#1

SGZ Nr. 27: Sein größter Reinfall

in Die Geschichten der Woche 04.07.2023 14:45
von Michael Kothe • Fleißbiene / Fleißdrohne | 137 Beiträge | 203 Punkte

„Diese Frau …“.
Ohne weitere Einleitung begann der Besucher seine Rede, nachdem er wortlos eingetreten war. Dieses Auftreten stand im Widerspruch zu seiner Erscheinung, denn sowohl seine Körpersprache wie auch sein der neuesten Mode entsprechender Sommeranzug luden unweigerlich dazu ein, ihm ein recht hohes soziales und wirtschaftliches Niveau zu unterstellen.
„Diese Frau …“, wiederholte er, während er eine Fotografie auf den Tresen legte und zusah, wie sich der Beamte von seinem Schreibtisch löste und zu ihm trat. „Um ein Vermögen hat sie mich geprellt …“
Ohne Punkt und Komma redete er weiter, bis ihn der Polizist unterbrach.
„Sie möchten Strafanzeige erstatten wegen Betrugs, habe ich Recht?“
Etwas verwirrt, weil er bemerkte, dass er wohl nicht mehr das Wort führen sollte, nickte der Besucher.
„Beatrice Werner.“
Mit dem Zeigefinger deutete er auf das Foto, das ihn selbst neben einer Frau im Hosenanzug zeigte. Ein markantes, weil recht kantiges Gesicht und ein Lächeln auf ihrem breiten Mund schienen ihre Markenzeichen. Unwillkürlich musste ein Betrachter an Sandra Bullock denken.
„Sie hat mich umgarnt, hat mir ihre Liebe vorgetäuscht und eine gemeinsame Zukunft versprochen. Seit meine 80.000 Euro von meinem Konto abgebucht sind, habe ich nichts mehr von ihr gesehen oder gehört. Und ihre vorgebliche Adresse habe ich als leere Abbruchvilla ermittelt.“
Mittlerweile hatte der Polizeibeamte wieder Platz genommen. Während er aus der polizeilichen Formulardatenbank das entsprechende Anzeigenformular herunterlud, schaute er zu seinem Besucher.
„Und Sie sind …?“
„Berger. Leon Berger.“
„Äh … wie die …?“
„Hören Sie, ich komme, weil man mich um ein Vermögen betrogen hat und ich mein Recht auf Strafverfolgung geltend machen möchte, und Sie haben nichts Besseres im Sinn als alberne Wortspielereien!“ Heftig stieß er die Luft zwischen den Zähnen hervor. „Ja, wie die Bausparkasse!“
„Nun kommen Sie wieder runter, Herr Berger! Ich wollte nur sichergehen, dass ich Ihren Namen richtig schreibe.“
Wenige Minuten später trat er nach einem kurzen Umweg zum Bürodrucker Herrn Berger gegenüber, legte das Protokoll vor ihm auf die Platte des Tresens und nahm das Foto an sich.
„Ich darf doch?“
„Natürlich, ich habe es ja für Sie mitgebracht.“
„Wenn Sie das bitte durchlesen möchten! Sollten Sie keine Änderungen oder Ergänzungen wünschen, unterschreiben Sie. Ich scanne dann Anzeige und Foto ein und schicke es an die Polizeidirektion. Die Kriminalbeamten werden versuchen, bei Frau Werner vorzusprechen oder wenn, wie Sie sagen, die Anschrift nicht existiert, sie zur Fahndung auszuschreiben.“
Als sich Berger nach seiner Unterschrift mit einem kurzen Gruß verabschiedete, sah er aus dem Augenwinkel, wie der Beamte sich bückte, um offensichtlich unter dem Tresen einen Schalter zu betätigen. Er hörte, wie mit leisem Summen der elektrische Türöffner die Tür zum Vorraum der Polizeidienststelle entriegelte. Doch erst, als er vor dem Gebäude auf dem Parkplatz die Tür seines Sportwagens öffnete, fiel die Beklemmung von ihm ab, die ihn während seines ganzen Aufenthalts in der Dienststelle belastet hatte. Warum er sich unter Druck gefühlt hatte, wusste er nicht zu sagen. Kurz zuckte er mit den Schultern – „Es wird wohl die Umgebung gewesen sein.“ – und wandte seine Gedanken anderen Dingen zu. Um Beatrice Werner würden sich nun die Ermittlungsbehörden kümmern.

„Hallo, Herr Berger“, begrüßte ihn der Beamte, der vor wenigen Tagen die Betrugsanzeige aufgenommen hatte. „Für heute Nachmittag habe ich Sie hergebeten, weil wir zu einigen unserer Ermittlungsergebnisse Ihre Aussage benötigen. Wenn Sie bitte mit mir kommen wollen …“
Er verließ den Raum durch eine Nebentür, um seinem Besucher gleich darauf eine weitere Tür zu öffnen. Einladend deutete seine Hand in den Flur.
Ein ungutes Gefühl beschlich Berger. Die Härchen unter den Ärmeln seines Designerhemds stellten sich auf, ein kurzer Kälteschauer lief über seinen Rücken. Warum, wusste er nicht zu sagen. Klaustrophobie, weil er den Ausgang von sich aus nicht öffnen konnte? Als er durch die Tür trat, beobachtete er, wie sich am Ende des Flurs eine Frau im Hosenanzug und mit einer blass-blauen Bluse von der Wand löste, an der sie sich angelehnt hatte. Intensiv sog er den frischen Duft ihres Parfums nach Flieder ein, harmonierte er doch wunderbar mit ihrer Kleidung. „Mit der könnte ich glatt …“ Doch seinen Gedanken konnte er nicht zu Ende spinnen.
„Frau Kriminalrätin Richter“, stellte der Polizist sie ihm vor. „Sie hat einige Fragen zu Frau Werner. Bitte hier entlang!“
Auf der Schwelle blieb Berger abrupt stehen. Die einladende Handbewegung des uniformierten Beamten, der auf ein Klopfen der Kriminalrätin von innen die Tür geöffnet hatte, beachtete er nicht. Der Raum, in den er gehen sollte, war ihm zu nüchtern, zu kahl: die Wände aus Sichtbeton, zwei Neonröhren, die mit ihrem Brummen eine eigenartige, eintönige Melodie erklingen ließen, das Mobiliar spärlich. Das einzige Fenster deutete ins dunkle Innere des Gebäudes, es war undurchsichtig. Auf einer Seite des Tisches stand ein Stuhl mit Chromgestell und Kunstlederbezug, ihm gegenüber mit dem Rücken zu jenem Fenster nebeneinander zwei weitere des gleichen Modells. Die beiden Schwanenhalsmikrofone in der Tischmitte zeigten zu den Stühlen, am Ende ihrer biegsamen Röhren informierte das Blinken roter Leuchtdioden, dass die Mikrofone eingeschaltet waren.
Mit verschränkten Armen bezog der Uniformierte mit dem Rücken zu Tür Position, die Polizisten wiesen Berger auf den einzelnen Stuhl hin, und gleichzeitig mit ihm nahmen sie auf den anderen Platz.
„Herr Berger, wir haben einiges über Frau Werner herausgefunden. Vielleicht habe Sie ja ergänzende Informationen für uns.“
Kriminalrätin Richter zog eine Gittermappe vom Tischrand zu sich hin. Die zahlreichen Paraphen in den vielen Kästchen ließen die Mappe im digitalen Zeitalter als ein Relikt aus einem vergangenen Jahrhundert erscheinen. Die Polizistin klappte den vorderen Deckel nach hinten und legte sich die Mappe auf den Schoß, so dass Berger den Inhalt nicht erkennen konnte. Mit einer knappen Handbewegung schob sie eine Fotografe vor ihn auf den Tisch.
„Frau Beatrice Werner …“
„Ja, das ist das Foto, dass ich zu meiner Anzeige mitgebracht habe.“
„Sicher. Und hier …“
Ein zweites Foto folgte. Es zeigte dieselbe Frau mit einem anderen Herrn, dessen Gesicht von einem dieser gelben Post-It-Klebezetteln verdeckt wurde.
„Frau von Hohenstein.“
Das dritte Bild kommentierte die Kriminalrätin mit „Frau Dr. Hoppenstedt“, bei nächsten stellte sie die Frau als Gräfin von Holderbach vor.
„Ein paar Bilder hätte ich noch. Sie sind nicht der einzige Geprellte, Herr Berger. Gegen diese Heiratsschwindlerin liegen zahlreiche Anzeigen vor. Jedes Mal hat sie ihr Aussehen leicht verändert, jedem Opfer eine Adresse in bester Lage vorgeschwindelt, obwohl sie sich in einer Pension oder einem einfachen Hotel einquartiert hatte. Und ihre Autos der gehobenen Mittelklasse nahm sie regelmäßig bei kleinen Autovermietungen, die ihre Fahrzeuge neutral ließen und nicht mit Aufklebern oder Barcodes als Mietwagen kennzeichneten. Wir wissen einiges über sie, nur nicht, wo sie sich aufhält.“
Mit einem scheinbar genüsslichen Grinsen beobachtete sie, wie Berger kurz aufseufzte und mit drei Finger im Kragen um seinen Hals fuhr, als könne er sich dadurch mehr Luft verschaffen. Sie hatte erraten, dass er auf dem Foto, das sie gerade aus der Mappe nahm, sich selbst erkannte. Sie legte ihm das Bild vor.
„Tja, Herr Berger, das sind Sie mit einer anderen Frau. Oder soll ich sie nun mit ‚Baron von Schwarzberg‘ ansprechen? Oder …“
Sie legte ein weiteres Foto auf den Tisch. Süffisant lächelte sie. Offenbar war das Grinsen des Kollegen neben ihr ansteckend.
„… mit ‚Herr Prof. Dr. Dr. Linseisen‘? Oder wie wäre es mit …“
Noch ein Foto.
„… Herr von Ribbentrop?“
Berger sank in sich zusammen, dann lehnte er sich mit einem Seufzen zurück. Seine geweiteten Augen blickten starr auf die Polizisten. Resignation klang aus seiner Stimme.
„Es ist genug. Ja, Sie haben mich ertappt.“
Kriminalrätin Richter nahm den Faden wieder auf.
„Eines ist uns immer noch unklar. Wenn wir diese Fotos mit dem einen vergleichen, das Sie mit Frau Werner zeigt, fragen wir uns, wie Sie gerade auf sie hereinfallen konnten. Vom Aussehen und von ihrem Habitus gleicht sie in keiner Weise Ihren zahlreichen Opfern. Sie passt einfach nicht in Ihr Beuteschema. Wie haben Sie sich nur von dieser …“
Zeige- und Mittelfinger ihrer beiden Hände malten Gänsefüßchen in die Luft.
„… ‚Kollegin‘ aufs Kreuz legen lassen?“
„Naja, wir haben uns kennengelernt, als wir in einem Musical nebeneinandersaßen. Wir stellten fest, dass wir gemeinsame kulturelle Interessen hatten, und trafen uns des Öfteren. Irgendwann bot sie mir eine lukrative Kapitalanlage an und erzählte mir etwas von Insiderwissen. Ich gab ihr die 80.000, nachdem sie mir erklärt hatte, nur von ihrem Konto aus sei die Finanztransaktion möglich. Ich habe ihr geglaubt, denn sie hatte Esprit, Kultur und Stil. Ihre soziale, ihre wirtschaftliche und ihre berufliche Situation waren bestens.“
Er seufzte wieder.
„Erfolg macht eben sexy.“


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zuletzt bearbeitet 04.07.2023 14:54 | nach oben springen

#2

RE: SGZ Nr. 27: Sein größter Reinfall

in Die Geschichten der Woche 05.07.2023 10:12
von Bree • Federlibelle | 4.335 Beiträge | 17407 Punkte

Lieber @Michael Kothe

in der Tat ein Reinfall! Geht doch tatsächlich ein Heiratsschwindler einer Heiratsschwindlerin in die Falle...
Witzige Idee, gut durchdacht. Besonders beeindruckt hat mich aber die atmosphärische Stimmung deiner Geschichte. Alles wirkt so düster und bedrohlich ... Echt gut!

LG
Bree


Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)

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#3

RE: SGZ Nr. 27: Sein größter Reinfall

in Die Geschichten der Woche 05.07.2023 13:28
von Alexander Bär • Fleißbiene / Fleißdrohne | 59 Beiträge | 224 Punkte

Kein Wunder, dass er sich auf der Polizeidienststelle so unbehaglich fühlte. Aber man geht ja auch nicht zur Polizei, um etwas Gestohlenes als gestohlen zu melden ... ;) Klasse und überraschendes Ende!

lg
Alex


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#4

RE: SGZ Nr. 27: Sein größter Reinfall

in Die Geschichten der Woche 05.07.2023 20:39
von Michael Kothe • Fleißbiene / Fleißdrohne | 137 Beiträge | 203 Punkte

Liebe @Bree, lieber @Alexander Bär,

danke für Euer Lob! Die Idee kam spontan - Ich arbeite gern mit betrogenen Betrügern. - und wollte einfach niedergeschrieben werden. Freilich bemühe ich mich, Stimmung einzufangen und auch den Twist möglichst spät losuzuwerden. Also, bei Euch beiden hat es ja geklappt. Freut mich.

Liebe Grüße
Michael


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#5

RE: SGZ Nr. 27: Sein größter Reinfall

in Die Geschichten der Woche 08.07.2023 07:21
von Carlotta Lila • Federlibelle | 2.151 Beiträge | 9415 Punkte

Lieber @Michael Kothe,
Eine sehr lustige Idee: Ein Betrüger betrügt den anderen. Das wäre eine tolle Story für einen Film.
Gerne gelesen.
Carlotta Lila


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#6

RE: SGZ Nr. 27: Sein größter Reinfall

in Die Geschichten der Woche 08.07.2023 19:12
von Doro • Federlibelle | 2.350 Beiträge | 9189 Punkte

Zitat von Michael Kothe im Beitrag #4
Also, bei Euch beiden hat es ja geklappt.
Bei mir auch, @Michael Kothe . Bei mir auch.


Sehr gern gelesen. Ich mag überraschende Enden.


LG
Doro


Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden. (Mark Twain)
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#7

RE: SGZ Nr. 27: Sein größter Reinfall

in Die Geschichten der Woche 09.07.2023 08:21
von Michael Kothe • Fleißbiene / Fleißdrohne | 137 Beiträge | 203 Punkte

Liebe @Doro und @Carlotta Lila,

fein, dass Euch die Heiratsschwindelei Spaß gemacht hat. Und verzeiht die zwei Tippfehler, die ich erst im Nachhinenin entdeckt habe!
Habt einen schönen Sonntag!

Liebe Grüße
Michael


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#8

RE: SGZ Nr. 27: Sein größter Reinfall

in Die Geschichten der Woche 09.07.2023 22:13
von -jek • Federlibelle | 711 Beiträge | 2145 Punkte

Lieber @Michael Kothe, bei so viel krimineller Phantasie, würde ich bestimmt zögern, dir in Geldangelegenheiten zu vertrauen ;-)
Im Ernst, auch mir hat der Blick in die wechselnden Emotionen des Protagonisten gut gefallen.


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