#1

SGZ 4 Chicha, Canyon & die Brüder Cabra

in Die Geschichten der Woche 28.01.2022 12:25
von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.300 Beiträge | 10275 Punkte

Was bisher passierte: Tupac und Flora haben in Peru eine Halbwüste durchquert um zum Colcacanyon zu gelangen und haben ein kleines Dorf erreicht. Während Flora die Kinder in der Herberge abwimmelt, die zudringlich nach Bonbons und mehr verlangen, bleibt Tupac - er hat versprochen, die Bergführer zu organisieren - verschwunden. Flora ist tief beunruhigt.

Chicha, Canyon & die Brüder Cabra

Tupac kam erst im Morgengrauen.
An der Art, wie er die Türe öffnete, erkannte ich, dass er ziemlich angeheitert sein musste und stellte mich schlafend. Er machte ein paar Versuche mich zu wecken, aber bald hörte ich sein regelmäßiges Schnarchen und atmete auf. Sicher hatte er bei seinen Verhandlungen die Chicha weiter wie Wasser getrunken. Ich selber war auf einmal furchtbar durstig, aber in der Herberge gab es nirgendwo fließendes Wasser. Nicht mal auf der Toilette. Als ich einschlief träumte ich von einer Indianerin mit prall gefüllter Brust, an der ein wunderhübscher Säugling nuckelte. Als er sich von ihrem Busen löste wischte er sich wie ein kleiner Machomann den Mund ab und stakste etwas schwankend davon. Ich erkannte, dass auch aus dem Mutterbusen Chicha floss. Die Indianerin bot mir lächelnd an auch zu trinken, aber dann wachte ich auf. Was für ein schräger Traum! Aber nicht so weit weg von der Wirklichkeit, wie ich dachte.

Meine Annahme vom Dorf im Dauerrausch bestätigte sich, als wir am Nachmittag unsere neuen Bergführer trafen. Sie alle hatten diesen leicht schwankenden Gang, wie Seemänner, die nach langer Fahrt das Land betreten. Schon brachten ihre Frauen Krüge und Becher herbei, um die Preisverhandlungen flüssiger zu gestalten … und um uns Gringos auszubeuten, dachte ich wütend. Na ja, ganz stimmte es nicht. Tupac war ja kein Gringo, sondern ein waschechter Aymaraindiander. Aber natürlich war ersichtlich, dass er auf Gringomanier reiste, also Geld bei sich hatte.
Nachdem die Finanzen geklärt waren, erklärten uns unsere potentiellen Führer, dass wir erst in zwei Tagen aufbrechen könnten, weil sie noch die Cochinillaernte beenden müssten. Die wäre in diesem Jahr besonders schlecht ausgefallen und umso wichtiger wäre es, den roten Farbstoff unter Dach und Fach zu bringen. Ich kriegte gerade wieder mal gar nichts mit.
„Was sind Cochinillas“, ich stieß Tupac in die Seite.
„Rote Läuse, ich erläre es dir später.“
Aber anstatt später über Cochinillas und ihre Bedeutung für Lippenstifte zu reden, begannen wir in der Herberge wild zu streiten.
Diesmal war ich die Aggressorin: „Bist du verrückt, solche Träger anzuheuern? Die sehen aus wie Strauchdiebe!“
„Aber wir brauchen Leute, die sich in der Gegend auskennen. Außerdem kannst du das Gepäck nicht allein da runter schleppen.“
„Von all den Einwohnern in dem Dorf, hast du dir die miesesten Typen ausgesucht!“
„Wen sonst hast du schon gesehen?“
„Vorgestern waren da noch andere Männer, als wir am Platz vor der Kirche waren.“
„Ach, diese alten Männer. Außerdem …“
„Tupac sah mich mit dem schlauen Blick eines Nagetiers an, das versucht eine wütende Katze einzuschätzen.“
„Außerdem was?“, zischte ich.
„Wenn ich mit ihnen nicht getrunken hätte, würden sie uns vermutlich ausrauben.“
„Kann ich mir gut vorstellen“, gab ich zu. „Gibt es denn hier nirgendwo normales Wasser?“
Ich habe schon gefragt. Angeblich ist der Boden schwer verseucht, wegen irgendeiner aufgelassenen Kupfermine in der Nähe.
„Wird nicht Chicha auch aus dem Wasser in der Umgebung hergestellt?“
„Ich denke schon“, gab Tupac kleinlaut zu. „Aber man glaubt hier, dass die Gärung das Kupfer neutralisiert.“
Na bravo, wieder eine von den kulinarischen Absurditäten dieses Landes – bisher allerdings die ungesündeste. Gefriergetrocknete Kartoffeln hatten zwar den Geschmack von Ziegenmist, waren aber genießbar, sofern man nicht an duftende Pommes dachte. Gebratenes Guineapig war eigentlich lecker, wenn man es nicht mit putzigen Meerschweinchen assoziierte. Die getrockneten Lamaföten auf den Märkten, die wie Minisauerier von Jurrassicparc aussahen, waren ja nicht zum Essen da sondern für Fruchtbarkeitsrituale.
Wütend schritt ich im Raum zwischen den überdimensionalen Feldbetten auf und ab. Wir sind jetzt also zuerst vergiftet und dann gezwungen worden. Damit gibst du zu, dass du die Typen von selber nicht angeheuert hättest.“
„Aber immer noch besser, als beraubt zu werden.“
„Als ob du das abschätzen könntest!“
„Kann ich“, erklärte Tupac. „Schließlich bin ich hier aufgewachsen. Ich weiß schon, wie ich mit den Leuten reden muss.“
„Und trinken“, ergänzte ich.
„Alkohol schafft eine Vertrauensbasis. Wir haben uns verbrüdert.“
„Und deshalb tun deine Hermanitos uns jetzt nichts mehr, weil großes Machoehrenwort, schlussfolgerte ich.“
Tupac nickte. Endlich hast du was kapiert, Gringita, las ich in seinen Augen.

Hier war die Stunde zu Ende

Die Brüder Cabra erwarteten uns zeitig in der Früh. Ehefrauen und Kinder waren neugierig mitgekommen, um zu sehen, wie wir mit all unserem Gepäck aufbrachen. Wir tranken zum Frühstück zwei Becher Chicha und aßen ein paar gekochte Kartoffeln. Die Brüder nahmen uns die Rucksäcke ab und so begannen wir auf einem abschüssigen Pfad hinunter in den Canyon abzusteigen. Plötzlich konnte ich mein Gleichgewicht nicht mehr halten und rutschte einfach auf einen der Brüder drauf.
„Nicht so stürmisch, Senorita, jetzt ist nicht Zeit für eine heiße Umarmung“, meinte Fredo. Sein Lachen gefiel mir ganz und gar nicht. Überhaupt war ich sauer, weil Tupac mich zusammen mit den zwei Cabrabrüdern weit hinter sich gelassen hatte. Er war ganz in seinem Element, und tänzelte leichtfüßig über Felszacken. Wieder mal war er nicht da für mich und ohne die unangenehme Hilfe von Fredo und Carlo hätte ich den Abstieg nicht geschafft. Sie reichten mir die Hände, hievten mich über große Steine, bauten mir Brücken und grinsten mich jedes Mal auf diese schrecklich anzügliche und etwas mitleidige Art an.
Irgendwann waren wir dann unten im Canyon. Es war atemberaubend schön, stellte ich versöhnlich fest: Eine grüne, lichte Vegetation breitete sich von einer Sandbank in ein flaches Bachbett aus, dass dann in einen wild schäumenden Fluss überging. Ich fragte mich jedoch, wie wir durch dieses breite Wildwasser je auf die andere Seite des Canyons gelangen würden.
„Wo ist die Brücke?“, fragte Tupac. Ich erinnerte mich, dass die Brücke über den Fluss Colca schon mehrmals erwähnt worden war.
Ich sah die Cabra Brüder einen Blick miteinander austauschen.
“Da Senor”, sagte Carlo. Mein Blick folgte seinem behaarten Zeigefinger mit dem schmutzigen langen Fingernagel. „Da“ war ein rostiger Eisenpfahl, ins Gestein eingelassen. Von ihm führte ein Seil, dicht über dem Wasser zu einem anderen Pfahl zum anderen Ufer des Flusses. In der Mitte der Einrichtung pendelte ein Eisenhaken, der immer wieder in die Wellen klatschte.
„Du hast gesagt, es gibt eine Brücke“, sagte Tupac drohend.
„Senor, das ist ja die Brücke.“
Ich kannte Tupac gut genug, um zu sehen, dass er kurz davor war, die Beherrschung zu verlieren. Aber er hielt sich zurück.
„Wir brauchen ein Seil. Dann schwimme ich zum Haken, hole ihn und dann könnt ihr das Gepäck rüberschaffen,“ schlug er vor.
.„Wir haben kein Seil!“, sagten die Brüder unisono.
Tupacs Gesicht verfinsterte sich noch mehr.
„Aber ihr wusstet doch, wie es hier aussieht!“
„Wir waren schon ewig nicht mehr hier unten, Senor.“
Tupacs breite Kiefer mahlten wütend.
„Wie lange dauert es, bis ihr ein Seil holt?“
„Oh Senor, der Weg ist recht weit, da können wir erst morgen oder vielleicht übermorgen irgendwann wieder kommen. Und … na ja, das wird auch was kosten!“
Tupac riss sich zusammen, wofür ich ihn ziemlich bewunderte. Er sagte, sie seien doch jetzt alle Brüder und da wäre es nur fair für Ehre und einen normalen Preis zu helfen.
Nach recht zähen Verhandlungen machten sich Fredo und Carlo Cabra schließlich auf den steilen Rückweg, um für uns ein Seil zu bringen. Ich sah ihnen nach, bis sie nur mehr zwei schwarze Punkte waren und fragte mich, ob wir sie je wieder sehen würden. Dann blickte ich an den eng zusammenstürzenden Felswänden des Canyons hoch, die eine kleine Öffnung freigaben, durch die man ein winziges Stückchen Himmel sah.
„Vamos“, sagte Tupac, „fangen wir ein paar Fische fangen, bevor es ganz dunkel wird!“
Muss ich es erwähnen, dass ich keinen einzigen Fisch fing, weil die glitschigen, silbrigen Leiber mir immer wieder aus der Hand schlüpften? Woher Tupac es auch immer gelernt hatte: Schließlich lagen neben unserem kleinen Lagerfeuer am Fluss, feinsäuberlich auf Holzstecken aufgespießt, neun silbrige Fischlein, die wir brieten und genüsslich verzehrten.
Inzwischen war es wirklich Nacht geworden, und hätte das Feuer nicht gebrannt, wäre es stockdunkel gewesen. Erst tief in der Nacht, als ich einmal aufwachte, sah ich für ein paar Minuten die Mondsichel auftauchen und wusste so, das der Himmel noch da war.


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zuletzt bearbeitet 28.01.2022 12:30 | nach oben springen

#2

RE: SGZ 4 Chicha, Canyon & die Brüder Cabra

in Die Geschichten der Woche 28.01.2022 18:21
von Doro • Federlibelle | 2.515 Beiträge | 9878 Punkte

Liebe @Carlotta Lila ,

da lob ich mir Pauschalreisen. Für mich wäre diese Art Urlaub zu machen nix. Ich könnte mich kein bisschen entspannen.


Immerhin ist Tupac zurückgekommen.


Meine Lieblingsstelle:

Zitat von Carlotta Lila im Beitrag #1
wusste so, das der Himmel noch da war.


Bin gespannt, ob die beiden Reiseführer zurückkommen.


LG
Doro


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#3

RE: SGZ 4 Chicha, Canyon & die Brüder Cabra

in Die Geschichten der Woche 28.01.2022 21:28
von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.300 Beiträge | 10275 Punkte

Liebe @Doro, danke für dein Feedback (-; jaja, wenn einer eine Reise tut, hat er/sie was zu erzählen. Aber ich habe nicht alles erlebt, ich erfinde auch einen großen Teil der Ereignisse. Ich möchte halt gerne ein Abenteuer stricken, mit ein paar atemlosen Momenten!

Übrigens: Ich hab' dir jetzt eine Email mit zwei meiner Geschichten geschickt. Aus irgendeinem Grund funktionieren die Mails innerhalb des Forums nicht. Ich hab jetzt noch 2x an dich was geschickt - Kopie und Lesebstätigung hab' ich beide nicht bekommen. Ich muß mal in die Einstellungen vom Admin reinschauen ... vielleicht liegt es daran.

Liebe Grüße & danke fürs Lesen
C Lila


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#4

RE: SGZ 4 Chicha, Canyon & die Brüder Cabra

in Die Geschichten der Woche 28.01.2022 21:46
von Doro • Federlibelle | 2.515 Beiträge | 9878 Punkte

Zitat von Carlotta Lila im Beitrag #3
Aus irgendeinem Grund funktionieren die Mails innerhalb des Forums nicht.
Doch hat funktioniert, @Carlotta Lila .

Lg
Doro


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#5

RE: SGZ 4 Chicha, Canyon & die Brüder Cabra

in Die Geschichten der Woche 29.01.2022 17:40
von Herbert Glaser • Federlibelle | 666 Beiträge | 1237 Punkte

Hallo Carlotta,

mir geht es wie Christa, so eine Reise wäre absolut nichts für mich!

Aber als Erzählung immer wieder gerne.

Eine Erbse:

„Rote Läuse, ich erläre es dir später.“


Viele Grüße

Herbert


zuletzt bearbeitet 29.01.2022 19:56 | nach oben springen

#6

RE: SGZ 4 Chicha, Canyon & die Brüder Cabra

in Die Geschichten der Woche 29.01.2022 19:59
von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.300 Beiträge | 10275 Punkte

Hallo lieber @Herbert: Na, ich mache eh keine Werbung für Reisetouren - aber wenn dich die Texte unterhalten, freut es mich! Danke für die Erbse, sie werden in die Überarbeitung einfließen (-:
LG
C Lila XXX


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#7

RE: SGZ 4 Chicha, Canyon & die Brüder Cabra

in Die Geschichten der Woche 30.01.2022 13:54
von Gini • Federlibelle | 1.838 Beiträge | 3794 Punkte

@Carlotta Lila ich bin so froh, hier in meinem warmen Zimmer zu sitzen.
Die Sonne schein durchs Fenster und ich muss keine Abenteuer bestehen.
Für mich wäre nicht mal eine Reise mit dem Wohnmobil etwas passendes.
Du schilderst die Erlebnisse zu eindrücklich, dass ich immer mitfühle.
Die Arme, aber einiges scheint ihr ja zu gefallen.
Ich hätte da auch eine kleine Ebse für dich

Zitat von Carlotta Lila im Beitrag #1
„fangen wir ein paar Fische fangen, bevor es ganz dunkel wird!“

Einmal fangen zu viel.


Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.

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