#1

SGZ 32: Die ernsthaften Dinge des Lebens

in Die Geschichten der Woche 08.08.2021 15:39
von Doro • Federlibelle | 2.449 Beiträge | 9597 Punkte

Die ernsthaften Dinge des Lebens

Josef deutete mit einem Kopfnicken in Alfreds Richtung und nahm die Pfeife aus dem Mund. „Total undicht.“

„Und das nach so kurzer Zeit“, mischte sich Bernhard ein. Er zeigte auf die Pfeife. „Is das die von deinem Großvadder?“
„Is sie. Er hat mir die ganze Sammlung vermacht.“ Josef hielt die Pfeife etwas höher, damit die anderen beiden sie bewundern konnten.
Sie taten ihm den Gefallen.

„Ziemlich großzügig“, stellte Bernhard fest.
„Find ich auch“, sagte Alfred. „Eine Former?“
Josef schüttelte den Kopf. „Ne. Dunhill. Deweit spotpaips.“ Er sah die beiden an, stolz, dass er sich den schwierigen Namen merken konnte.
„Hä?” Bernhard guckte ihn ratlos an.
Dabei behauptete der immer, er sei ein Experte, was Pfeifen anging. Anscheinend ja wohl nicht.

„The white spot pipes“, wiederholte Alfred.
„Ach so“, sagte Bernhard.
„Sach ich doch“, murrte Josef und steckte die Pfeife in den Mund. Ohne sie jedoch wirklich zu benutzen. Konnte Ilse nicht leiden. Jedenfalls nicht in der Wohnung.
„Können wir auf unser eigentliches Problem zurückkommen?“ Alfred verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen.
„Is nich nur undicht, müffelt auch“, kommentierte Bernhard und trat zwei Schritte zurück.
Josef packte die Pfeife in das Etui, das ihm Ilse zu Weihnachten geschenkt hatte. „Wir brauchen einen Experten.“
„Recht haste.“ Bernhard legte die Stirn in Falten. Sah aus wie bei diesen Hunden. Josef kam nicht auf den Namen. Aber die bestanden praktisch nur aus Falten.
„Kennt jemand einen Spezialisten für so einen Fall?“, wollte Bernhard wissen.

„Ne“, entgegneten Josef und Alfred unisono.
„Ich hab `ne Idee.“ Josef grinste. „Die Enkelin von oben unsrem Nachbar guckt alles bei Jutube nach. Sogar wie man Nudeln kocht. Bin gleich wieder da.“
Im Wohnzimmer suchte er das Tablet. Verflixt, sonst lag es immer auf dem Couchtisch. Wo war das Teil bloß? Wahrscheinlich hatte Ilse aufgeräumt. Dann fand man nichts mehr. Er ließ sich aufs Sofa plumpsen. Autsch. Etwas Hartes bohrte sich in sein Hinterteil. Er rutschte zur Seite und erblickte das Tablet. Wer zum Kuckuck legte das Tablet zwischen die Sofakissen? Er zog das Ladekabel ab und nahm das Teil mit in die Küche.
„Hier.“ Er legte es auf den Tisch. „Jetzt müssen wir nur noch den richtigen Link finden.“ Zum Tippen setzte er sich auf einen der Küchenstühle.
Bernhard folgte seinem Beispiel, doch als Alfred sich anschließen wollte, hob Josef den Kopf. „Ne, du nich. Sonst is nachher da auch alles nass. Ilse reißt mir den Kopf runter.“
„Dann beeil dich wenigstens“, meckerte Alfred. „Habt ihr keine Telefon? Da find ich schneller einen Fachmann als wie ihr mit dem Ding da.“
„Wofür braucht ihr einen Fachmann?“, fragte eine Stimme vom Gang, die Josef sehr gut kannte, gehörte sie doch seiner Frau.
„Brauchen wir nich“, erklärte er. „Wir brauchen einen Experten oder noch besser einen Spezialisten.“ Die anderen beiden nickte.
„Ist doch alles dasselbe, Josef“, sagte Ilse. Er hörte, dass sie ihre Schuhe auszog.
„Mitnichten“, gab er zurück. „Es gibt da feine Unterschiede, zum Beispiel ist ein Spezialist …“
„Kannste uns später erklären. Wir brauchen jetzt dringend jemanden“, klagte Alfred. „Von wegen Rundum-Auslaufschutz. In der Werbung behaupten die immer, dass das zwölf Stunden dicht hält. Mindestens.“
„Wer glaubt schon der Werbung?“, murmelte Josef.
Auf Strümpfen kam Ilse zu ihnen in die Küche und blieb so abrupt stehen, als wäre sie gegen eine Scheibe gelaufen. „Ich fasse es nich!“, rief sie. „Experte? Fachmann? Ihr habt sie doch nicht mehr alle. Gesunder Menschenverstand reicht, mehr nich.“ Sie ging auf Alfred zu, nahm ihn das undichte Baby ab. „Windeln und Ersatzklamotten?“
Alfred zuckte mit den Achseln. „Auf der Terrasse steht der Kinderwagen. Wir dachen ja, Babys schlafen die ganze Zeit und wir könnten eine Runde Skat spielen.“
Ilse verdrehte die Augen. „Bist du dir sicher …“, sagte Josef. „… ich mein, wir haben ja keine Kinder …“
Ilses Blick war eben so aussagekräftig wie jede Zurechtweisung. Er zog es vor zu schweigen, bis die Luft rein war. Ilse wandte sich dem Baby zu. Innerhalb von Sekunden verwandelte sich ihr Gesichtsausdruck. Wurde sanft, fast ein bisschen dümmlich, was er selbstverständlich niemals laut ausgesprochen hätte. Leise redete sie auf das Baby ein. Im Hinausgehen schob sie den Putzeimer in seine Richtung. Dann verließ sie die Küche.
„Is dein Enkel“, sagte er zu Alfred und reichte den Eimer weiter.
Er lauschte, hörte Ilses merkwürdiges Geplapper aus dem Wohnzimmer. Aus der Hosentasche holte er die Spielkarten und legte sie auf den Tisch. „Das Problem hätten wir gelöst. Widmen wir uns wieder den ernsthaften Dingen des Lebens.“






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zuletzt bearbeitet 08.08.2021 15:39 | nach oben springen

#2

RE: SGZ 32: Die ernsthaften Dinge des Lebens

in Die Geschichten der Woche 08.08.2021 19:50
von Herbert Glaser • Federlibelle | 665 Beiträge | 1234 Punkte

Hallo Doro,

das ist aber eine fiese Stereotype, dass Opas nicht mit Babys umgehen können (Spaß!)

Bei uns ist es so: Kati (trägt manchmal noch Windel) wird gefragt "Wer soll dich wickeln?".

Die Antwort ist (fast) immer: "Die Oma muss!"

Damit ist dann alles geklärt.

Da wir seit gestern ein neues Enkelkind haben, können wir beiden Opas uns nun wieder bewähren.

Und das tun wir auch - ganz bestimmt.

Viele Grüße

Herbert


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#3

RE: SGZ 32: Die ernsthaften Dinge des Lebens

in Die Geschichten der Woche 08.08.2021 23:20
von Doro • Federlibelle | 2.449 Beiträge | 9597 Punkte

Hallo @Herbert Glaser ,

in unserem Bekanntenkreis bzw. Familie gibt es bei den Männern alle Typen. Die, die wickeln können und es auch tun. Die, die theoretisch wissen, wie es geht, es aber bisher noch nie unter Beweis gestellt haben. Und die, die es bei den eigenen Kindern zwar hin und wieder gemacht haben, aber sich bei den Enkelkindern vornehm zurückhalten.

Mein Schwiegervater hat sich auch jedesmal jemanden gesucht, der für ihn gewickelt hat.

Mein Mann hatte anfangs immer Angst, was falsch zu machen oder dem Baby wehzutun. Aber die sind robuster als man denkt und verzeihen Ungeschicklichkeit. Kann man alles lernen - wenn man will. Ist natürlich bequemer, es andere machen zu lassen.

Wickeln ist lästig, muss aber halt getan werden.

Zitat von Herbert Glaser im Beitrag #2
Da wir seit gestern ein neues Enkelkind haben, können wir beiden Opas uns nun wieder bewähren.
Mein Vater konnte mit seinen Enkelkindern erst was anfangen, als sie schon ein bisschen älter waren. Also so 2 oder 3 Jahre. Vorher hat er sie höchstens im Kinderwagen spazierengefahren. (Was natürlich auch eine Entlastung war.) Aber dann war er ein Opa wie man ihn sich vorstellt. Dafür chauffieren ihn unsere Kinder heute auch mal zum Arzt, mähen für ihn den Rasen, schneiden die Hecke oder fahren zum Getränkehandel. Finde ich sehr schön. (Wenn er aus der Reha kommt, will er alles wieder selbst machen. Bin ich mal gespannt.)

Zitat von Herbert Glaser im Beitrag #2
das ist aber eine fiese Stereotype,
Stimmt. Volles Klischee. Allerdings stelle ich immer wieder fest, dass das reale Leben viel klischeehafter ist, als ich es in meinen Texten schreibe.

Lg
Doro


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#4

RE: SGZ 32: Die ernsthaften Dinge des Lebens

in Die Geschichten der Woche 09.08.2021 08:32
von Herbert Glaser • Federlibelle | 665 Beiträge | 1234 Punkte

Und das Leben ist viel verrückter als jede erfundene Geschichte, das zeigt sich immer wieder.


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#5

RE: SGZ 32: Die ernsthaften Dinge des Lebens

in Die Geschichten der Woche 09.08.2021 12:16
von Gini • Federlibelle | 1.811 Beiträge | 3723 Punkte

@Doro echt lustig deine Geschichte. Du lässt den Leser erst einmal im Ungewissen.
Auf Windelwechseln muss man erstmal kommen.
Wir haben ja auch noch zwei Enkel mit Windeln. Wenn man fragt, wer die Windel wechseln soll, sagt er immer Oma.
Mein Mann könnte das auch gar nicht. Er müsste warten, bis der Papa oder die Mama nach Hause kommen.
Wenn ich nicht da bin.


Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.

Wilhelm Busch (1832-1908)
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#6

RE: SGZ 32: Die ernsthaften Dinge des Lebens

in Die Geschichten der Woche 09.08.2021 14:07
von Doro • Federlibelle | 2.449 Beiträge | 9597 Punkte

Liebe @Gini ,

Zitat von Gini im Beitrag #5
Mein Mann könnte das auch gar nicht. Er müsste warten, bis der Papa oder die Mama nach Hause kommen.

Na siehst du, dein Mann bräuchte in dem Fall auch einen Experten.


Zitat von Gini im Beitrag #5
echt lustig deine Geschichte.
Das sollte sie sein. Danke.

Zitat von Gini im Beitrag #5
Du lässt den Leser erst einmal im Ungewissen.
Auch das war so geplant. Man weiß bloß oft nicht, ob das beim Leser auch so ankommt.


LG
Doro


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#7

RE: SGZ 32: Die ernsthaften Dinge des Lebens

in Die Geschichten der Woche 09.08.2021 15:56
von Bree • Federlibelle | 4.527 Beiträge | 18453 Punkte

Liebe @Doro

Herrlich! Anfangs wusste ich natürlich auch nicht, was genau da undicht ist (das Baby hat ja offenbar nicht geschrien) und wofür ein Experte gebraucht wird, doch am Ende, als ich es wusste, las ich den Text nochmal und hab mich umso mehr amüsiert. Schon der Spruch mit den 12 Stunden und der Werbung ist klasse!
Automatisches Nackenhaare-Aufstellen kam bei mir hier:

Zitat von Doro im Beitrag #1
Die Enkelin von oben unsrem Nachbar

Ich weiß ja, dass viele so reden, und ich finde es genial, wie du das übernimmst, aber ich krieg bei solchen Formulierungen immer Pickel. Berufskrankheit.
Kurz: Eine sehr witzige und vermutlich auch ziemlich realistische Geschichte, die ich echt gern 2 x gelesen habe!

LG
Bree


Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)

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Alles über meine Bücher & mich findet ihr auf meiner Website: www.brittabendixen.de
Einen eigenen Youtube-Kanal habe ich auch. Dort lese ich einige meine Geschichten.
Den Button findet ihr auf meinem Profil.
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#8

RE: SGZ 32: Die ernsthaften Dinge des Lebens

in Die Geschichten der Woche 09.08.2021 17:41
von Doro • Federlibelle | 2.449 Beiträge | 9597 Punkte

Liebe @Bree ,

Zitat von Bree im Beitrag #7
Ich weiß ja, dass viele so reden, und ich finde es genial, wie du das übernimmst, aber ich krieg bei solchen Formulierungen immer Pickel.
Geht mir genauso. Aber da passte es zu den Figuren.

Zitat von Bree im Beitrag #7
(das Baby hat ja offenbar nicht geschrien) u
Es gibt Babys (oder auch Kleinkinder), die stört es leider überhaupt nicht, selbst, wenn sie bereits patschnass sind und auslaufen. Andere brüllen schon, wenn die Windel nur leicht feucht ist.

Zitat von Bree im Beitrag #7
Anfangs wusste ich natürlich auch nicht, was genau da undicht ist
So sollte es sein.

Zitat von Bree im Beitrag #7
Kurz: Eine sehr witzige und vermutlich auch ziemlich realistische Geschichte, die ich echt gern 2 x gelesen habe!
Das freut mich sehr, danke.

LG
Doro


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#9

RE: SGZ 32: Die ernsthaften Dinge des Lebens

in Die Geschichten der Woche 15.08.2021 08:03
von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.285 Beiträge | 10173 Punkte

Liebe @Doro, ein wirklich sehr lustiger Text, den ich mehrmals gelesen habe, weil er eine ganze Fülle von verballhornten Ausdrücken hatte, wo ich nicht immer gleich draufgekommen bin, was es heißt (((-:
Ich finde es auch so witzig, wie du den Gesichtsausdruck von Ilse beschreibst, als sie sich dem Baby zuwendet!
Liebe Grüße
C Lila


https://www.leseflamme.jimdofree.com

Unsere größte Schwäche liegt im Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es noch einmal zu versuchen.
Thomas Alva Edison
Doro hat sich bedankt!
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