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SGZ 13 Der Präsident und sein Minister
in Die Geschichten der Woche 02.04.2022 17:47von Yggdrasil • Federlibelle | 1.231 Beiträge | 3155 Punkte
Der Präsident und sein Minister
Es war kühl in dem riesigen Saal, ungemütlich und wenig einladend. Der Mann am oberen Ende des fast zwanzig Meter langen Tisches zog die langhaarige Katze näher zu sich heran. Sie dankte es ihm mit ihrer Wärme und einem deutlich hörbaren Schnurren. Laut, aber nicht laut genug für den Mann am anderen Ende des Tisches.
„Wo sind die anderen?“, fragte der Präsident, während seine Hand über den Kopf der silbergauen Schönheit strich. Er ordnete die Papiere, die vor ihm lagen. Sie verdeckten einen kleinen metallenen Kasten, unsichtbar für den Mann am anderen Ende.„Die anderen? Du weißt, wenn Du entlassen hast, und wer die Kapsel schlucken musste. Und die letzten beiden Minister haben gestern das Land verlassen. Du hättest sie nicht zur UN-Versammlung schicken sollen.“Der Präsident schaute sein Gegenüber eindringlich an. Der hielt dem Blick stand, er verzog keine Miene. „Wir beide allein, Lawi? Keiner sonst, der das Ding weiter mit uns durchzieht?“„Nein, mein Präsident, absolut keiner!“ Dann fügte er säuerlich lächelnd hinzu: „Und natürlich Muschinka, dein schnurrender Freund“. „Und du, mein Freund, bleibst du mir treu bis zum Ende?“
Der Angesprochene zögerte lange mit seiner Antwort. „Das Ende, wie wird es aussehen? Die Ukraine hast du ausgelöscht, das Land ist unbewohnbar, zerbombt, zerstört, verstrahlt. Und die Strahlung trifft auch große Teile unseres eigenen Gebietes. Das Volk ahnt langsam, dass unsere Siegesmeldungen nicht immer stimmen, dass sie geschönt sind. Bald wird es Aufstände geben, es wird heiß werden für uns. Mein Präsident, ich rate dir …“.Entsetzt sprang die Katze vom Schoß des Präsidenten, als dieser wütend aufsprang und mit der Faust auf den Tisch schlug. „Du zögerst mit deinem Treueschwur, du willst mir Ratschläge erteilen! Wer bist du, dass du es wagst?“Er bekam keine Antwort, nur den langen abschätzenden Blick des Außenministers. Der kannte die Wutausbrüche seines Präsidenten und Freundes. „Und mehr noch, Wlady, unser Land ist pleite, der Westen und die Vereinigten Staaten haben uns ausbluten lassen. Unser Volk hungert oder verlässt das Land. Was willst du noch erreichen?“Der Präsident hatte sich wieder gesetzt. Er stützte die Arme auf die mächtige Tischplatte und beugte sich weit vor. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, die Augen funkelten boshaft. „Was ich noch erreichen will? Du weißt, ich habe unsere heißesten Trümpfe noch nicht gezogen in diesem Spiel!“ Seine Finger spielten mit den Papieren, die vor ihm lagen.
Die Katze Muschinka war auf den Tisch gesprungen und lief hin und her zwischen den beiden Männern.Die Augen des Ministers weiteten sich, als er den Sinn dieser Aussage erfasste. Nun war es an ihm, sich zu erheben, aber er sprang nicht auf, sondern stand mit zitternden Knien vor dem Präsidenten. „Das kannst du nicht machen! Dann bist du auf alle Zeit ein Verbrecher, unser Russland nur ein Stück Abfall der Weltgeschichte.“„Verbrecher? Ich sehe mich eher als Helden, der nach Cäsar, Karl dem Großen und Napoleon in die Weltgeschichte eingehen wird. Und unser Mütterchen Russland als strahlenden Stern und Herrscher über die Kontinente! Und du, Lawy, bist dabei, sitzt neben mir auf dem Weltenthron!“Entgeistert schaute der Minister seinen Präsidenten an. „Wlady, du solltest dir das wirklich genau überlegen! Das kann nicht nur schief gehen, das wird dich und uns und die ganze Welt ins Verderben führen!“Muschinka hatte sich vor seinen Herrn gesetzt und schaute den blinzelnd an. Die sonst so runden Augen waren zu Schlitzen geformt.
Der Präsident fuhr dieses Mal nicht aus der Haut, sondern lächelte seinen Freund an. „Schau, Lawy, was ich hier habe.“ Er schob die vor ihm liegenden Blätter zur Seite. Der Metallkasten kam zum Vorschein. Er hatte etwa die Größe einer Zigarrenkiste. Drei Schlüssel steckten in ihm, in der Mitte eine rote Taste.„Wlady, wie bist du an den dritten Schlüssel gekommen?“ Der Minister schrie die Frage fast heraus. Er war bleich wie ein Mozzarella-Käse.Der Präsident war aufgestanden und ging den langen Weg zu seinem Minister. „Wlady, wir werden siegen! Die Raketen sind auf Berlin, Paris, London, Warschau und Prag gerichtet. Glaubst du, die Amis werden ihre eigene Haut riskieren, wenn Europa atomar verstrahlt ist? Glaubst du das wirklich?“Der Minister begann plötzlich zu zittern, Schweiß stand ihm auf der Stirn. Langsam streckte er seinen Arm aus und zeigte am Präsidenten vorbei. „Da, Wlady, du musst etwas unternehmen! Sofort!“„Was?“„Da, da …“.
Verstört drehte Wlady sich um. Er sah, dass Muschinka seine rechte Pfote auf die rote Taste setzte. Dann drehte die Katze den Kopf und wandte sich den beiden Politikern zu. Die bernsteingelben, geschlitzten Augen sahen teuflisch aus.
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RE: SGZ 13 Der Präsident und sein Minister
in Die Geschichten der Woche 03.04.2022 11:01von -jek • Federlibelle | 734 Beiträge | 2198 Punkte
Puh, ein schwarzes Ende. Schlecht für Katzen und Menschen, aber die Welt wird es überleben.
Danke für diese giftig und kraftvoll geschriebene Geschichte.
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Wenn du Schreibregeln beherrscht, ist das gut. Wenn sie dich beherrschen, ist das schlecht.
RE: SGZ 13 Der Präsident und sein Minister
in Die Geschichten der Woche 03.04.2022 14:43von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.245 Beiträge | 9969 Punkte
Hallo @Yggdrasil!
Danke für diese absolut gruselige Geschichte, mit dem apokalyptischen Horrorzukunftsszenario.
Man braucht aber gute Nerven, wenn man sich vorstellt, über welch mögliche Realität du hier spekulierst!
Der Präsident hat zwar kranke Wahnvorstellungen, aber sind es nicht immer diese mächtig gewordenen Psychopathen, die das Unmögliche möglich machen?
Ich begann ja auch die Katze schon richtig zu mögen ... und dann das! Nein, dazu verrate ich nichts.Selber lesen!
Ich bete jedenfalls, dass nichts von de passiert, was du hier beschreibst.
Geschichten wie diese, mahnen uns dazu, für unsere Werte zu kämpfen. In meinem Fall am Liebsten mit der "Feder des Geistes".
Danke & viele Grüße
Carlotta Lila
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Unsere größte Schwäche liegt im Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es noch einmal zu versuchen.
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RE: SGZ 13 Der Präsident und sein Minister
in Die Geschichten der Woche 03.04.2022 14:50von Yggdrasil • Federlibelle | 1.231 Beiträge | 3155 Punkte
@Carlotta Lila Danke und Gruß zurück aus Schweden!
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RE: SGZ 13 Der Präsident und sein Minister
in Die Geschichten der Woche 07.04.2022 17:28von Doro • Federlibelle | 2.416 Beiträge | 9470 Punkte
Hallo @Yggdrasil ,
Zitat von Yggdrasil im Beitrag #1Da hatte ich sofort James Bond vor Augen, bzw. den Bösewicht Blofeld mit seiner weißen Katze.
zog die langhaarige Katze näher zu sich heran.
Bei den James Bond-Filmen ist es ganz einfach, da gewinnt das Gute. Leider ist das in der Realität nicht so. Auch bei deinem Text ist das Ende kein Gutes. Allerdings für niemanden. Eine furchtbare Vorstellung.
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
RE: SGZ 13 Der Präsident und sein Minister
in Die Geschichten der Woche 10.04.2022 19:27von Graugnom • Federlibelle | 283 Beiträge | 1565 Punkte
@Yggdrasil
dein Text baut sich langsam auf, wird allmählich immer dichter und bedrohlicher. Den Eindruck von großmächtigem Wahnsinn hast du beinahe "so nebenbei" einfließen lassen und plötzlich brodelt in der Atmosphäre Gefahr - unaufhaltsame Gefahr.
Dieses Grauenhafte hat du in der Gestalt der Katze mit den bernsteingelben geschlitzten Augen konzentriert. Es ist ein beklemmender Text - er lässt das Ende offen.
Mein Kompliment
RE: SGZ 13 Der Präsident und sein Minister
in Die Geschichten der Woche 18.04.2022 18:12von Bree • Federlibelle | 4.477 Beiträge | 18172 Punkte
Lieber @Yggdrasil
was für ein grausames Szenario! Gut möglich, dass es gar nicht so weit hergeholt ist, wie wir momentan noch hoffen.
Ich glaube fest daran, dass wie im Film auch hier das Gute siegen wird. W. P. kann und darf aus dieser Sache nicht als Sieger hervorgehen. Im Übrigen kann ich nicht glauben, dass er ein Katzenfreund ist. Katzenmenschen sind in der Regel gute Menschen (von Mr. Blofeld mal abgesehen, der war ja auch nicht real). Und "Wlady" ist alles, aber kein guter Mensch. Vielleicht drückt die Katze deshalb den Knopf ...
LG
Bree
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)
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RE: SGZ 13 Der Präsident und sein Minister
in Die Geschichten der Woche 19.04.2022 12:04von blauer Granit • Federlibelle | 695 Beiträge | 3577 Punkte