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SGZ 20: Der beste Papa der Welt

in Die Geschichten der Woche 16.05.2021 22:50
von Doro • Federlibelle | 2.350 Beiträge | 9189 Punkte

„Es gibt keine Wunder!“, schrie Niklas. Er stand ruckartig vom Essen auf, sodass der Stuhl mit lautem Krachen nach hinten kippte. „Ich hasse euch.“ Er rannte in sein Zimmer und knallte die Tür zu. Er schnappte sich Bertl und verzog sich in seine Höhle. Mit angezogenen Knien, das Plüschtier fest an sich gedrückt, starrte er auf den Vorhang, den Mama genäht hatte. Sie hatte ihm auch die magische Laterne geschenkt. Niklas steckte den Stecker der Lampe ein. In ein paar Minuten würden sich der kleine Prinz zu drehen beginnen. Und mit ihm die Sterne. Das Buch ‚Der kleine Prinz‘ hatte sie ihm zum Geburtstag geschenkt. Eigentlich war er zu alt für so was, aber Mama hatte ihm jeden Abend daraus vorgelesen. Auch, wenn er es selbst könnte. Wenn er an Mama dachte, kamen ihm die Tränen. „Du allein wirst Sterne haben, die lachen können“, hatte sie vorgelesen. Am letzten Abend bevor sie ins Krankenhaus musste. Er wusste, dass sie im Krankenhaus lag, obwohl sie ihm weismachen wollten, dass sie nur für ein paar Tage zu ihrer Schwester fährt.
Die Erwachsenen flippten aus, wenn Kinder schwindelten, aber sie durften lügen. Bei ihnen war das war andres. Sie hatten immer eine Ausrede, warum sie nicht die Wahrheit sagen konnten.
„Ich bin schon sieben“, murmelte er und vergrub das Gesicht in Bertls Kuschelfell. „Kein Baby wie Yannick. Ich versteh alles.“
Mama und Papa hatten ihm versprochen in den Sommerferien mit ihm zum Zelten zu fahren. Und jetzt war alles anders.
Es klopfte an der Tür. Niklas rührte sich nicht. Er wollte niemanden sehen.
„Niklas“, sagte Papa, „bitte, ich möchte mit dir reden. Darf ich rein?“
Niklas sah Bertl an. Die schwarzen Knopfaugen glänzten im Dämmerlicht der Höhle. Die Sterne der Lampe drehten sich und mit ihnen erklang die Melodie der Spieluhr.
„Lass ihn rein“, piepste eine Stimme. Niklas sah sich um. Auf seiner Fußspitze saß einer der Sterne aus der Lampe. Niklas Herz klopfte plötzlich ganz schnell. Er drückte Bertl fester an sich und rieb sich mit der anderen Hand die Augen.
„Sterne reden nicht“, sagte er, als er sich von seinem Schreck erholt hatte.
„Ich schon. Ich bin übrigens Stella.“ Der Stern rollte Niklas‘ Hosenbein hoch und landete auf seinem Knie. Reflexartig streckte Niklas die Beine. Der Stern purzelte hinunter. „Autsch! Das war nicht nett.“
„Ich will auch gar nicht nett sein. Und jetzt verschwinde.“
„Ich weiß, du bist sauer auf deinen Vater.“ Erneut rollte der Stern über die Zacken auf ihn zu.
„Er hat gelogen.“ Niklas schob die Hand in Richtung des Sterns. „Wir wollten zum Zelten. Aber jetzt ist das Baby da. Yannick.“ Er schnaubte. „Der ist an allem schuld. Ohne den wäre Mama nicht im Krankenhaus und wir könnten zelten.“
„Dein Bruder kann nichts dafür“, entgegnete der Stern sanft und rollte auf seine Hand. Er fühlte sich warm an und er leuchtete. „Es war die Entscheidung deiner Mutter. Wenn du ehrlich zu dir bist, dann weißt du das. Du bist vor allem traurig.“
„Du wärst auch traurig, wenn deine Mama sterben muss.“
„Stimmt, aber deine stirbt bestimmt nicht“, sagte Stella und blinkte nun in verschiedenen Farben. „Und was ist falsch daran, an Wunder zu glauben?“
„Es gibt keine Wunder. Das ist Babykram.“
„Sagt wer?“, fragte Stella.
„Peter, mein Cousin. Der ist schon vierzehn. Der muss es wissen. Es gibt auch keinen Weihnachtsmann und die Sache mit dem Christkind oder dem Osterhasen - alles Quatsch.“

Hier war die Stunde um.

„Und was bin ich?“, wollte Stella wissen.
Niklas überlegte. „Das weiß ich nicht“, gab er zu. „Vielleicht eine Hallution.“
Stella kicherte. „Du meinst sicher ‚Halluzination‘. Ja, das könnte sein. Ist aber nicht so. Ich bin da, weil du mich brauchst.“
„Ich brauch niemanden.“
„Blödsinn! Jeder braucht jemanden. Kinder ganz besonders. Aber auch Erwachsene. Nur sie vergessen manchmal, dass sie jemanden brauchen. Dann werden sie unglücklich. Und wer unglücklich ist, wird ungerecht und unzufrieden. Außerdem neigen Erwachsene dazu, ihre Kinder beschützen zu wollen, indem sie ihnen nicht die Wahrheit erzählen. Das ist Quatsch, aber so ticken die nun mal. Gib deinem Vater eine Chance. So“, Stella rollte von der Handfläche herunter in Richtung der Lampe, „ich verabschiede mich jetzt. Aber denk dran, was der kleine Prinz gesagt hat: Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache.“


Niklas zuckte zusammen, als es erneut an der Tür klopfte.
„Niklas? Schläfst du schon?“
Niklas krabbelte unter dem Hochbett hervor. Er warf Bertl aufs Bett, ging zur Tür und öffnete sie.
„Das ist eine ziemlich dumme Frage“, sagte er.
„Stimmt.“ Papa grinste, wurde aber gleich wieder ernst. „Können wir reden?“
Niklas nickte, kroch zurück in die Höhle. Papa folgte ihm und sah sich um. „Gemütlich hast du’s hier.“
„Hat Mama gemacht.“ Plötzlich hatte er einen Kloß im Hals. Viel größer als Mamas Semmelknödel. Er schluckte ein paarmal. Mist, warum hatte er Bertl nicht bei sich? Er schlang die Arme um die Knie.
„Niklas, ich möchte mich bei dir entschuldigen“, sagte Papa. „Es war dumm von uns, nicht mit dir zu reden.“
Niklas nickte. „War es.“
„Ja, ich weiß.“ Papa nahm eines der Matchboxautos in die Hand, rollte es hin und her. „Und es war gedankenlos von Oma, zu sagen, dass nur noch ein Wunder hilft. Gedankenlos und total übertrieben.“ Niklas schwieg, wartete auf eine Erklärung. „Mama hat einen Tumor.“ Niklas kniff die Augen zusammen. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten. Vielleicht war es doch besser, die Wahrheit nicht zu kennen. „Sie wollte aber das Baby kriegen und sie hat entschieden, dass sie sich erst nach der Geburt operieren lässt. Deswegen ist sie jetzt im Krankenhaus.“
„Wenn man Krebs hat, stirbt man“, flüsterte Niklas und schluchzte. Aber er konnte die Tränen nicht zurückhalten.
Papa legte den Arm um seine Schultern. Niklas kuschelte sich an ihn, weinte ein bisschen. Dann wischte er mit der Hand über die Augen.
„Ein Tumor“, erklärte Papa, „heißt nicht unbedingt Krebs. Es gibt auch gutartige Tumore. So einen hat Mama. Das haben die Ärzte während der Schwangerschaft festgestellt. Sie haben eine Biopsie gemacht. Das ist eine Untersuchung, wo … ach, nicht so wichtig. Wichtig ist nur, dass es Mama gut geht. Ich hab‘ vorhin im Krankenhaus angerufen. Die Operation ist gut verlaufen. Der Tumor wurde entfernt. Jetzt muss sie sich ein bisschen erholen. Wir dürfen sie nur im Augenblick nicht besuchen. Das ist schade, aber sie darf übermorgen heim. Kommst du mit, sie abholen?“
„Sie stirbt nicht?“ Er musste es noch einmal hören.
„Nein“, sagte Papa und strich ihm über den Kopf, „Mama stirbt nicht.“ Er holte tief Luft. „Mit dem Zelten wird’s dieses Jahr allerdings nichts.“
„Du hast es aber versprochen.“ Niklas kamen schon wieder die Tränen. Er schluckte ein paar Mal. Wollte nicht als Heulsuse gelten.
„Ja, stimmt. Aber manchmal kann man ein Versprechen nicht einhalten. Es tut mir wirklich leid. Aber Mama hat einen Vorschlag.“
„Die ist doch im Krankenhaus.“
„Ich habe mit ihr telefoniert und ihr erzählt, wie traurig du bist. Von der Kirchengemeinde gibt es eine Vater-Kind-Freizeit und sie meinte, das wäre vielleicht was für uns.“
„Nur du und ich?“, hakte Niklas nach und rückte ein Stück von Papa ab.
„Nur du und ich“, bestätigte Papa. „Ich hab mir das Programm angesehen. Freitagmittags geht’s los, bis Sonntag. Ein Ausflug auf den Wendelstein ist dabei, Stockbrot am Lagerfeuer und eine Nachtwanderung. Da sieht man viel mehr Sterne als hier in der Stadt.“
„Die lachen dann“, murmelte Niklas und schielte zur magischen Laterne, „und einer heißt Stella.“
„Wie bitte?“ Papa runzelte die Stirn, fragte aber nicht nach. „Heißt das, du bist einverstanden? Dann melde ich uns morgen an.“
„Cool“, freute sich Niklas und legte die Arme um Papas Hals. „Du bist der beste Papa der Welt.“









Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
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#2

RE: SGZ 20: Der beste Papa der Welt

in Die Geschichten der Woche 18.05.2021 12:22
von Bree • Federlibelle | 4.335 Beiträge | 17407 Punkte

Ach je, liebe @Doro

jetzt hab ich doch bei diesem schönen Schluss direkt Pipi in den Augen.
Eine ans Herz gehende Geschichte hast du da geschrieben. Und für mich ein emotionales Auf und Ab. Anfangs dachte ich, die Mutter sei schwerkrank, dann atmete ich auf, weil sie offenbar "nur" ein Kind bekommen hat, und dann hat sie doch einen Tumor! Gut, dass er entfernt werden konnte.

Du hast NIklas' Gefühle sehr realistisch dargestellt, zumindest kam es mir sehr authentisch vor. Und die Sache mit dem Stern ist echt süß. Toll fand ich auch diese Stelle:

Zitat von Doro im Beitrag #1
Plötzlich hatte er einen Kloß im Hals. Viel größer als Mamas Semmelknödel.

Ein sehr schöner Vergleich!

Einzig hier
Zitat von Doro im Beitrag #1
„Mama hat einen Tumor.“ Niklas kniff die Augen zusammen. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten. Vielleicht war es doch besser, die Wahrheit nicht zu kennen.

hab ich mir gedacht, dass Niklas das Wort vielleicht nicht kennt. Den Begriff Krebs hatte er offenbar schon´gehört und eine Vorstellung davon, doch er ist schließlich erst sieben Jahre alt. Hier wäre deshalb vielleicht noch eine kurze, kindgerechte Erklärung des Vaters zu dem Begriff 'Tumor' angemessen.

Aber das ist auch schon alles, was ich anzumerken hätte. Sehr gern gelesen!


LG
Bree


Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)

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Alles über meine Bücher & mich findet ihr auf meiner Website: www.brittabendixen.de
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Doro hat sich bedankt!
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#3

RE: SGZ 20: Der beste Papa der Welt

in Die Geschichten der Woche 18.05.2021 16:44
von Gini • Federlibelle | 1.797 Beiträge | 3677 Punkte

@Doro
Eine ganz süße Geschichte. Das mit dem Stern hat mir auch gefallen. Ich glaube,
Kindern würde so eine Geschichte helfen. Erst hatte ich auch Angst, dass die Mama wirklich sterben muss.
Aber zum Glück hatte sie ein gutes Ende. Du hast dich richtig gut in den kleinen Niklas reinversetzt.
Ich hab neulich im Internet, war ein Tipp von jemanden. auf Sternenhimmel.de einen Stern für meine
Mutter gewidmet. Da kann man einen eigen Text reinsetzen und ein Bild hochladen. Das war total schön.


Gedanken sind nicht stets parat,/ Man schreibt auch, wenn man keine hat.

Wilhelm Busch (1832-1908)
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