#1

SGZ 4/22 Roswitha

in Die Geschichten der Woche 28.01.2022 17:15
von Yggdrasil • Federlibelle | 1.186 Beiträge | 3058 Punkte

Roswitha

Roswitha hatte auch uns eine Einladung geschickt. Wie es hieß, nur an die Kinder und ein paar gute Freunde. Merkwürdig war das Wort, das ähnlich wie ein Wasserzeichen in ganz blass-grau quer über den Text gelegt war: Theater der Absurditäten. Trotzdem, oder gerade deswegen, sind wir der Einladung gefolgt und haben uns mit den anderen im Gemeindehaus eingefunden.

Es gab keine Platzordnung und keine Tischkarten. Also setzten wir uns, wie es am besten passte. Nach einer Weile allgemeiner Gespräche wurde eine Suppe aufgetragen, dazu frisches Brot. Ich rührte in der Suppe und schnupperte daran. Krebssuppe, merkwürdig, aber war das schon ein Teil des Absurden Theaters? Wir Gäste schauten uns eine Weile neugierig an, warteten auf eine Rede unserer Gastgeberin, denn wir wussten gar nicht, weswegen wir eingeladen worden waren. Und tatsächlich stand sie auf, schaute in die Runde und sagte: „Schön, dass ihr gekommen seid. Und nun lasst es euch schmecken.“Ab jetzt war ein munteres Klappern mit den Löffeln zu hören, hin und wieder ein Schmatzen. Dazu röhrte „Knockin on heavens door“ gefolgt von „Stairway to Heaven“ aus einem Lautsprecher.Als die Teller leer waren, begannen wieder die allgemeinen Gespräche an den Tischen, dann und wann ein Lachen. Es wurde überwiegend über den Grund der Einladung gerätselt. Wieder und wieder wanderten fragende Blicke zu Roswitha, die aber unterhielt sich mit ihrer Tochter.

Schließlich stand ein Gast auf, klingelte mit Löffel und Glas und wandte sich der Gastgeberin zu.„Schönen Dank, Roswitha, für die Einladung. Wir sind wohl alle gern gekommen, aber nun würde es uns schon interessieren, was der Grund ist. Geburtstag hast du ja nicht, so viel wissen wir. Magst du uns einweihen? Wir möchten dich so gern hochleben lassen!“
Alle Gäste schauten erwartungsvoll zu Roswitha. Die stand auf und lächelte in die Runde. „Ich freue mich, dass ihr gekommen seid und natürlich sollt ihr wissen, warum ich euch eingeladen habe. Nun ja, wir haben viele schöne Stunden zusammen verbracht, aber dies ist das letzte Fest, das wir gemeinsam feiern können.“ Sie machte eine kleine Pause und schaute in die Runde. Dann schluckte sie schwer und fuhr fort: „Denn ich habe Krebs, im Endstadium. Daher, liebe Freunde, hebt euer Glas und lasst uns anstoßen. Auf das Leben!“


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zuletzt bearbeitet 28.01.2022 17:16 | nach oben springen

#2

RE: SGZ 4/22 Roswitha

in Die Geschichten der Woche 28.01.2022 18:29
von Doro • Federlibelle | 2.350 Beiträge | 9189 Punkte

Hallo @-jek ,

was für ein berührendes oder bedrückendes Ende. Auch, wenn man ihren Wunsch nach einem letzten Fest verstehen kann und hätte sie den Gästen vorher gesagt, warum sie eingeladen sind, wäre die Stimmung eine andere gewesen.

Als meine Mutter starb, waren meine Schwester und ich die einzigen, die nicht wussten, wie schlimm es wirklich um sie steht. Mein Vater wollte nicht, dass wir es wissen, damit wir ganz normal mit ihr umgehen. Kann man verstehen, andererseits hätte ich mir im Nachhinein gewünscht, es gewusst zu haben. Dann hätte ich die Chance gehabt, mehr Zeit bei ihr zu verbringen.

Ein schwieriges Thema, aber bis auf die letzten Sätze liest sich dein Text ganz leicht, macht neugierig auf das Warum.

LG
Doro


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#3

RE: SGZ 4/22 Roswitha

in Die Geschichten der Woche 28.01.2022 22:50
von -jek • Federlibelle | 711 Beiträge | 2145 Punkte

@Doro Ich kann leider die Urheberschaft für diese ungewöhnliche Geschichte nicht beansprochen. Yggdrasil schrieb sie. Tatsächlich war ich aber an dem Thema Tod gerade sehr eng dran, sowohl beim Schreiben als auch im Leben. Sonntag jährt sich zum ersten Mal der Todestag eines engen Freundes.


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#4

RE: SGZ 4/22 Roswitha

in Die Geschichten der Woche 28.01.2022 22:53
von Doro • Federlibelle | 2.350 Beiträge | 9189 Punkte

O Sorry, @Yggdrasil und @-jek . Ich hab euch doch glatt verwechselt. Tut mir echt leid. Soll nicht wieder vorkommen.

LG
Doro


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#5

RE: SGZ 4/22 Roswitha

in Die Geschichten der Woche 28.01.2022 22:55
von -jek • Federlibelle | 711 Beiträge | 2145 Punkte

Fühlte mich geehrt, denn die Geschichte ist stark. :-)


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#6

RE: SGZ 4/22 Roswitha

in Die Geschichten der Woche 29.01.2022 07:44
von Yggdrasil • Federlibelle | 1.186 Beiträge | 3058 Punkte

Danke @Doro , die Geschichte ist wirklich so ähnlich abgelaufen ...


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#7

RE: SGZ 4/22 Roswitha

in Die Geschichten der Woche 29.01.2022 17:23
von Herbert Glaser • Federlibelle | 664 Beiträge | 1233 Punkte

Hallo Yggdrasil,

wie bereits geschrieben wurde ist dies eine sehr berührende Geschichte.

Ich bin allerdings nicht sicher, ob die geschilderte Veranstaltung wirklich absurd war.


Und ein Theater erkenne ich auch nicht.

Das tut aber der Tiefe des Textes keinen Abbruch.

Viele Grüße

Herbert


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#8

RE: SGZ 4/22 Roswitha

in Die Geschichten der Woche 29.01.2022 22:11
von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.151 Beiträge | 9415 Punkte

Hallo @Yggdrasil, puh....das ist eine heftige Story...die Absurdität des Todes....unfasslich ja!
Lg
C Lila


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#9

RE: SGZ 4/22 Roswitha

in Die Geschichten der Woche 30.01.2022 13:25
von Gini • Federlibelle | 1.797 Beiträge | 3677 Punkte

@Yggdrasil das ist wirklich sehr traurig. Was macht man mit so einer Diagnose?
Roswitha lädt zum Fest ein. Da kann ich nur sagen, Hut ab.
Ich erinnere, dass du es wirklich so erlebt hast. Du hattest gepostet, dass eine gute Freundin eingeladen hat,
um euch dann mitzuteilen, dass sie sterben wird. Ich bewundere, dass du dann daraus eine Geschichte machen konntest.
Aber es ist dir vielleicht auch schwergefallen. Ich hoffe nur für Roswitha, dass sie in ihrer schwersten Zeit gut Palliativ
versorgt werden konnte.


Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.

Wilhelm Busch (1832-1908)
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