|
SBZ 14 - Marlene
in Die Geschichten der Woche 04.04.2022 17:20von Gini • Federlibelle | 1.811 Beiträge | 3723 Punkte
Marlene sah sich in ihrem kleinen WG Zimmer um. Es war nicht das Schönste, aber für ihre Zwecke würde es reichen. Endlich raus aus dem Mief des Dorfes.
Dort, wo es nur derbe Bauern gab, die hochzeitswillig waren. Sie konnten ihr nicht im Entferntesten das Wasser reichen. Nicht was ihre Bildung betraf, die wies eher auf. Aber womit sie punkten konnte, war ihre Schönheit. Sie schaute sich selbstverliebt in dem kleinen Spiegel an, der in dem möblierten Zimmer an der Wand hing.
Ihre langen, blonden, Haare, fielen wie flüssiges Gold auf ihre schmalen Schultern. Das Gesicht hatte so ebenmäßige Züge, als hätte ein Bildhauer sein Meisterstück geschnitzt. Marlenes Augen leuchteten blau wie ein klarer Bergsee in der Sonne. Ja, sie konnte wirklich zufrieden sein. Eigentlich war es schon seit früher Kindheit ihr Wunsch gewesen, als Model durchzustarten, aber leider gab das ihre Größe von 160 cm nicht her.
Aber was soll‘s, sagte sie sich, ich habe eben andere Qualitäten. Es würde ihr schon gelingen, sich schöne Kleider kaufen zu können. Oder jeden Abend in einem anderen schicken Restaurant zu speisen. Sie verdiente es einfach, von wohlhabenen Herren eingeladen zu werden. Das war ihr das Leben schuldig. Sie hatte so viel entberen müssen.
Eilig schnappte sie sich ihre Tasche und schloss das Zimmer ab. Sie hatte einen Plan. Von ihrem wenigen geparten Geld wollte sie sich zumindest einen hübschen Fummel kaufen. Mit ihren alten Klamotten würde sie nicht weit kommen. Wer sollte sie denn da ansprechen? Außerdem brauchte sie einen Job in einer renomierten Firma. Und zwar da, wo die betuchten und auch gerne älteren Männer tätig waren. Sie würde dann ein leichtes Spiel haben, so wie sie aussah.
Marlene schmunzelte vor sich hin und lief beschwingt die Straße Richtung Centrum entlang. Endlich konnte sie dann das Leben führen, was sie sich immer erträumt hatte.
„Frau Richter, was haben Sie denn für eine Ausbildung? Irgendwelche Zeugnisse? Das muss ich schon wissen. Sonst kann ich ja nichts passendes für Sie raussuchen.“
„Das tut mir furchtbar leid“, Marlene zog sich gespielt verlegen und schüchtern.
Den etwas zu kurz geratenen Rock über die Knie. Sie ärgerte sich über sich selbst. Für das Gespräch beim Arbeitsamt hätte sie doch lieber etwas konservativeres wählen sollen. Aber in dem Billigladen hingen hauptsächlich Minis und ziemlich kurze Oberteile. Sie hatte da einfach nicht widerstehen können.
An der Kasse diskutierte gerade eine Kundin mit der Kassiererin über die billigen Preise. Von wegen Kinderarbeit, oder so ein Quatsch.
Soll die doch woanders einkaufen gehen, die blöde Kuh, dachte Marlene und wurde langsam ungeduldig. Was interessierte sie sich für Kinderarbeit. Das war doch nicht ihre Baustelle. Als sie endlich bezahlen konnte, kleidete Marlene sich schnell in der Kundentoilette um. Ihr altes verschlissenes Kleid entsorgte sie gleich in dem Behälter für das Handtuchpapier. Schon wurde sie wieder von einer Frau angequatscht.
„Schon mal was von Mülltrennung gehört?“
„Kümmern Sie sich mal um Ihren eigenen Kram“, erwiderte Marlene und verließ den Waschraum.
„Hässliche Kuh“, murmelte sie noch und der Vorfall war schnell vergessen. Jetzt saß sie hier vor der Dame der Arbeitsagentur und hoffte auf einen lukrativen Job.
„Wissen Sie, ich hab schreckliches erlebt“, führte Marlene ihren anfänglichen Satz weiter.“Meine Papiere sind alle bei einem Brand vernichtet worden.“
Marlene wischte sich ein paar imaginäre Tränen aus den Augen. Die Dame hinter dem Schreibtisch hatte sofort einen mitleidigen Gesichtsausdruck.
„Oh das ist schlimm. Das ist dann natürlich nicht zu ändern. Was haben Sie denn gelernt?“
Marlene hatte gar nichts gelernt. Ab und zu hat sie im dörflichen Imbiss gejobbt, oder auch mal in der Dorfkneipe ein paar Biere ausgeschenkt. Die Bauern kamen in Hauf zu ihr an den Tresen, um bei ihr zu bestellen. Für den Wirt war das dann ein sehr lukratives Geschäft. So eine Hübsche war natürlich ein Hingucker. Aber viel mehr hatte sie auch nicht aufzuweisen.
„Ich hab eine Lehre als Steuerfachgehilfin gemacht. Vielleicht hätten Sie da etwas für mich?“
Marlene setzte ihr bezauberndstes Lächeln bei dieser Lüge auf. In so einem Steuerbüro waren mit Sicherheit wohlhabende Kunden zu Hause. Und selbst die Steuerberater waren bestimmt auch nicht gerade arm wie eine Kirchenmaus.
„Na, das wäre doch was. Ich hab hier schon einige infrage kommende Beschäftigungen. Ich drucke Ihnen das mal aus und dann stellen Sie sich davor. Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen ganz viel Glück. Ansonsten kommen Sie einfach noch einmal wieder.“
Glücklich verließ Marlene die Arbeitsagentur. Sie würde gleich zu der ersten Adresse gehen. Hat doch alles geklappt.
„Das Spiel kann beginnen“, sagte sie leise vor sich hin. „Ich werde die Männer wie Spielzeug behandeln. Wenn sie ausgedient haben, schmeiß ich sie eben weg und nehm mir ein Neues.“
Das Leben konnte so einfach sein.
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)
RE: SBZ 14 - Marlene
in Die Geschichten der Woche 07.04.2022 17:52von Doro • Federlibelle | 2.449 Beiträge | 9597 Punkte
@Gini,
ganz gegen deine sonstige Gewohnheit, hast du diesmal eine wirklich unsympathische Prot gezeichnet. Marlene ist berechnend und oberflächlich. Spätestens wenn ihre Schönheit vergeht, wird sie lernen, auf was es ankommt.
Zitat von Gini im Beitrag #1Fehlt da was? Ich kann mir zwar vorstellen, was du meinst, aber für mich klingt das komisch.
Nicht was ihre Bildung betraf, die wies eher auf.
Zitat von Gini im Beitrag #1Auch das klingt in meinen Ohren merkwürdig. Vielleicht eher "zeigte"?
Marlene zog sich gespielt verlegen und schüchtern.
Lustig wäre es gewesen, wenn die Dame vom Arbeitsamt die "hässliche Kuh" vom Klamottenladen gewesen wäre. In dem Fall wäre sie Marlene wohl nicht wohlgesonnen gewesen.
Ob mir der Schluss gefällt, weiß ich nicht genau. Einerseits mag ich bei Kurzgeschichten, wenn das Ende offen ist. Andererseits wüsste ich zu gern, ob sie es schafft, sich einen reichen Mann zu angeln oder ob sie auf die Nase fällt. Oder beides.
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
RE: SBZ 14 - Marlene
in Die Geschichten der Woche 07.04.2022 19:14von Gini • Federlibelle | 1.811 Beiträge | 3723 Punkte
@Doro Du hast völlig recht mit deinen Erbsen. Flüchtigkeitsfehler.
Zitat von Doro im Beitrag #4
ganz gegen deine sonstige Gewohnheit, hast du diesmal eine wirklich unsympathische Prot gezeichnet.
Das war natürlich genauso gemeint. Aber solche Damen gibt es bestimmt.
Es wird so enden, dass sie reihenweise reiche Männer kennenlernt. Na, bei diesem Aussehen ja kein Wunder.
Am Ende wird sie aber einen kennenlernen, der sie zum Betrug animiert. Dann werden ihr die Augen geöffnet und
sie reißt das Ruder rum. Sie lernt etwas anständiges und alles wird gut.
Danke für dein Feedback
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)
RE: SBZ 14 - Marlene
in Die Geschichten der Woche 07.04.2022 19:20von Doro • Federlibelle | 2.449 Beiträge | 9597 Punkte
Zitat von Gini im Beitrag #5@Gini , selbstverständlich bin ich davon ausgegangen, dass du sie mit Absicht so beschrieben hast. Es war auch keine Kritik, es ist mir halt aufgefallen. In Romanen sollten Protagonisten symphatisch sein, zumindest größtenteils (niemand hat ausschließlich liebenswerte Seiten). In Kurzgeschichten sehr ich das anders.
Das war natürlich genauso gemeint.
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
RE: Marlene
in Die Geschichten der Woche 08.04.2022 09:10von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.285 Beiträge | 10173 Punkte
Liebe @Gini, ich glaube deine Geschichte hat viel Potential! Deine Prota kommt zwar erst mal eher unsympathisch rüber, das ist sie ja für uns aber deshalb, weil sie so unwissend ist. Allein diese Ignoranz bei der Mülltrennung und Kinderarbeit ist furchtbar.
Ich denke, falls du weiter schreibst, wirst du sie vielleicht noch ganz schön einfahren lassen .
Kleine Anmerkung: Ich bin nicht sicher, ob man "hochzeitswillig", wie du geschrieben hast oder "heiratswillig" sagt. Ich hätte intuitiv eher auf Letzteres getippt.
Liebe Grüße
Carlotta Lila
https://www.leseflamme.jimdofree.com
Unsere größte Schwäche liegt im Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es noch einmal zu versuchen.
Thomas Alva Edison
RE: Marlene
in Die Geschichten der Woche 08.04.2022 17:17von Gini • Federlibelle | 1.811 Beiträge | 3723 Punkte
@Carlotta Lila klar, das heißt natürlich Heiratswillig.
Über dieses Thema habe ich mal eine TS geschrieben. Da war alles ausführlicher und
nahm eine Wendung. S.o. hab ich Doro schon geschrieben.
Danke fürs lesen.
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)
@Gini
Ich hatte mal so eine Marlene als beste Freundin … sie hieß auch so, auch blind, blauäugig, Männermagnet, berechnend, manchmal verlogen… hoffentlich ist sie nicht auch hier 😂🙈
Ich mag die Geschichte. Wer weiß, vielleicht handelt sie so aus der Not heraus, ist unwissend und hat es nicht anders vorgelebt bekommen und ändert sich noch…?
RE: Marlene
in Die Geschichten der Woche 09.04.2022 16:38von Gini • Federlibelle | 1.811 Beiträge | 3723 Punkte
Liebe @Mary Poppins da muss ich dich leider enttäuschen.
Zitat von Mary Poppins im Beitrag #9
Wer weiß, vielleicht handelt sie so aus der Not heraus, ist unwissend und hat es nicht anders vorgelebt bekommen und ändert sich noch…?
Das ist pure Berechnung von ihr. Aber, ganz zum Schluss wird sie sich ändern. Da verlangt ein Mann von ihr, dass sie einen Betrug begeht.
Dann ändert sie sich.
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)
Besucher
1 Mitglied, 1 versteckter und 1 Gast sind Online: Carlotta Lila Besucherzähler Heute waren 2 Gäste und 4 Mitglieder, gestern 16 Gäste und 14 Mitglieder online. |
Forum Statistiken
Das Forum hat 2916
Themen
und
21476
Beiträge.
Heute waren 4 Mitglieder Online: Bree, Carlotta Lila, Cornelia, Sturmruhe |