#1

SGZ 39 Klara und der Schmerz

in Die Geschichten der Woche 02.10.2024 21:15
von Poetrymaus • Forums-Schmetterling | 56 Beiträge | 320 Punkte

Klaras Körper fühlte sich an, als hätte er einhundert Jahre Leben hinter sich, dabei war sie noch nicht einmal 60 Jahre alt.
Die Nacht war eine Qual, jede Bewegung schmerzte und Klara wusste nicht, wie viele kleine Bewegungen sie jede Nacht machte.
Nun saß sie auf der Bettkante und schaute auf ihre Hände. Warum konnte sie ihre Hände nicht schließen? Ihre gekrümmten Finger schwebten fast über den Handflächen und es war ihr unmöglich, eine Faust zu machen.

Mit Schwung, oder dem, was Klara gerade für Schwung hielt, stand sie endlich auf. Ihre Beine wollten sich nicht wirklich strecken, von den Waden an spürte sie fast nur Schmerzen.
Auf dem Weg in die Küche und zu ihrem ersten Kaffee, schlich sie ohne große Aussicht auf eine Erhöhung ihres Tempos.
Sie fühlte sich alt, schrecklich alt.

Der kleine Wasserbehälter der Senseo füllte sich mit Wasser und das Gewicht schien fast untragbar für eine Hand. Klara griff unterstützend zu und bugsierte beidhändig den Behälter an den richtigen Platz. Neben dem Gefühl des Altseins gesellte sich eine unfassbare Schwäche in Klaras Denken. Ihre müden Fingerglieder waren nicht in der Lage, kraftvoll zuzugreifen. Der Kühlschrankgriff stellte eine fast unüberwindbare Hürde da, sie zog und zog und erst beim dritten Anlauf brachte sie die kleine Lampe im Innern zum aufleuchten.
Der Drehdeckel der Milchpackung war das nächste Hindernis. Ihre fast unfähigen Finger konnten den kleinen Verschluss kaum packen, geschweige denn öffnen.
Irgendwie schaffte sie es, doch die Tage entwickelten sich zu einem einzigen Hindernisparcours.

Jede Kindersicherung war plötzlich eine KlaraSicherung. Drücken und gleichzeitig drehen, ein Akt der Unmöglichkeit. Wollte sie sich bücken, hatte sie das Gefühl, ihre Waden würden platzen und sie wusste einfach nicht, woher das alles kam.
Schultern, Arme, Hände, Hüfte und Knie, als krönender Abschluss die Waden. Keine Schmerztablette half ihr in der letzten Zeit, egal was sie einwarf, es wurden höchstens die Schmerzspitzen gekappt.

Klara war nie ein Arztgänger, doch jetzt führte kein Weg drum herum.
Sie wartete in der Notfallsprechstunde ihrer Hausärztin, bekam einen Folgetermin zur Blutabnahme.
Der Hausärztin war Klaras Zustand ein Rätsel, einzig die erhöhten Entzündungswerte deuteten in Richtung Rheuma, so bekam Klara eine Überweisung für eine Rheumaklinik.

Eine Woche später saß sie einem jungen Arzt gegenüber. Er nahm sich Zeit, hörte ihr zu und verwarf nach wenigen Minuten ihre Bedenken, falsch in dieser Klinik zu sein.
Nach Übungen, die ihr äußerst peinlich waren, denn die einfachsten Dinge erschienen ihr unmöglich, war er sich zu 95% sicher, dass Klara unter PMR litt. Polymyalgia Rheumatica.
Die Blutgefäße in fast jedem Muskel waren bei Klara entzündet und ihr liefen Tränen der Erleichterung über die Wangen.

Endlich hatte das Kind, hatte ihr Zustand, ihre Krankheit einen Namen bekommen und bei allem Leid hatte sie Glück. Nach einer Kortison Behandlung wäre ihre Rheumaform heilbar. Ein Jahr Kortison und sie wäre wieder die alte Klara.

Das Kortison zeigte rasch seine Wirkung und nach zwei Wochen war Klara schmerzfrei. Sie hatte ihr altes Leben zurück, keine Kindersicherung konnte sie länger schrecken.

Das Wichtigste, die Nächte, schmerzfreie Nächte und nach vier Monaten endlich schlafen.


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#2

RE: SGZ 39 Klara und der Schmerz

in Die Geschichten der Woche 03.10.2024 11:21
von Bree • Federlibelle | 4.649 Beiträge | 19121 Punkte

Liebe @Poetrymaus

es ist erschreckend, wie sehr die Lebensqualität bei manch einer Krankheit nachlässt. Einfache Dinge wie das Öffnen eines Kühlschranks nicht mehr oder nur mit Mühe erledigen zu können, muss grässlich sein.
Klara tat mir während des Lesens sehr leid, doch ich bin froh, dass ihre Krankheit heilbar war und sie ihr altes Leben zurückbekommen hat.

LG
Bree


Der Kriminalschriftsteller ist eine Spinne, die die Fliege bereits hat, bevor sie das Netz um sie herum webt.
(Sir Arthur Conan Doyle)

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#3

RE: SGZ 39 Klara und der Schmerz

in Die Geschichten der Woche 04.10.2024 14:07
von Doro • Federlibelle | 2.515 Beiträge | 9878 Punkte

Hallo @Poetrymaus ,

ich habe mit Klara mitgelitten.

Vor gut einem Jahr hatte ich eine Entzündung in der Schulter. Jede Bewegung tat weh und manches ging einfach nicht. Pferdeschwanz machen zum Beispiel oder einen Stapel Teller aus dem Schrank holen. Gott sei Dank war es nur rechts, sodass ich viel mit links machen konnte bzw. musste. IBU 600 - vom Arzt verschrieben - hat leider nicht geholfen. Dafür die Physiotherapie, wo ich sogar gleich einen Termin bekam.

Wie erst muss sich Klara fühlen, wenn alles wehtut? Ich konnte mich gut in sie hineinfühlen. Gut geschrieben. Und das Happy End am Schluss gefällt mir auch sehr gut.


Eine Kleinigkeit, die mir beim Lesen aufgefallen ist:

Zitat
Ihre gekrümmten Finger schwebten fast über den Handflächen und es war ihr unmöglich, eine Faust zu machen. Vorschlag: Ihre gekrümmten Finger schienen über den Handflächen zu schweben und ...Mit Schwung, oder dem, was Klara gerade für Schwung hielt, stand sie endlich auf. Ihre Beine wollten sich nicht wirklich strecken, von den Waden an spürte sie fast nur Schmerzen. Das "fast" würde ich einfach streichen. Auf dem Weg in die Küche und zu ihrem ersten Kaffee, schlich sie ohne große Aussicht auf eine Erhöhung ihres Tempos.Sie fühlte sich alt, schrecklich alt.Der kleine Wasserbehälter der Senseo füllte sich mit Wasser und das Gewicht schien fast (auch das würde ich weglassen) untragbar für eine Hand. Klara griff unterstützend zu und bugsierte beidhändig den Behälter an den richtigen Platz. Neben dem Gefühl des Altseins gesellte sich eine unfassbare Schwäche in Klaras Denken. Ihre müden Fingerglieder waren nicht in der Lage, kraftvoll zuzugreifen. Der Kühlschrankgriff stellte eine fast unüberwindbare Hürde da, sie zog und zog und erst beim dritten Anlauf brachte sie die kleine Lampe im Innern zum aufleuchten.Der Drehdeckel der Milchpackung war das nächste Hindernis. Ihre fast (Das kannst du auch weglassen, denn sie empfindet ihre Finger ja als unfähig und nicht nur als fast unfähig.) unfähigen Finger konnten den kleinen Verschluss kaum packen, geschweige denn öffnen.Irgendwie schaffte sie es, doch die Tage entwickelten sich zu einem einzigen Hindernisparcours.


Gern gelesen.

LG
Doro


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#4

RE: SGZ 39 Klara und der Schmerz

in Die Geschichten der Woche 06.10.2024 08:06
von Poetrymaus • Forums-Schmetterling | 56 Beiträge | 320 Punkte

Liebe @Bree und @Doro

lieben Dank für eure Kommentare und ja, so viele Schmerzen am ganzen Körper können sehr zermürben, dazu der fehlende Schlaf und jeder Tag fällt schwer.

@Doro, lieben Dank, mir selbst ist das ganze "fast" nicht aufgefallen, vielleicht wollte ich alles etwas minimieren und kleinreden, gut, dass du es geschrieben hast, so kann ich demnächst besser darauf achten.
Wiederholungen sind nervig für den Lesenden und fallen auf, ich werde konzentrierter schreiben.

Lieben Gruß
Claudia


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#5

RE: SGZ 39 Klara und der Schmerz

in Die Geschichten der Woche 07.10.2024 07:50
von Doro • Federlibelle | 2.515 Beiträge | 9878 Punkte

Zitat von Poetrymaus im Beitrag #4
ich werde konzentrierter schreiben.
Das ist bei SGZ schwierig @Poetrymaus. Unter Zeitdruck passieren mir besonders häufig Flüchtigkeitsfehler oder wenn ich spät abends schreibe.

Aber ich dachte, vielleicht brauchst du den Text ja mal noch, dann kannst du ihn vorher überarbeiten. Ich habe schon einige Texte, die ich für die SGZ geschrieben habe, in Anthologien unterbringen können.

LG
Doro


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zuletzt bearbeitet 07.10.2024 07:53 | nach oben springen

#6

RE: SGZ 39 Klara und der Schmerz

in Die Geschichten der Woche 08.10.2024 17:08
von Sabrina Meinen • Federlibelle | 586 Beiträge | 1727 Punkte

@Poetrymaus ich finde die Situation mit den Schmerzen gut dargestellt. Es ist super, dass diese den Fokus in der Story haben. Denn Schmerzen sind ein wahnsinnig schwieriges Thema. Weil sie individuell sind, sind sie nie nachvollziehbar und oft schwer greifbar. Eine Therapie ist zumeist mit vielen Fehldiagnosen verbunden.

Aus der fachlichen Sicht, kam mir die Diagnosestellung zu schnell. Klar gibt es Menschen, die auch mal Glück mit dem Arzt haben, der zufällig das passende findet. Aber gerade in Sachen Rheuma wird häufig zuerst gesucht und viel in die psychosomatische Richtung geschoben.
Auch das Ende kam mir zu abrupt. Aber das würde ich der fehlenden Zeit zuschreiben. Falls du diese Story überarbeitet, könntest du hier einen Kontrast schaffen zwischen Schmerzfreiheit und dem individuellen Erleben von Schmerzen am Anfang.


Finde den Mut für die Veränderung, die du dir wünscht,
die Kraft, es durchzuziehen
und den Glauben daran, dass sich alles zum Besten wenden wird.
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#7

RE: SGZ 39 Klara und der Schmerz

in Die Geschichten der Woche 08.10.2024 18:31
von Poetrymaus • Forums-Schmetterling | 56 Beiträge | 320 Punkte

Liebe @Sabrina Meinen

vielen Dank für deinen Kommentar.

Ja, es kann gut sein, dass es etwas komprimiert wirkt, am Ende steht, dass es vier Monate dauerte, bis Klara ihre erste schmerzfreie Nacht hatte.
Zuerst ging es auch zum Schulter MRT, doch da war alles gut, halt nur enorme Schmerzen, die die Hausärztin nicht wirklcu einordnen konnte. Erst als bei einer Blutabnahme die erhöhten Entzündungswerte auftraten, dachte die Ärztin in Richtung Rheuma und stellte die Überweisung zur klinischen Voruntersuchung aus, daher der schnelle Termin in der Rheumaklinik zwei Städte weiter.
Dort traf sie wirklich auf diesen äußerst engagierten Arzt, der sich jegliche Befindlichkeit erklären ließ.
Die Beidseitigkeit der Schmerzen, beide Hände, Schultern usw., war ein recht eindeutiges Zeichen für PMR, besonders das unmögliche Ballen der Hände am Morgen ist ein großes Indiz.

Kortison ist vielleicht nicht so prickelnd, doch für Klara das Tor zu einem schmerzfreien Leben und es soll nach einem Jahr mit stetigen Dosis-Reduzierungen auch ohne Medikament schmerzfrei bleiben.

Ich werde den Text noch einmal gründlich überarbeiten,vielleicht noch ausbauen, doch ich werde e8nige Bereiche gründlicher ausarbeiten und die vielen "fast" streichen.

Lieben Gruß
Claudia


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