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Tanzabend
Ich höre das gleichmäßige Rasseln des Atmens meiner Bettnachbarin, aber ich kann sie nicht sehen, weil die Betten mit einer spanischen Wand von einander getrennt sind. Nie ist Ruhe, niemals dunkel hier in der Intensivstation, in der ich schon seit Tagen liege, oder sind es Monate? Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren.
Alle Tage verlaufen gleich.Morgens kommen die Ärzte und machen ein besorgtes Gesicht. Sie geben mir wieder und wieder Infusionen.Meine Venen sind entzündet es tut so weh, wenn sie mir die Infusion in den Hals stechen. Dann kommt das Morphium und ich dämmere den restlichen Tag dahin. Kann kaum die Augen öffnen, die Hand heben oder sprechen. Mein Hals ist so trocken, ich kann nicht sprechen. Ich wünsche mir noch einmal ein Eis zu essen. Zitroneneis, das kalt, leicht süßsauer in meinem Mund schmilzt. Aber es hat niemand Zeit dafür.
Wenn ich wach bin, höre ich die Maschinen ihren Dienst tun. Piep, piep, es hört nie auf.Wenn es mal lang piept geraten alle Schwestern und Pfleger in Hektik. Es wird gerufen, Ärzte kommen, dann werden Geräte angeschlossen und zu, Ende der Defibrillator Es knallt jedes Mal, wenn sie ihn einsetzten. Laute Befehle werden gesagt, ich kann nicht alles verstehen, aber meist wird danach ein Bett raus geschoben, Hektisch, wenn es noch „Hoffnung“ gibt, sonst ruhig. Ein Mensch wird wider zugedeckt an mir vorbeigeschoben. „Der hat es hinter sich“, denke ich jedes Mal.
„Wann bin ich an der Reihe?“ Der Tod ist für jeden Menschen gewiss, aber warum darf ich nicht in Ruhe sterben? Bei Oma war es noch ganz einfach gewesen. Sie war am Abend ins Bett gegangen, hatte sich ein paar Tage nicht gut gefühlt und dann ist sie eingeschlafen, ganz sanft. Als sie ihr morgens mit einem Tablett das Frühstück bringen wollte, lag Oma im Bett und schlief. Ich wollte sie wecken, doch das war nicht mehr möglich. Oma war für immer eingeschlafen, ich hatte die Fenster geöffnet damit ihre Seele hinausfliegen konnte, dann erst hat sie den Doktor und den Pfarrer angerufen. Der Doktor stellte den Totenschein aus und der Pfarrer segnet sie aus. Danach hat sie die Spiegel abgehängt und und den Bestatter gerufen, bei der Totenwäsche hatte sie geholfen, wie es sich gehörte auf dem Dorf. Alle waren still gewesen, niemand sprach und alle bewegten sich in Beisein von Oma langsam.
Bei Mama war es ähnlich, sie wurde vom Schlag getroffen und war schon tot als ich sie auf der Toilette fand. Das war kein schöner Anblick und die Sanitäter mussten sie erst ins Bett zurücklegen. Aber dann war es wie immer, die Fenster wurden geöffnet, der Pfarrer kam, dann der Bestatter.
Opa war kurz nach dem Krieg gestorben, ich kannte ihn nicht . Er hatte die Schwindsucht, wie Mama sagte und es gab kaum etwas zu essen in dieser Zeit. Mein Papa hatte noch nicht mal zwei Jahre seine Rente durch. Er war Bergmann und hustete sein Leben aus. Auch er starb daheim.
Ich weiß das mein Krebs stärker ist als ich. Ich kernne ihn doch! Er wächst in meinem Körper und wird mich töten, es dauert nicht mehr lange. Drei große Operationen habe ich hinter mir, aber es half nicht mehr. Dreimal Chemotherapie, sie wollten noch eine machen, aber ich will nicht mehr.
Ich bin 75 Jahre alt, mein Weg ist zu ende. Aber sie wollen den Pfarre nicht rufen, das ginge auf der Intensivstation nicht, sagen sie. Hier kann man auch die Fenster nicht öffnen, Klimaanlage, sagen sie. Wo bleiben unsere armen Seelen?
Ich habe vier Kinder auf die Welt gebracht, mein Manfred und ich haben immer gearbeitet. Wir hatten einen Hof, es war ein hartes aber sehr schönes Leben. Seit einiger Zeit ist Manfred nicht mehr der selbe. Es fing damit an, das er viel vergessen hat, ich habe ihm geholfen aber es wurde immer schlimmer, dann konnte er sich nicht mehr waschen und zur Toilette zu gehen. Jetzt sitzt er nur noch im Sessel und dämmert dahin, meine Töchter kümmern sich um ihn und mein Ältester hat schon lange den Hof übernommen.
Alles ist geregelt, wie dürfen gehen. Wollen gehen, Manfred auf seine Weise, still und langsam und ich bin hier dieser Tortour ausgesetzt und will nicht mehr.
Als ich wieder aufwache steht Manfred an meinem Bett. Er sieht jung aus, so jung wie wir uns damals kennengelernt hatten. Er hat eine Lederjacke an und möchte mich zum Tanz mitnehmen, ich höre den Motor seiner Vespa. Ach ja zum Tanz in den Mai, wir sind verabredet. Er hebt mich aus dem Bett.
Jetzt sehe ich sie, sie stehen um mein Bett und rufen, jemand holt den Defibrillator Es knallt einmal und nochmal. Ich will ihnen sagen, dass ich wiederkomme, nach dem Tanz, ganz bestimmt. Dann höre ich wie Manfred Gas gibt, ich klammere mich an ihm fest und wir fahren davon in die Eisdiele.

RE: SGZ 28 Tanzabend
in Die Geschichten der Woche 12.07.2021 16:52von Herbert Glaser • Federlibelle | 652 Beiträge | 1219 Punkte
Hallo Rieke,
wieder eine sehr bewegende Geschichte, die sicher niemanden kalt läßt.
Nachvollziehbar beschreibst du die Angehörigen, die vor der Protagonistin gegangen sind und die trostlose Situation auf der Intensivstation.
Bei dem Satz "Als sie ihr morgens mit einem Tablett das Frühstück bringen wollte, lag Oma im Bett und schlief. Ich wollte sie wecken, …" muss es sicher heißen "Als ich ihr morgens mit einem Tablett das Frühstück bringen wollte, lag Oma im Bett und schlief. Ich wollte sie wecken, …"
Ansonsten sind mir einige Rechtschreibfehler aufgefallen, vielleicht magst du da nochmal drüberschauen.
Auf jeden Fall eine gut geschriebene Geschichte!
Viele Grüße
Herbert

RE: SGZ 28 Tanzabend
in Die Geschichten der Woche 16.07.2021 20:38von -jek • Federlibelle | 632 Beiträge | 1955 Punkte
Ein überzeugendes Plädoyer für humanes Sterben. Hier ein paar Erbsen:
"„Wann bin ich an der Reihe?“" - Die Anführungszeichen sind fehl am Platz. Es sie denn, der Satz wird durch Komma an die wörtliche Rede davor angeschlossen.
"Als sie ihr morgens mit einem Tablett das Frühstück bringen wollte" Wer ist sie?
"Danach hat sie die Spiegel abgehängt" Wer ist sie?
Ein paar Kommafehler sind auch noch zu finden.
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Wenn du Schreibregeln beherrscht, ist das gut. Wenn sie dich beherrschen, ist das schlecht.


Dankeschön. "Sie" war meine erste Prota, ich habe mich während des Schreibens zur ICH Erzählerin umentschieden. Beim schreiben gegen die Zeit hatte nicht ausreichend Zeit für die Korrektur.


Es ist inzwischen oft so, dass selbst sehr alte und kranke Menschen nicht in Ruhe streben dürfen. Die Ärzte sind gezwungen alles zu tun, um die Patienten zu retten. Sie dürfen sie nicht einfach gehen lassen, wenn es keine Patientenverfügung gibt. Ein Dilemma für die Ärtze

RE: SGZ 28 Tanzabend
in Die Geschichten der Woche 17.07.2021 15:03von Bree • Federlibelle | 3.877 Beiträge | 15298 Punkte
Liebe @Rieke.ke
wirklich sehr bewegend, so eine Situation aus der Sicht einer Betroffenen mitzuerleben. Du hast das sehr eindringlich und bildhaft beschrieben. Schon, dass man in diesem Halbdämmern vielleicht mitbekommt, wie viele links und rechts von einem nicht mehr wiederbelebt werden können ... Schlimm!
Ich bin dankbar, dass mein Mann und ich Patientenverfügungen gemacht haben, denn so wollen wir nicht enden müssen.
Auf die Perspektivfehler wurdest du ja bereits hingewiesen. Kleiner Tipp: Vor dem endgültigen Speichern deines Beitrags einmal auf "Vorschau" gehen und den Text nochmal durchlesen. Dabei kannst du eventuelle Fehlerchen korrigieren. Mache ich auch immer. Niemand guckt auf die Uhr, wenn es fünf Minuten länger dauert. Lieber einen möglichst fehlerfreien Text abliefern, damit die Leser nicht über Flüchtigkeitsfehler stolpern beim Lesen und so aus der Story gerissen werden.
LG
Bree
Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)

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Alles über meine Bücher & mich findet ihr auf meiner Website: www.brittabendixen.de
Einen eigenen Youtube-Kanal habe ich auch. Dort lese ich einige meine Geschichten.
Den Button findet ihr auf meinem Profil.

RE: SGZ 28 Tanzabend
in Die Geschichten der Woche 17.07.2021 15:48von Yggdrasil • Federlibelle | 1.015 Beiträge | 2671 Punkte
@Rieke.ke Hallo, es ist die erste Geschichte, die ich von Dir lese. Sehr intensiv geschrieben, sehr tiefgehend. Imponierend.
www.marten-petersen.com

RE: SGZ 28 Tanzabend
in Die Geschichten der Woche 18.07.2021 13:26von Gini • Federlibelle | 1.734 Beiträge | 3510 Punkte
@Rieke.ke auch sehr gefühlvoll und rührend geschrieben. Genauso wie die von Doro.
Bei Tablett auf so etwas zu kommen, finde ich schon sehr kreativ.
Wir haben zum Glück eine Patientenverfügung. Das ist ein Muss, finde ich.
Der letzte kleine Absatz deiner Geschichte ist wirklich großes Kino.
Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.
Wilhelm Busch (1832-1908)

RE: SGZ 28 Tanzabend
in Die Geschichten der Woche 18.07.2021 17:15von Doro • Federlibelle | 2.089 Beiträge | 8280 Punkte
Liebe @Rieke.ke ,
ich hatte deinen Text zwar schon vor längerer Zeit gelesen, aber irgendwie vergessen, ihn auch zu kommentieren.
Ich mag die Ich-Perspektive nicht so gern, aber hier passt sie total gut. Dadurch wird der Text noch eindringlicher.
Zitat von Rieke.ke im Beitrag #5Stimmt. Deshalb hat meine Schwiegermutter meinen Schwiegervater auch aus dem Krankenhaus geholt. Er wollte heim. Auch, wenn ich glaub, dass die Ärzte ihm hätten durchaus helfen können, wenn er gewollt hätte. Aber er wollte nicht. Und ich finde, das muss man respektieren. Er war auch nicht lange daheim, dann ist er friedlich nachts eingeschlafen.
Es ist inzwischen oft so, dass selbst sehr alte und kranke Menschen nicht in Ruhe streben dürfen.
LG
Doro
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)

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