Quentins Qualitäten

„Quentin, ich muss mit dir reden.“ Jaqueline, die eben in die Herrenboutique ihres Bruders gerauscht war, stand nun vor ihm, hübsch wie ein Mannequin, aber schnaubend wie ein Billardspieler, dem sein Queue zerbrochen war.
„Was ist denn los?“, wollte Quentin wissen.
„Ich habe mir dein Leben jetzt lange genug angeschaut.“ Jacqueline schmiss ihr Täschchen auf die Ladentheke. Zum Glück waren keine Kunden im Laden.
„Erst der Handel mit Sandsteinquadern, dann eine halbgare Karriere als Squash-Spieler auf Martinique, nicht zuletzt dieses völlig idiotische Züchten von Kaulquappen!“
„Jacqueline, ich –“
„Babababa! Ich bin noch nicht fertig.“ Sie hob gebieterisch eine Hand und er klappte den Mund wieder zu.
„Zuletzt hast du versucht, Mallorquinern handgemachte Quilts anzudrehen, und nun diese … diese …“ Sie breitete die Arme aus und sah sich abschätzig um, während sie um das richtige Wort rang.
„Diese Herrenboutique“, half Quentin ihr mit ruhiger Stimme. „Die habe ich übrigens schon fast ein Jahr.“
„Unsere Eltern haben eben erst davon erfahren. Und sie sind entsetzt!“ Jacqueline fixierte ihren Bruder mit unheilvoller Miene. „Sie haben sich wirklich etwas anderes für dich vorgestellt. Mama hat mich angerufen. Sie hat geweint, Quentin.“
„Sie weint doch ständig. Sie ist wie eine Zitrone, die man ausquetscht.“
Jacquelines Stirn legte sich in Falten. Erbost sah sie ihren Bruder an. „Du hättest Arzt werden können, um Himmels Willen! Oder zumindest etwas ähnlich Adäquates.“
Quentin winkte ab. „Ich als Quacksalber? Vergiss es, das hat mich nie gereizt. Komm, lass uns nach hinten gehen, da ist es bequemer.“
In dem kleinen Büro hinter dem Verkaufsraum ließ sich Jacqueline auf einen Sessel fallen.
Quentin öffnete einen Schrank und holte zwei kleine Gläser hervor. „Möchtest du auch einen Tequila?“
„Ja, bitte.“ Jacqueline seufzte schwer. „Ich komme eben von deinem Steuerberater. Er rät dir schon jetzt, die Konsequenzen aus den letzten Abrechnungen zu ziehen und aufzugeben. Er sagt, die Rücklaufquote deiner Kundschaft ist enorm. Eine Liquidierung ist deine einzige Möglichkeit.“
„Wieso quatscht der Typ mit dir, hm? Das ist ein völlig unqualifiziertes Benehmen!“ Quentin schenkte die Gläser voll. Weil er so aufgebracht war, quollen sie ein bisschen über. Es war ihm egal. Einen Tequila reichte er seiner Schwester, den anderen kippte er selbst auf ex herunter.
Jacqueline tat es ihm nach. Sie atmete schwer aus, musste sogar husten.
Quentin grinste gequält. „Wenn dir das zu stark ist, ich hätte noch einen Früchtequark im Kühlschrank.“
Jacqueline räusperte sich und verzog das Gesicht. So wie sie es in ihrer Jugend getan hatte, wenn er das Plusquamperfekt nicht kapierte. „Sehr amüsant, Brüderchen.“
Hinter ihr blubberte es und Jacqueline drehte sich um. „Ist das wieder eine deiner Spinnereien?“, fragte sie, anklagend in die Ecke weisend. „Ein Aquarium! Und was soll das dort sein? Eine Staffelei?“
„Ich versuche mich in Aquarellmalerei“, antwortete Quentin verschnupft. „Und ich bin ziemlich gut, sagen die Leute in meiner Mal-Clique. Was kann ich dafür, dass ich mit so vielen Talenten und Qualitäten gesegnet bin, dass sie für mehrere Leben reichen?“
Seine Schwester lachte auf, doch es klang nicht amüsiert, sondern bitter. „Du bist in einer Mal-Clique? Was pinselst du denn? Deine bunten Fische hier?“
„Keineswegs.“ Verärgert zündete sich Quentin eine Zigarette an und stieß den Qualm in Richtung seiner Schwester aus. Sie wedelte ihn fort. „Benimm dich nicht wie ein Idiot!“
„Dominique sagt –“
„Wer?“
Quentin straffte die Schultern und schnippte Asche in einen Aschenbecher. „Dominique. Er ist ein eloquenter Geschäftsmann aus Albuquerque.“
„Soso. Und was für Geschäfte treibt der Herr so?“
„Er hat ein Assistenzsystem entwickelt, das Aquaplaning verhindert. Wenn es erfolgreich vermarktet wird –“
Jacqueline lacht hell auf. „So erfolgreich wie deine alberne Herrenboutique?“
„Deine Äußerungen hatten schon mal mehr Qualität, Schwesterlein. Das Ding soll schon bald zur Grundausstattung jedes Pkw gehören. Und Dominique erhält dafür mehr als nur ein erquickliches Sümmchen.“
„Das heißt ‚erklecklich‘, nicht erquicklich.“
„Ach, halt doch einfach die Klappe und quatsch mich nicht zu.“ Erbost drückte Quentin die qualmende Zigarette aus. „Du hast doch keine Ahnung.“
"Schön, ich sage nichts mehr. Wenn du mir noch einen Tequila einschenkst.“ Sie hielt ihm auffordernd ihr Glas hin und er füllte es schweigend.
„Außerdem sammelt er Antiquitäten“, meinte Quentin schließlich. „Und ich soll bei ihm einsteigen.“
„Du verstehst doch von Antiquitäten so wenig wie von Aquarien und Sandsteinquadern.“
„Ich kann lernen“, widersprach Quentin. „Und außerdem sind Dominique und ich … nun ja …“
Er brach ab.
Jacqueline, die eben ihren Tequila angesetzt hatte, ließ das Glas wieder sinken. „Was seid ihr?“
Quentin wich ihrem Blick zunächst aus, doch dann sah er sie mit erhobenem Kinn an. „Mehr als nur Freunde. Wir sind … ein Paar.“
Seine Schwester ließ sich in ihrem Sessel zurücksinken. „Wenn Papa das erfährt …“, murmelte sie und trank den Tequila.
„Hör zu“, sagte Quentin. „Was die Boutique angeht, hast du recht. Das war eine Schnapsidee.“
„Apropos Schnaps.“ Jacqueline hielt ihm erneut ihr leeres Glas hin und er füllte es mit einem Lächeln. Sie prosteten sich zu und tranken.
„Ich habe eine Idee“, meinte Quentin, nachdem sie die Gläser abgesetzt hatten. „Am besten bringst du unsere Eltern heute Abend ins ‚Aquamarin‘. Das ist eine Bar, die Dominique gehört. Dann kann ich ihnen –“
„Eine Bar hat dein Superfreund auch noch?“, staunte Jacqueline.
„Wie wäre es, wenn du mich einmal ausquatschen lässt, du kleine Sabbelqualle?“
„Du sollst mich nicht so nennen! Aber ja, ich bin schon still. Was wolltest du sagen?“
„Es gibt ein weiteres Talent, das ich besitze, und von dem du nichts weißt. Eine spezielle … Qualität. Unsere lieben Eltern sind natürlich ebenfalls ahnungslos.“
„Das wundert mich nicht.“
Quentin reagierte nicht darauf. Er wollte endlich mit seiner Neuigkeit herausrücken. „Um ehrlich zu sein, habe ich in den entsprechenden Kreisen durchaus einen gewissen Ruf, um nicht zu sagen, einen Grad der Berühmtheit erreicht.“
Jacqueline beugte sich mit schmalen Augen vor. „Du machst mich neugierig, Brüderchen. Was ist es, worin du so erfolgreich bist?“
Er atmete lang aus, dann erwiderte er ihren Blick. „Ich trete auf. Jeden Samstagabend.“
„Du kannst singen?“ Ihre Verblüffung war offensichtlich. „Seit wann denn das?“
„Ich singe nicht“, stellte er klar. „Nicht wirklich. Aber es hat schon etwas mit Performance zu tun.“
„Also, dann spuck es aus, Brüderchen. Was genau tust du auf der Bühne?“
„Ich singe Playback.“ Er machte eine kurze Pause, dann stand er ruckartig auf, verschwand hinter einem kleinen Paravent in der Ecke gegenüber des Aquariums und kehrte Sekunden später zurück – mit einer blonden Langhaarperücke auf dem Kopf. Mit ausgebreiteten Armen und strahlendem Gesicht verkündete er: „Dein Bruder ist eine Dragqueen, Schätzchen.“

ENDE

Liebe @Gini

danke für dein Feedback. Ich war selbst erstaunt, wie viele Wörter mit qu es gibt. Und es hat richtig Spaß gemacht, sie in der Story unterzubringen.

Zitat von Gini im Beitrag #2

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Auch die Ankündigung von Quentin am Schluss, dass er eine Dragqueen ist. Darauf muss man erst einmal kommen.

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Lieber @Yggdrasil

nach deinem Feedback bin ich gespannt auf deinen Beitrag. Du scheinst ein natürliches Talent für Quatsch dieser Art zu haben.
Danke für das Lob!

LG
Bree

Liebe @Anka

vielen Dank fürs Lesen und dein Feedback!

Zitat von Anka im Beitrag #7

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Zudem habe ich mich noch sehr gut unterhalten gefühlt und habe die ganze Zeit geschmunzelt.

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Zitat von Anka im Beitrag #7

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Ich befürchte nur, du hast jetzt alle Q-Worte verwendet und nichts mehr für uns übriggelassen ...

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Wow, Quentin ist eine sehr schillernde Persönlichkeit, liebe @Bree! Es fliesst auch recht viel Tequila in deinen sehr unterhaltsamen Text.
Lg
Carlotta Lila

Hallo @Bree ,

ich kann @Yggdrasil nur voll und ganz zustimmen, besser kann man es nicht ausdrücken! Deine Qu's sind auf den Punkt und super im Text verteilt, der Dialog zwischen Schwester und Bruder amüsant und die Pointe ist einfach göttlich!

LG Marion

Hallo @Carlotta Lila @Perlfee @Sturmruhe und @Jana88

ich habe mich noch gar nicht für euer Feedback bedankt. Das hole ich nun gerne nach:

Es freut mich, dass ich euch offenbar mit Quentin und seiner schillernden Persönlichkeit gut unterhalten konnte.
Mir hat diese verrückte Aufgabe gut gefallen. Macht euch schon jetzt bei passender Gelegenheit auf etwas Ähnliches gefasst ...

LG
Bree

Danke fürs Lesen, liebe @Doro

Schön, dass ich dich amüsieren konnte. Und ja, das Basteln der Story war wirklich ein großer Spaß.
Aber das ging dir ja genauso.



LG
Bree