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Das Gummibärchenlos
Ich gebe zu, ich bin. Nein,- war schon immer entscheidungsschwach. Jedwede Entscheidung im Leben, fällt mir unendlich schwer. Schon damals, als Kind wenn meine Eltern im Urlaub mit mir in einem Restaurant waren, konnte ich mich zwischen all den verschiedenen Speisen und Köstlichkeiten nicht entscheiden. Sollte ich das Schnitzel Rotkäppchen, oder lieber Fischstäbchen mit Kartoffelsalat oder gar Nudeln mit Tomatensoße nehmen? Ich überlegte hin und her. Dann die Auswahl an Getränken, Cola oder Pepsi oder Zitronenlimo? Jedes mal wurden meine Eltern wütend, wenn der Kellner schon das zweite Mal zu unseren Tisch kommen musste, um die Bestellung aufzunehmen. Meiner Mutter wurde es bald zu bunt und sie bestellte dann irgendetwas für mich und schimpfte, das sie sich für mich schämen würde. Was würden die Leute über eine solche Tochter denken? Im Grunde genommen, war es mir egal, was die Leute über mich dachten. Ich bekam etwas zu essen und musste mich nicht quälen.
Dann das Schuhe einkaufen, im Geschäft gab es unfassbar viele Schuhe, ich lief durch die Regale und war verwirrt. Alle waren hübsch, oder hässlich. Der eine Schuh hatte bunte Streifen, der andere hatte Glitzer auf der Seite und da der hatte sogar einen zusätzlichen Riemen mit Druckknopf. Oder sollten es doch lieber Sportschuhe sein? Jedes Mal kam die Verkäuferin mit einem Arm voller Schuhe und wurde nach dem dritten Versuch immer ärgerlicher, wenn ich mich wieder und wieder nicht entscheiden konnte. Meiner Mutter riss schließlich der Geduldsfaden und sie entschied dann für mich, am Ende war es mir recht. Meine restlichen Bekleidung kaufte sie ohnehin schon ohne mich, weil es sonst nicht aushielt, wenn ich wieder und wieder zwischen den Regalen umherging und mich nicht entscheiden konnte und am Ende vor Verzweiflung heulte.
Das führte schließlich dazu, dass ich nie den damals angesagten Modetrends folgte und verspottet wurde. Irgendwann begann ich in solchen Fragen die Antwort abzuzählen. „Ene, mene, mu und ab bist Du“ Oder andere Reime: Ose, Pose, Butterwackel, Eck, Dreck, Weg!“ Schnell ganz leise den Reim gesprochen, brachte mich aus mancher Bredoullie, wenn ich mich wieder nicht für eine Antwort in der Klassenarbeit entscheiden konnte. Bei Mathe, Physik oder Chemie, brauchte ich das nicht. Die Aufgaben dieser Fächer folgten Gesetzen und waren richtig oder falsch. Da muss man nichts entscheiden. Bei allen anderen Fächern war das nicht der Fall, da musste ich schnell abzählen oder würfeln. Was in der Schule nicht so gern gesehen war. Oder ich zählte schnell die Vögel, die sich auf dem Schulhof herumtrieben. Ungerade Zahl, war Ja, gerade Zahl Nein. Oft lag ich mit dieser Methode richtig, aber nicht immer. Außerdem gab es Tage, an denen sich gerade keine Vögel oder Blätter in der Nähe befanden, die ich schnell zählen konnte.
Doch auch bei anderen Fragen blieb ich lange ratlos. Sollte ich lieber mit Michael oder Bernd gehen? Beide hatten zweifelsohne ihre Vor- und Nachteile. Wie abwägen? Ich zählte auf dem Heimweg die Zahl der roten und blauen Autos. Rot stand für Michael, Blau für Bernd, die höhere Zahl sollte entscheiden. Es waren exakt je 11 rote und blaue Autos, eine Pattsituation. Am nächsten Tag hatte Michael die Nase vorn. Als ich es ihm freudestrahlend mitteilen wollte, hatte er schon den Arm um Carola gelegt und Bernd baggerte gerade Marion an. So ein Pech! Ich konzentrierte mich weiter aufs Lernen, zumal wir gerade Wahrscheinlichkeitsberechnungen hatten. Ein Thema das mich natürlich faszinierte und begeisterte. Gleichzeitig tüfftelte ich an Methoden, wie ich zu einer optimalen Entscheidung kam. Dann hatte ich die perfekte Methode gefunden. Das Gummibärchenlos.
In einer 200 g Orginaltüte gibt es rote, orange, gelbe, weiße und grüne Gummibären . In immer der gleichen Verteilung. Weiß steht dabei für ja, grün für nein, gelb für rechts, orange für links und rot für Wiederholung. Das hat nichts mit Aberglauben zu tun, es ist pure Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Damit können binnen Sekunden alle wichtigen Entscheidungen des Lebens getroffen werden. Ich brauche nur eine 200 g Packung in der Tasche zu tragen und entscheide dann mit schlafwandlerischer Sicherheit. Ich gebe zu dass diese Methode auch Schwächen hat. In einem Restaurant bin ich oft schon satt, wenn die Karte sehr viele Speisen hat. In einem gehobenen Restaurant mit wenigen Speisen hingegen, sehen es die Kellner nicht so gern, wenn man eine Tüte Bären auf den Tisch legt um zu ziehen, ob man lieber Roastbeef oder Hummer bestellt. Da wird man schon mal seltsam angesehen. Nach dem Abitur brauchte ich zwei ganze Tüten, um mich für mein Idealfach zu entscheiden. Jura.
Die Juristerei hat unendlich viele Gesetze und Regeln, die man nur befolgen muss, also ganz einfach für mich. Ich bestand meine Prüfungen alle mit sehr gut. Mit Hilfe der Gummibärchenmethode, entschied ich mich meist richtig oder konnte Fehler gut begründen, auch das ist sehr wichtig. Ich habe nur einmal darüber mit einem Studienkollegen gesprochen, der mir gestand es ebenso zu machen. Wir schworen gegenseitiges Stillschweigen und haben uns bis jetzt dran gehalten.
Im Großen und Ganzen funktioniert meine Methode reibungslos, ich muss nur daran denken, nach jeder Entscheidung die Tüte zu kalibrieren, also immer alle fünf Bären zu essen, sonst ist das Ergebnis fehlerhaft. Das hat leider ungünstige Auswirkungen auf meine Figur, aber auch hier kommt mir die Richterrobe sehr entgegen, wenn sie wissen was ich meine. Inzwischen bin ich beruflich weit aufgestiegen und sitze am Oberlandesgericht.
Heute müssen wir ein Urteil fällen, das ziemlich heikel ist, deshalb habe ich besonders sorgfältig dreimal gezogen. Die Entscheidung lautet Nein.
Ich muss das Urteil gleich verkünden.
Der Kläger wird enttäuscht sein, aber die Bären lügen nicht. Er kann ja in Revision gehen, in der letzten Instanz sitzt mein ehemaliger Kommilitone. Ob seine Bärchen, etwas anderes sagen?
RE: SGZ 31 Das Gummibärchenlos
in Die Geschichten der Woche 01.08.2021 13:31von Doro • Federlibelle | 2.482 Beiträge | 9750 Punkte
Liebe @Rieke.ke ,
ich habe mich köstlich amüsiert.
Ich gebe zwar zu, dass ich nicht möchte, dass ein Richter ein Urteil aufgrund der gezogenen Gummibärchen fällt, aber die Idee hat was. Und ehrlich gesagt, sind mir manche Urteile so schleierhaft, dass ich mich gerade ernsthaft zu fragen beginne, ob die nicht auch Gummibärchen hatten.
Großartige Idee.
Mir fällt es auch oft schwer, mich zu entscheiden. Habe ich mich dann entschieden, dass ich den bestimmten Pulli doch kaufen möchte, ist es manchmal zu spät, weil die Ware ausverkauft ist. Na, hab ich Geld gespart.
Sehr gern gelesen.
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
RE: SGZ 31 Das Gummibärchenlos
in Die Geschichten der Woche 01.08.2021 17:01von Herbert Glaser • Federlibelle | 665 Beiträge | 1234 Punkte
RE: SGZ 31 Das Gummibärchenlos
in Die Geschichten der Woche 03.08.2021 07:49von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.290 Beiträge | 10212 Punkte
Liebe @Rieke, das ist ja eine super Geschichte! Ich hätte nie gedacht, dass jemand solche Probleme haben kann. Wäre natürlich interessant zu wissen, wie sich die Persönlichkeit deiner Figur entwickelt hätte, wenn die Eltern die Perioder der Entscheidungsfindung ein paarmal durchgestanden hätten! (-:
Liebe Grüße
Carlotta Lila
https://www.leseflamme.jimdofree.com
Unsere größte Schwäche liegt im Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es noch einmal zu versuchen.
Thomas Alva Edison
RE: SGZ 31 Das Gummibärchenlos
in Die Geschichten der Woche 03.08.2021 09:00von Beate W. (gelöscht)
Zitat von Herbert Glaser im Beitrag #3Ich schließe mich meinem Vorschreiber vollumfänglich an, und werde schon mal eine Tüte Gummibärchen kaufen, für den Fall, dass ich mich nächstens wieder zwischen einer SGZ-Schreibstunde und einer Runde Stallarbeit entscheiden muss ...
eine wirklich gelungene und sehr unterhaltsame Geschichte!
RE: SGZ 31 Das Gummibärchenlos
in Die Geschichten der Woche 07.08.2021 19:16von Gini • Federlibelle | 1.819 Beiträge | 3745 Punkte
@Rieke.ke eine sehr originelle Idee. Unterhaltsam und ziemlich kreativ.
Ob so etwas funktioniert? Vielleicht nicht gerade wenn man einen solchen Posten hat.
Aber sonst? Wer weiß. Kann ich ja mal ausprobieren
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)
RE: SGZ 31 Das Gummibärchenlos
in Die Geschichten der Woche 08.08.2021 09:20von Bree • Federlibelle | 4.576 Beiträge | 18699 Punkte
Liebe @Rieke.ke
beim letzten Satz musste ich echt lachen! Überhaupt ist die ganze Story witzig und originell. (Jetzt mal ehrlich, so ganz unter uns: Wie viel Wahrheit steckt da drin? )
Eine Frage hab ich zu den Bärchen:
Zitat von Rieke.ke im Beitrag #1
In einer 200 g Orginaltüte gibt es rote, orange, gelbe, weiße und grüne Gummibären . In immer der gleichen Verteilung.
Heißt das, dass die Anzahl der gelben Bären (als Beispiel) immer gleich ist? Oder variiert das?
Wie auch immer, ein toller Beitrag mit hohem Unterhaltungsfaktor!
LG
Bree
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)
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