von -jek • Federlibelle | 711 Beiträge | 2145 Punkte

Ein lexikalisches Stichwort vorweg: Das Urteil des Paris
Wie die altgriechische Sage erzählt, überreicht der trojanische Königssohn Paris bei einem himmlischen Schönheitswettbewerb den Siegespreis in Form eines goldenen Apfels an die Liebesgöttin Aphrodite. Diese hatte ihn mit der Aussicht auf die schöne, leider mit König Menelaos verheiratete Helena bestochen. Die Entführung Helenas durch Paris ist der Anlass für den trojanischen Krieg. Der Hass der leer ausgegangenen Göttinnen Hera und Athene sorgt für die Niederlage und die Zerstörung von Paris´ Heimatstadt. Soweit die Sage. Aber hätte es nicht auch anders ausgehen können?

Der junge Paris schwitzte in der hitzeschwirrenden Luft. Im Haus war es unnatürlich ruhig. Alles schlief. Auch über den Weingärten hingen Stille und Hitze wie ein feines Totentuch. Es war später Mittag, die Geisterstunde des Südens. Paris hätte Besseres gewusst, als in seiner Kammer über der Buchführung zu sitzen. Aber nach dem Ärger mit seinem Vater konnte es keinen Zweifel geben, dass sie bis zum Abend fertig zu sein hatte. Das vieltägige Gelage mit seinen Freunden und mit den Touristinnen in Homers Hafenkneipe hatte schon viel zu lange aufgehalten. Es war eine harte Woche gewesen! Paris knurrte zufrieden, als er daran dachte. Schläfrig blickte er aus der schmalen Fensterscharte über die Klippen hinab zur kleinen Hafenstadt Troja, deren einflussreicher Bürgermeister sein Vater war. Vielfach gewunden führte eine Straße von dort zu ihrem Landsitz hinauf. Eine Staubwolke ließ ihn stutzen. Geschäftig wie ein Käfer brummte ein Auto den schmalen Weg aufwärts. Wer konnte das sein? Kein Einheimischer würde sich dieser mörderischen Mittagsglut aussetzen. Paris seufzte und sicherte das Buchführungsprogramm. Dann ging er zum Hof hinunter. Schon als er die Haustür öffnete, schlug ihm die volle Hitze entgegen. Trotzdem schauderte es ihn unerwartet. Da kam auch schon ein alter Toyota-Geländewagen angerumpelt, mit hellem Staub dick bedeckt. Der Wagen hielt. Und wie mit einem Hauch standen plötzlich vor dem verblüfften Paris drei Frauen: drei Frauen, die den Atem stocken machten. So majestätisch, so unirdisch schön, so unerreichbar für Schmutz und Hitze waren sie.
Sie trugen leichte, fast durchsichtige knöchellange Gewänder. Paris fühlte sich ins Unwirkliche hinweggehoben. Tief versunken betrachtete der junge Mann die weichen Rundungen, die sich sanft, aber energisch und sehr erfolgreich durch den üppigen Faltenwurf drängten. Lange blieben seine Betrachtungen ungestört, während die Zeit auf Zehenspitzen davonschlich. Denn auch er wurde derweil einer gründlichen und kompetenten Musterung unterzogen. Die drei Göttinnen, es waren tatsächlich Göttinnen, schwiegen bewundernd und entzückt. Paris´ muskulösen Beine, seine schmalen Hüften und die arbeitsgewohnten, breiten Schultern waren gewiss einen zweiten und auch einen dritten Blick wert. Leicht konnte frau sich auch an seinen frechen Mund verlieren oder in seinen großen, lang bewimperten Augen. Artemis, die Jagdgöttin, hatte nicht zuviel versprochen, als sie im Olymp von ihrer Entdeckung geschwärmt hatte.
Endlich wurde Paris durch ein Räuspern aus seiner tiefen Andacht gerissen. Er errötete wider seine Gewohnheit und hoffte, dass seine leichten Shorts nicht allzu viel von seinen Empfindungen verraten hatten. Sein Blick folgte der Stimme, Aphrodites Stimme. Die Liebesgöttin hatte sich zuerst gefangen. Schließlich hatte sie die meiste Routine im Umgang mit Männerschönheit. Sachte stupste sie ihrer Chefin Hera in die Seite. Hera straffte sich einen Augenblick und begann dann zu sprechen. Ob er Paris sei, Sohn des Bürgermeisters und Bauunternehmers Priamos, dem die Politiker der Region so erstaunlich viele Aufträge zuschanzten. Der Jüngling fühlte, wie seine Erektion in jähem Schreck erschlaffte. Er wollte antworten, doch aus seinem Hals kroch nur ein mühsames Krächzen. Die Göttinnen lachten zart und melodisch, was Paris noch mehr verwirrte. Hera erwartete wohl auch keine richtige Antwort, sie fragte gleich weiter. Ob er wüsste, wen er vor sich hätte? Vorsichtshalber nickte er nur, denn seiner Stimme traute er nicht mehr.
Wie aus weiter Ferne hörte er dann Hera eine fantastische Geschichte erzählen, vom goldenen Ball der Streitgöttin Eris, welcher derjenigen der drei Schönen gehören sollte, die er, Paris, für die Allerschönste hielt. Er musste seine Hand ausstrecken, in die Hera dann den Ball hineinlegte, nicht ohne dass sie, ganz absichtslos, mit ihren kühlen Fingerspitzen über seinen feucht gewordenen Handballen strich.
Tatsächlich schwitzte Paris jetzt am ganzen Körper, aber längst nicht mehr vor Hitze oder vor Lust, sondern aus purer Angst. Der Kenner der Frauenseelen erkannte instinktiv die Falle, die sich vor ihm auftat. Würde er, seiner Neigung gemäß, der Aphrodite den Apfel in die Wonnen versprechenden Hände drücken, dann würde er die anderen, Hera und Pallas Athene, tödlich kränken. Auch jede andere Wahl würde ihm zwei Todfeindinnen eintragen.
Vor dem inneren Auge sah er seine Heimatstadt in Schutt und Asche versinken. In seinem Kopf hörte er Kriegsgeschrei und Leichenklagen, er roch Blut und Verwesung, er spürte Leid und Verzweiflung. Und er hatte die Vision eines durch Kriegsfolgen erblindeten, aber strahlenden Homer, der auf den Trümmern seiner Hafenkneipe mit dem Verfassen unsterblicher Heldenlieder beschäftigt sein würde. Lieder, nebenbei gesagt, die unendlich kraft- und wertvoller waren als die schmierigen Wirtinnenverse, mit denen der Graubart sonst eher anödete als erfreute.

Hier endet Teil 1. Wie Troja gerettet wurde? Nehmt vorerst eure Phantasie zu Rate.


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zuletzt bearbeitet 27.04.2022 12:58 | nach oben springen

#2

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 28.04.2022 13:16
von Bree • Federlibelle | 4.335 Beiträge | 17407 Punkte

Lieber @-jek

mit einiger Verspätung nun mein versprochenes Feedback.

Eine originelle und ungewöhnliche Idee - ein Paris mit Shorts und Buchführungsprogramm! Und drei wunderschöne Göttinnen, die in einem alten verstaubten Toyota angefahren kommen. Herrlich!
An den auktorialen Erzählstil musste ich mich erst gewöhnen, doch die Geschichte macht jetzt schon Spaß. Ich bin neugierig, wie Paris das Apfel-Programm lösen wird.

Besonders angetan bin ich von deinen Formulierungen. Hier mein liebstes Beispiel:

Zitat von -jek im Beitrag #1
Tief versunken betrachtete der junge Mann die weichen Rundungen, die sich sanft, aber energisch und sehr erfolgreich durch den üppigen Faltenwurf drängten. Lange blieben seine Betrachtungen ungestört, während die Zeit auf Zehenspitzen davonschlich.


Einfach

LG
Bree


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#3

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 28.04.2022 17:10
von Gini • Federlibelle | 1.797 Beiträge | 3677 Punkte

@-jek du meine Güte, der arme Paris. Danke auch für die Erklärung mit dem trojanischen Krieg.
Das wusste ich gar nicht. Aber sehr amüsant, deine Version der Geschichte.
Aber wie Paris es auch drehen und wenden wird, zwei der Damen werden ihn hassen.
Ja so ein Mann hat es nicht leicht.

Zitat von -jek im Beitrag #1
seiner Neigung gemäß, der Aphrodite den Apfel in die Wonnen versprechenden Hände drücken

Was für ein genialer Satz, der gefällt mir außerordentlich.


Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.

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#4

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 28.04.2022 19:25
von -jek • Federlibelle | 711 Beiträge | 2145 Punkte

@Gini Bleiben wir optimistisch!


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#5

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 17.05.2022 22:00
von Jana88 • Federlibelle | 564 Beiträge | 1302 Punkte

Eine herrliche Geschichte. Ich habe amüsiert den Kopf geschüttelt, als die ganzen modernen Dinge zum Vorschein kamen.

Ich habe es sehr gern gelesen.


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Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende *Oscar Wilde
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#6

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 04.06.2022 09:46
von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.151 Beiträge | 9415 Punkte

Lieber @-jek

Antikes Geschehen in die moderne Zeit versetzt. Auf jeden Fall ist das sehr, sehr amüsant zu lesen, wie z.B. die drei Göttingen aus dem Auto steigen - dann aber dennoch antike Gewänder anhaben. Kopfkino!
Priamos als Bauunternehmen - eine geniale Idee, auch dass die Kriegsgöttin einen Ball veranstaltet.
Absolut gut gefallen mir die vorausschauenden Gedankengänge des Paris als "Frauenkenner".

Jetzt ein wenig zur Kritik: Deine Geschichte ist ein Wettbewerbsbeitrag und hat aber kein richtiges Ende. Das hat mich etwas enttäuscht zurückgelassen. Ich finde, du hättest, sogar wenn das nur Teil 1 ist und da noch was nachkommt (bei meiner Story wird es möglicherweise ähnlich sein), das Ende so formulieren können, dass der Beitrag auch als einzelne Geschichte zu lesen ist. Aus diesem Grund erschließt sich mir leider auch nicht, warum du dann jetzt eigentlich die Antike Handlung in die Moderne versetzt hast. Daher bleibt zwar das Kopfkino bestehen, aber viel von dem Witz geht - für mich halt - verloren.
Vielleicht hast du ja inzwischen Teil 2 schon gepostet, ich muß mal schauen und mich selber updaten, da ich in letzter Zeit hier nicht sehr regelmäßig im Forum war.

Was mir übrigens auch extrem gut gefallen hat, ist dein Einstieg mit dem du eine tolle Atmosphäre zauberst:
Der junge Paris schwitzte in der hitzeschwirrenden Luft. Im Haus war es unnatürlich ruhig. Alles schlief. Auch über den Weingärten hingen Stille und Hitze wie ein feines Totentuch. Es war später Mittag, die Geisterstunde des Südens.
Da wollte ich die Geschichte eigentlich schon gleich zu meinem Favoriten machen. Wenn da nur ein Abschluss wäre ...
In diesem Sinne bin ich da also noch sehr gespannt!

Viele Grüße
Carlotta Lila


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#7

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 04.06.2022 13:27
von -jek • Federlibelle | 711 Beiträge | 2145 Punkte

@Doro: Den zweiten Teil stelle ich erst nach Ende des Wettbewerbs ein, aber dann ganz bestimmt. Vorher will ich nichts verraten, um euch zum Grübeln zu verleiten, ob es ein Instrument zur Konfliktlösung geben könnte, das passt - ein leider seht aktuelles Thema.
Für die Verschiebung von griechischen Sagen in die Gegenwart gibt es gute Beispiele, klassisch mit der Operette "Orpheus in der Unterwelt" von Offenbach, moderne mit der Percy-Jackson-Reihe von Rick Riordan, in der griechische und römische Halbgötter in die Gegenwart der USA versetzt werden. Beide Werke gewinnen in meinen Augen gerade durch den Bruch zwischen Antike und Gegenwart Witz und Charme. Wobei der Unterschied darin besteht, dass Jaques Offenbach bei der Originalsage bleibt und sie nur abwandelt, während Riordan ein Spinning-off geschrieben hat. Ich bevorzuge für mich die Methode Offenbach.


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#8

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 16.06.2022 14:28
von Doro • Federlibelle | 2.350 Beiträge | 9189 Punkte

Hallo @-jek ,


Paris als Buchhalter und mit Shorts. Coole Idee. Tja, er hat wirklich Pech. Ganz egal wie er sich entscheidet, es wird immer falsch sein.

Du hast wunderschöne Sätze in deinem Text:

Z.B.

Zitat von -jek im Beitrag #1
Auch über den Weingärten hingen Stille und Hitze wie ein feines Totentuch.

oder
Zitat von -jek im Beitrag #1
Es war später Mittag, die Geisterstunde des Südens.


Als die Perspektive von Paris zu den Göttinnen wechselt, bin ich kurz aus dem Lesefluss gekommen.


Den Schluss finde ich allerdings unbefriedigend, ja fast enttäuschend, denn ich hätte gern weitergelesen. Gibt es einen 2. Teil?


LG
Doro



PS.:

Zitat von -jek im Beitrag #7
Den zweiten Teil stelle ich erst nach Ende des Wettbewerbs ein, aber dann ganz bestimmt. Vorher will ich nichts verraten, um euch zum Grübeln zu verleiten, ob es ein Instrument zur Konfliktlösung geben könnte, das passt - ein leider seht aktuelles Thema.
Für die Verschiebung von griechischen Sagen in die Gegenwart gibt es gute Beispiele, klassisch mit der Operette "Orpheus in der Unterwelt" von Offenbach, moderne mit der Percy-Jackson-Reihe von Rick Riordan, in der griechische und römische Halbgötter in die Gegenwart der USA versetzt werden. Beide Werke gewinnen in meinen Augen gerade durch den Bruch zwischen Antike und Gegenwart Witz und Charme. Wobei der Unterschied darin besteht, dass Jaques Offenbach bei der Originalsage bleibt und sie nur abwandelt, während Riordan ein Spinning-off geschrieben hat. Ich bevorzuge für mich die Methode Offenbach.
Die Antwort war eigentlich für @Carlotta Lila bestimmt, denn ich hatte da noch gar nicht auf deinen Beitrag geantwortet. Aber nachdem ich die Antwort gelesen habe, weiß ich jetzt, dass es einen 2. Teil geben wird.


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#9

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 17.06.2022 07:39
von Anka • Federlibelle | 756 Beiträge | 3343 Punkte

Lieber @-jek,
ich muss zugeben, dass ich mich mit der griechischen Antike nicht auskenne und war deshalb dankbar über deine Einführung.
Mir haben die modernen Elemente sehr gefallen und ein Schmunzeln ins Gesicht gezaubert. Du hast wirklich sehr schöne Forumlierungen im Text:

Zitat von -jek im Beitrag #1
während die Zeit auf Zehenspitzen davonschlich
Zitat von -jek im Beitrag #1
Er errötete wider seine Gewohnheit und hoffte, dass seine leichten Shorts nicht allzu viel von seinen Empfindungen verraten hatten.
Zitat von -jek im Beitrag #1
ganz absichtslos, mit ihren kühlen Fingerspitzen über seinen feucht gewordenen Handballen strich.
Mir gefällt die hitzeschwangere Atmosphäre der Geschichte, die nicht nur vom Wetter herrüht. Auch ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzung und wie sich Paris - wo er schon ahnt, wie die Dinge laufen werden - entscheidet.


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#10

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 01.07.2022 09:42
von -jek • Federlibelle | 711 Beiträge | 2145 Punkte

HIer wie versprochen das (glückliche) Ende meiner Geschichte:
Paris schwindelte es, seine Knie zitterten und seine Augen suchten unstet Halt, den sie schließlich an Aphrodites Brüsten fanden. Angesichts dieser reizvollen Beispiele weiblicher Schönheit fühlte er sich vor heimischem Gestade. Die Erotik war sein zweites Zuhause. Trotz seiner Jugend war er schon ein erfahrener Veteran etlicher Affären. Er hatte längst gelernt, dass in der Liebe der Frieden nur dann erhalten bleibt, wenn es keine Verlierer gibt. Da lag seine Rettung! Niemals durften zwei Göttinnen enttäuscht werden, wie es die streitsüchtige Eris plante! Alle drei mussten als Siegerinnen davon schweben.
Und dafür könnte er wohl sorgen, sagte er sich und atmete tief durch. Er kniff die Augenlider halb zusammen und stärkte sich mit einem letzten, verschleierten Blick auf Aphrodites Busen, welcher sich, um es homerisch auszudrücken, sachte hob und senkte wie die Wellen einer stillen Badebucht, in der des Ruhesuchenden Boot dem Strande zustrebt. „Ihr Herrlichen und Unvergleichlichen“, begann er, „diese Aufgabe ist falsch gestellt und damit einer Göttin des Streites würdig.“ Die Göttin der Weisheit runzelte bei diesen Worten die Stirne, während die beiden anderen nur erstaunt blickten. Also wandte er sich voll charmanter Frechheit zuerst zu Athene. „Wer wollte entscheiden“, fragte er, „ob an einem vollkommenen Weibe die Rundung der Brüste wonnevoller wäre als die weichen Kurven der Schultern oder des Gesäßes?“ (kurzer, bedeutungsvoller Blick zur breithüftigen Hera) „Oder ob die hohe Stirne“ (Augen schwenkten zu Athene zurück) „oder die edlen Wangen verantwortlicher für die Schönheit gemacht werden könnten als die vollen Lippen?“ (Athene fuhr sich verstohlen mit der Zunge über dieselben). „Wer könnte denn sagen“, wandte sich Paris jetzt an die Liebesgöttin, „ob die strahlenden Augen, das glänzende Haar oder der weiche Samt der Haut der vollendeten Schönheit verzichtbarer wären?“
Paris war bei vertrauter Routine angelangt und redete sich in Fahrt. Fünf Minuten aus seinem besten Honigtopf hatten bisher noch jede Frau weich gemacht. „Ich liebe“ (seine Stimme erreichte ihren vollen Schmelz) „an einem schönen Weibe doch den straffen Schwung ihres Ganges genauso, wie die betörende Süße ihres Duftes mich in Bann schlägt, wie die Anmut ihrer Stimme mich verrückt macht!“
Er bemerkte zufrieden, dass sein Publikum begann, deutlich rascher zu atmen, dass die göttlichen Körper sich sachte bewegten, dass die Augen, in die er wechselnd blickte, an Glanz und Größe gewannen. Da sah er das rettende Ufer greifbar nahe vor sich. Doch als umsichtiger Krieger feierte er seinen Erfolg nicht vorzeitig, auch wenn seine Shorts schon wieder etwas besser saßen. Noch einmal setzte er nach: „Wäre denn – erlaubt mir, sie zu benennen – die verborgene Pforte der Glückseligkeit (die Göttinnen schienen zu erlauben) nicht unvollendet ohne die geschwisterliche Höhlung des Bauchnabels, die zwar nicht dem tiefen Taleinschnitte ähnelt wie jene, jedoch der freundlichen Mulde gleicht, die in der blühenden Frühlingswiese den Liebenden vor dem Abstieg zu den Strudeln der Leidenschaften ein erstes, weiches Lager bereitet.“ Paris hielt kurz inne. Waren ihm jetzt doch die Vergleiche durchgegangen wie übermütige Pferde? Er beschloss, schleunigst auf die Zielgerade einzubiegen: „Es steht mir nicht zu, die Göttin der Zwietracht zu korrigieren“ (kurze Pause vor dem entscheidenden Vorstoß), „aber es ist mir völlig und komplett unmöglich, eine von euch zur Schönsten zu ernennen, wenn ihr alle drei in eurer Schönheit jeweils vollkommen seid und wenn ihr aber erst als Dreiklang die Vollendung des Weiblichen in überirdischer, ja kosmischer Harmonie verkörpert!“ In einer letzten großartigen Gebärde reckte Paris die Arme gen Himmel. Dann hielt er erschöpft inne, und seine Arme sanken. Stille hüllte wieder den Hof ein, kroch die weinlaubbeschatteten Mauern empor und lastete immer drückender auf dem beredsamen Jüngling. Als die Göttinnen dann zu lächeln begannen, rätselhaft und zweideutig zu lächeln begannen, wurde es Paris erneut schwindelig, und er spürte, um es wiederum homerisch auszudrücken, dass ihm die Kontrolle über die Situation entströmt war wie das Blut einem Schlachttiere entströmt. Demütig und schuldbewusst senkte er den Kopf. Wie hatte er nur glauben können, dass sich diese mächtigen Wesen von ihm genauso manipulieren ließen wie erlebnishungrige Pauschaltouristinnen? Was würden die Herrinnen der Welt mit einem so dummdreisten Menschenkind Schreckliches anstellen?
Doch nichts als Wohlwollen war das letzte, was er von den Dreien wahrnahm, bevor sie plötzlich in einer kleinen Wolke mitsamt ihrem Geländewagen in einer kleinen Wolke empor schwebten und verschwanden. Verdutzt und erleichtert blieb er zurück, den goldenen Apfel der Eris noch in der Hand.
Kopfschüttelnd ging er ins immer noch schlafende Haus und an seine Arbeit. Nie würde er die Frauen wirklich verstehen, dachte er. Warum nur waren die Göttinnen so mühsam mit dem Auto gekommen, wenn es so einfach zurückging?
Abends verpasste er dann das heimliche Rendezvous mit der schönen Helena, der Frau des Gastfreundes Menelaos. Denn Aphrodite tauchte unverhofft in seiner Kammer auf und, nun ja, blieb etwas länger.


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#11

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 01.07.2022 10:30
von Doro • Federlibelle | 2.350 Beiträge | 9189 Punkte

Hallo @-jek ,

ein sehr weises Urteil, auch, wenn er es wirklich übertrieben hat (mit den kitschigen Komplimenten, meine ich). Aber den Göttinen scheint es ja gefallen zu haben.


Zitat von -jek im Beitrag #10
Nie würde er die Frauen wirklich verstehen, dachte er.
Das wäre ja auch langweilig. Davon abgesehen, warum soll es ihm besser gehen, als all den übrigen Männern?

Mein Mann hasst z.B. die Frage "Welches Kleid soll ich anziehen?". Egal, wie er sich entscheidet, es folgt unweigerlich "Warum nicht das andere?".


LG
Doro


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#12

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 02.07.2022 10:29
von Anka • Federlibelle | 756 Beiträge | 3343 Punkte

Hallo @-jek,
danke, dass du den Schluss der Geschichte eingestellt hast. Ich habe schon darauf gewartet.
Ich musste die ganze Zeit schmunzeln und war erleichtert, dass Paris die Frauen durchschaut hat und die Antwort gab, die alle drei zufriedenstellte. Wunderbar deine Einspielungen der Homerschen Formulierungen. Was für eine außergewöhnliche und amüsante Story! Schade, dass die Originalsage nicht auch so friedlich endet.
Das ist nur ein Beispiel für eine meiner Lieblingsstellen im Text:

Zitat von -jek im Beitrag #10
In einer letzten großartigen Gebärde reckte Paris die Arme gen Himmel. Dann hielt er erschöpft inne, und seine Arme sanken. Stille hüllte wieder den Hof ein, kroch die weinlaubbeschatteten Mauern empor und lastete immer drückender auf dem beredsamen Jüngling.

Dein Text hat mir großen Spaß bereitet Wie bist du eigentlich darauf gekommen?


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#13

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 02.07.2022 11:40
von -jek • Federlibelle | 711 Beiträge | 2145 Punkte

Danke für die positiven Rückmeldungen.
@Doro Paris´ kitschige Komplimente? Du hast Recht, um mit so einem Schmalz durchzukommen, muss mann schon ein Paris sein. Ich z.B. würde mich damit nur fürchterlich blamieren :-))
@Anka Wie bin ich auf diese Geschichte gekommen? Weil ich mir seit langem Gedanken mache, wie Kriege verhindert werden könnten. Leider ist das selten so leicht wie in meiner Geschichte, aber der Grundgedanke hilft manchmal weiter: Es sollte möglichst nur Gewinner geben.


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#14

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 02.07.2022 11:43
von Bree • Federlibelle | 4.335 Beiträge | 17407 Punkte

Lieber @-jek

kaum zu glauben, dass du bei der Ausgangslage doch noch eine Lösung für die knifflige Situation gefunden hast. Chapeau!
Wie schon beim ersten Teil bin ich begeistert von deiner Formulierungskunst. Zwei Beispiele von vielen, bei denen ich zudem schmunzeln musste:

Zitat von -jek im Beitrag #10
seine Augen suchten unstet Halt, den sie schließlich an Aphrodites Brüsten fanden.

Zitat von -jek im Beitrag #10
Fünf Minuten aus seinem besten Honigtopf


Diese 'antike' Art zu schreiben liegt dir offensichtlich sehr. Vielleicht warst du in einem früheren Leben ein römischer Dichter ...

Hier ist eine Wolke zu viel - nur für den Fall, dass du die Story nochmal brauchst (z. B. für die Lesebühne ...?):
Zitat von -jek im Beitrag #10
bevor sie plötzlich in einer kleinen Wolke mitsamt ihrem Geländewagen in einer kleinen Wolke empor schwebten


Danke für das Lesevergnügen!

LG
Bree


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#15

RE: HISTORISCHES KNISTERN - kein Krieg für Homer Teil 1

in Archiv 02.07.2022 15:49
von Gini • Federlibelle | 1.797 Beiträge | 3677 Punkte

Lieber @-jek ach könnte doch jeder Mann so schön schleimen. Ich wäre glücklich,
wenn meiner das könnte. Ich liebe solchen Kitsch. Man würde sich als Frau hofiert und wertgeschätzt fühlen.
Schade, dass ich nicht in dieser Zeit hinein geboren wurde.
Leider verstehen Männer heutzutage selten ihre Frauen. Aber manche schon. Hach, danke für diese Geschichte.


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