Ein guter Plan

Quercus kroch den Zweig entlang, hielt schließlich an und sah sich um. Zufrieden bemerkte er, dass die anderen ihm tatsächlich gefolgt waren. Aber schließlich war er qualifiziert für den Job. Entweder war man zum Anführer geboren oder nicht und er war quasi ein Naturtalent.
Ein Päuschen wäre jetzt nicht schlecht. Und fressen. Nur noch ein paar Tage, dann müssten er sich verpuppen. Ein qualvoller Gedanke, über dreißig Tage in dem Kokon gefangen zu sein. Aber das Leben war keine Blumenwiese. Die anderen begannen bereits, sich geeignete Stellen für ihre Metamorphose zu suchen. Darauf hatte Quercus nicht die geringste Lust. Er wollte sein Raupensein bis zum letzten Tag auskosten.
Ein Quäntchen Glück gehörte auch dazu, denn waren sie erst einmal verpuppt, waren sie für die Schlupfwespe eine leichte Beute. Das waren echte Quälgeister. Noch schlimmer als die Brut des Gartenbesitzers.
Eigentlich ein schöner Garten mit einem Stück Rasen, vielen Büschen, einigen Obstbäumen und einem kleinen Brunnen, eine äußerst erquickliche Quelle für Insekten. Und für Vögel. Um die machte sich Quercus allerdings keine Sorgen, denn die Brennhaare seines Raupenkörpers enthielten ein Nesselgift. Allerdings war ihm der Garten zu quadratisch. Alles war im Quadrat angeordnet. Furchtbar. Sogar der Brunnen hatte ein quadratisches Becken, kein rundes. Warum konnten die Fleischklopse nicht alles wachsen lassen, wie es die Natur vorsah.
„Verteilt euch!“, rief er den anderen zu und machte sich augenblicklich auf den Weg zu einer besonders dicken Brombeere. Er schmatzte genüsslich. Das würde ein Festessen werden.
„Warum bist du der Bestimmer?“, fragte Quirin, eine etwas ältere Raupe. Die bei Quercus quietschgelben Rauten auf dem Rücken gingen bei Quirin ins gräuliche über. Dafür konnte der selbstverständlich nichts, aber Quercus wäre es peinlich. „Weil halt“, sagte er.
„Hast du überhaupt einen Plan? Wir hätten auch auf dem Quittenbaum bleiben können“, nörgelte Quirin. „So ein Standortwechsel kostet sehr viel Energie.“
„Besser wie sterben“, entgegnete Quercus und deutete in den Nachbarsgarten, von wo sie her gekrochen waren. Dort brannte es, oder zumindest rauchte es rundherum um die Bienenkästen.


„Des stinkt aber ganz schön!“, rief einer der Fleischberge, auf dessen Brombeerbusch es sich Quercus und die anderen Raupen bequem gemacht hatten.
„Des riechen Sie doch gar nicht. Ich brauch das, weil der Qualm die Bienen wesentlich ruhiger und handsamer macht. Auf Bienenstiche hab ich keinen Bock.“
„Wozu dann der Astronautenanzug, wenn die Bienen angeblich ruhiger sind?“
„Sind sie auch, aber das Scheißungeziefer frisst mir mein ganzes Obst weg. Fast jede Quitte hat ein Wurmloch. Ich hab die Nase voll und deswegen hab ich mir vom Gartencenter was zum Sprühen geholt. Damit mach ich den Viechern den Garaus.“
„Ja, und allen nützlichen Insekten werden gleich mitvernichtet.“
„Quatsch. Meinen Bienen passiert nix. Steht explizit drauf. Will ja kein Gift im Honig haben. Deshalb soll man auch nicht sprühen, solange die Obstbäume blühen, sondern erst, wenn die Früchte zu sehen sind. Aber man soll es nicht auf die Haut kriegen, deshalb lassen ich den Imkeranzug gleich an. Die Schädlinge krepieren und mein Obst wird nicht angefressen. Ist sogar für den ökologischen Anbau zugelassen.“


„Da hörst du es“, sagte Quirin zu Quercus. „Der will halt keine Schädlinge. Nur die sterben. Wie gut, dass wir Nützlinge sind. Eigentlich wie alle Insekten.“
Quercus wackelte mit den Fühlern. Der hatte wirklich null Ahnung, aber dauernd am Quasseln. Das nervte.
„Du kannst gerne zurückkriechen, aber beschwer dich nicht, wenn du nicht mehr so quicklebendig bist, sondern elendig erstickst.“
Ein „Quak, quak, quak“ unterbrach die Unterhaltung. Automatisch stellten sich bei ihnen die Brennhaare auf, aber schnell war Quercus klar, dass die Laufenten nur an Schnecken interessiert waren. Raupen standen nicht auf ihrem Speiseplan.


„Wie passt ökologischer Anbau und dieses Giftzeug zusammen?“, fragte der Klops und streute den quirligen Laufenten aus einer Schüssel irgendwelche Körner hin.
„Meine Güte, irgendwo muss man Abstriche machen. Deine Laufenten töten Schnecken. Auch nicht die feine englische Art.“
„Aber sie töten, um zu fressen.“
„Ich auch. Meine Frau macht das leckerste Quittengelee im ganzen Ort. Ach was sag ich – in ganz Bayern. Außerdem gibt’s Quittenkuchen, Quittenbrot und Quittensirup. Bei sehr reichhaltiger Ernte machen wir sogar Schnaps draus. Kann ich nur empfehlen.“
„Kannst du mir zusichern, dass nix in meinen Garten gelangt?“
„Stell dich nicht so an. Wenn es weniger Ungeziefer gibt, kommt das allen anderen auch zugute.“
„Ich bin dafür, wir besprechen das bei der nächsten Eigentümerversammlung und solange wird nicht gesprüht.“
„Sie sind ein alter Querulant, aber damit kommen Sie nicht durch. Das hier ist mein Grund und Boden und da kann ich machen, was ich will.“
„Überall wird queer propagiert und das gilt auch für die Natur.“
„Ich hab keine Ahnung, von was Sie reden.“
„So ein Garten soll ein Querschnitt unseres Lebensraumes sein.“
„Sagt der, wo alles quadratisch anlegt.“
„Das ist für den Überblick sehr praktisch, ansonsten darf alles wachsen, wie es will. Schauen Sie sich meine Beerensträucher an. So viel haben die noch nie getragen.“ Er machte ein paar Schritte. „Genug gequatscht. Ich muss weiter. Die Quartalsabrechnung rechnet. Mein Chef hat mir die Quartalszahlen gerade zugemailt.“
„Arme Sau“, sagte der andere in gedämpftem Ton, aber Quercus verstand ihn trotzdem. „Am Wochenende arbeiten. Das würd mir grad noch fehlen.“
„Sag mal“, mischte sich nun ein Weibchen ein, „kannst du mir verraten, was du da machst?“
Quercus konnte das Weibchen durch die Büsche nicht gut sehen, da es weiter weg stand. Aus Angst, für eine der Schlupfwespen ein leckerer Happen zu sein, traute er sich nicht, höher zu kriechen. Hören konnte er das Weibchen umso besser. Eine unangenehme, quäkende Stimme.
Aus einem der Fenster der Riesenbaue der Klopse war nun furchtbarer Krach zu vernehmen. Wenn er gekonnt hätte, würde er sich die Ohren zuhalten.
Dabei wollte er einfach nur in Ruhe fressen. Die Aussicht, sich zu verpuppen, und dreißig Tage nichts zu hören und nichts zu sehen, bekam plötzlich eine ganz andere Qualität.
„Kannst du Anna-Quentina nicht sagen, sie soll mit dem Gedudel aufhören? Klingt ja grußelig.“
„Querflöte ist nun mal kein einfaches Instrument. Da ist tägliches Üben Pflicht. Freu dich, dass sie so fleißig ist. Und jetzt will ich wissen, was du da treibst?“
„Du hast dich über die ganzen Würmer in den Quitten, den Äpfeln, den Pflaumen, den-“
„Komm endlich auf den Punkt.“
„Du hast dich beschwert und da dachte ich …“
„Du dachtest“, spottete sie, „da haben wir das Problem. Du hörst sofort mit dem Unsinn auf. Am Montag entsorgst du das Zeug. Ist wahrscheinlich Sondermüll. Die Qualität unseres Obstes leidet keineswegs, wenn ein Teil angefressen ist. Aber Gift zu versprühen, ist Tierquälerei. Also Schluss damit.“


„Lass mich mal vorbei“, sagte Quirin und drückte Quercus unfein zur Seite, sodass dieser fast vom Busch fiel.
„Komm lieber zurück. Ist gefährlich.“
„Du bist nur zu feige.“ Quirin war nun fast oben. „Ich nehme jeden Quest an. Damit wäre ich eindeutig der bessere Anführer. Ich suche uns den perfekten Platz.“
Genau in diesem Augenblick hatte eine Schlupfwespe Quirin entdeckt. Das „Vorsicht“ blieb Quercus wortwörtlich im Halse stecken. Quirins Übermut hatte den das Leben gekostet. Unaufmerksamkeit rächte sich sofort und Quirin hatte die Quittung dafür bekommen.
Rasch quetschte sich Quercus auf die Unterseite eines Brombeerblattes und beschloss, dass es nun an der Zeit wäre, sich einen Kokon zuzulegen. Und in vier bis fünf Wochen würde er quicklebendig als wunderschöner Eichenspinner sein Gefängnis verlassen und querfeldein fliegen, um die Welt zu sehen. Klang nach einem wirklich guten Plan.

Liebe @Sturmruhe ,

freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefällt.

Wie gesagt, eigentlich hattte ich gar nicht vor, noch eine Geschichte für den Wettbewerb zu schreiben, aber beim Walken gestern vormittag ist mir diese eingefallen. Tagsüber bin ich nicht zum Schreiben gekommen und um 18 Uhr war ich in einem Kirchenkonzert. Da war die Geschichte plötzlich wieder da und ich hab in Gedanken begonnen, zu formulieren. Daheim hab ich mich dann sofort hingesetzt und losgeschrieben.

Ich war mir nicht ganz sicher, ob man den Unterschied zwischen tierischen und menschlichen Dialogen deutlich bemerkt, deshalb habe ich die tierischen kursiv geschrieben.

Gegenüber gab es bis vor ein paar Monaten einen total verwilderten Garten. In München darf man zwischen März und September keine Büsche oder Bäume schneiden oder fällen (Formschnitt ist erlaubt). Ende Februar kam der Bagger und hat alles platt gemacht. Zugegeben - in unserer Küche ist es nun ein bisschen heller, weil die großen Bäume gefällt wurden. Aber dafür spenden sie nun keinen Schatten mehr. (Beim Walken ist mir gestern wieder einmal aufgefallen, wie deutlich man den Temperaturunterschied zwischen von Bäumen überschatteten Wegen und von "freien" Wegen merkt.)
Der Garten ist nun sehr ordentlich - bis auf einen kleinen Busch wurde alles entfernt. Sehr schade, denn für die Tiere war der Garten ein Paradies. Im Sommer hat es dort immer gesummt, weil einer der Bäume über und über mit Efeu bewachsen war und die Bienen ihn umschwärmt haben. Es gab Eichhörchen und viele Vögel, die ihre Nester gebaut haben. Nachdem alles platt gemacht worden war, wurde Gras gesät. Mehr gibt es da jetzt nicht. Da die Besitzerin gestorben ist, soll das Haus verkauft werden. Vielleicht dauert das noch eine Weile und die Natur erobert sich das Gartenstück zurück. So ist es langweilig.

LG
Doro

Hallo Doro
Vielen Dank für die schöne Geschichte . Sie macht natürlich auch traurig, weil man die Mentalität mancher Leute erkennen kann. Gut, daß die Ehefrau da weitsichtiger und umweltbewußter ist, hoffentlich kann sie den Mann von seiner Sprüherei abhalten.
Aus der Sicht einer Schmetterlings bzw. dessen Raupe zu schreiben, finde ich toll, klasse Idee! Und die Qs waren gut eingebaut.

Zitat von Doro im Beitrag #1

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Und in vier bis fünf Wochen würde er quicklebendig als wunderschöner Eichenspinner sein Gefängnis verlassen und querfeldein fliegen, um die Welt zu sehen.Wer weiß, was der Kleine dann vorfindet - solche Gedanken kommen mir dann immer.

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Zitat von Doro im Beitrag #1

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„Sag mal“, mischte sich nun ein Weibchen ein, „kannst du mir verraten, was du da machst?“

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Zitat von Doro im Beitrag #1

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„Überall wird queer propagiert und das gilt auch für die Natur.“

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Zitat von Doro im Beitrag #1

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So ein Garten soll ein Querschnitt unseres Lebensraumes sein.“

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Zitat von Doro im Beitrag #1

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„Sagt der, wo alles quadratisch anlegt.“„Das ist für den Überblick sehr praktisch, ansonsten darf alles wachsen, wie es will.

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@Doro herrlich, die Fleischklopse. Darauf muss man erst einmal kommen.
Du kennst dich gut aus mit Schmetterlingen. Ich hatte erst an den Eichenprozessionsspinner gedacht.
Der soll ja irgendwie giftig oder so sein. Zum Glück hat Frau Fleischklops das sprühen des Giftes verhindert.
Bestimmt nicht einfach so eine Quark Geschichte zu schreiben.

Zitat von Gini im Beitrag #7

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Bestimmt nicht einfach so eine Quark Geschichte zu schreiben.

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Eine Naturgeschichte. Wie schön. Und tolle Qu´s hast du eingebaut.
Ein richtiger Sinn ist auch gut rübergekommen, danke dafür.

Liebe @Carlotta Lila ,

Zitat von Carlotta Lila im Beitrag #9

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Endlich ein neuer kreativer Q-Name: Quercus

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Zitat von Carlotta Lila im Beitrag #9

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EWhrlich: Ich bin total erstaunt, wieviel Wörter mit Q es schließendlich doch gibt!

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Zitat von Jana88 im Beitrag #10

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Ein richtiger Sinn ist auch gut rübergekommen, danke dafür.

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Zitat von Gini im Beitrag #7

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Du kennst dich gut aus mit Schmetterlingen.

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Zitat von Gini im Beitrag #7

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Der soll ja irgendwie giftig oder so sein.

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